Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2006

Spalte:

288–290

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Clementis Alexandrini Paedagogus. Ed. M. Marcovich adj. J. C. M. van Winden.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2002. XXXVIII, 229 S. gr.8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 61. Geb. € 125,00. ISBN 90-04-12470-5.

Rezensent:

Dietmar Wyrwa

Der 2001 verstorbene Professor Emeritus of Classics der University of Illinois, Miroslav Marcovich, hat sich durch zahlreiche Editionen griechischer patristischer Texte des 2. und 3. Jh.s große Verdienste erworben. Nachdem er die zum Teil arg vernachlässigten frühen griechischen Apologeten in rascher Folge mit opulent ausgestatteten Textausgaben in der Reihe PTS bedacht hatte, wechselte er zuletzt das Publikationsforum und brachte Ausgaben von Clemens’ Protreptikos (1995), von Pseudo-Athenagoras’ Auferstehungsschrift (2000) und von Origenes’ Acht Büchern gegen Kelsos (2001) in den Supplements to Vigiliae Christianae heraus. Postum liegt jetzt dank der Unterstützung von J. C. M. van Winden, dem der Band auch gewidmet ist, seine letzte Arbeit, Clementis Alexandrini Paedagogus, vor. Wie schon mit seiner Protreptikos-Ausgabe setzt sich M. auch hier zum Ziel, einen verlässlichen kritischen Text zu bieten, der die Mängel der im Rahmen der GCS vorliegenden Edition von O. Stählin beheben würde. Tatsächlich galt bis zum heutigen Tag diese erste wirklich kritische Edition, zumal in der revidierten 2. Auflage und fortgeführt durch L. Früchtel bzw. U. Treu in der 3. Auflage, als maßgeblich und mustergültig. So liest man nicht wenig erstaunt im Vorwort: »Stählin’s edition, however, is far from being satisfactory. The main reason is that the editor was not attentive enough to the meaning of Clement’s text and to the textual problems involved« (X). Mit fast den gleichen Worten hatte M. schon seine Neuausgabe des Protreptikos begründet. Nun, dieser Anspruch wird sich im Vergleich bezüglich der Textkonstitution und der Sammlung von Parallelmaterial zu bewähren haben. Ersetzen kann M.s Ausgabe die große GCS-Edition auf keinen Fall, schon weil ihr jegliche Register fehlen.
Die Ausgangssituation für die textkritische Arbeit zu Clemens’ Paidagogos wie auch zum Protreptikos ist bekanntlich dadurch erleichtert, dass der Archetypus aller in Betracht kommenden Manuskripte – ein Glücksfall der Überlieferungsgeschichte – direkt in Gestalt des Parisinus graecus 451, der berühmten, aus dem Jahr 914 datierten Apologetenhandschrift des Arethas, Metropolit von Kaisareia/Kappadokien, erhalten ist. Sie wurde nach einer Vorlage, einem Unzialkodex wohl spätestens des 7. Jh.s, von dem Notarios Baanes angefertigt und von Arethas selbst durchgesehen und teils durch Vergleich mit der Vorlage, teils auf Grund eigener Konjekturen verbessert. Dass der Archetypus stark von Korrekturen durchsetzt ist, lässt darauf schließen, dass schon die Vorlage nicht frei von mehr oder weniger anstößigen Korruptelen war, wenngleich die Überlieferung insgesamt nicht entfernt so schlecht ist wie die der Stromateis. Außerdem weist die Handschrift einen Verlust von fünf Quaternionen, die fast das ganze erste Buch enthielten, und von zwei Blättern am Schluss, wo sich der Schlusshymnus befand, auf. Diese Lücken können jedoch durch zwei aus dem Parisinus graecus vor dem Textverlust angefertigte Abschriften, durch den Codex Mutinensis Misc. Gr. 126 (10. oder 11. Jh.) und den Codex Laurentianus V 24 (12. Jh.) gefüllt werden. Beide Abschriften gehen unabhängig auf P zurück, und eine eigenständige, von P unabhängige Sonderüberlieferung liegt weder im einen noch im anderen Fall vor. Wenn sich M. (X) für die gegenteilige Annahme bezüglich des Laurentianus auf Stählin beruft, so hat er dessen Selbstkorrektur in den Nachträgen zur Einleitung (LXXXV) übersehen. Die Abweichungen sind entweder Schreibfehler oder bewusste Änderungen des Schreibers. Weitgehend unergiebig ist wegen des geringen Umfangs der Exzerpte die Sekundärüberlieferung der Florilegien und Katenen.
M. hat seine Sicht, wie die Textkonstitution auszusehen habe, in einem kurzen Aufsatz skizziert, der merkwürdigerweise nirgends in der vorliegenden Edition Erwähnung findet: M. Marcovich, The text of Clement’s Paedagogus, ÇZiva Antika. Antiquité vivante 50, 2000, 149–157. Wenn er hier 39 eigene Konjekturen vorstellt und begründet, so erachtet er diese offenbar als besonders markante und aufschlussreiche Spezimina, die repräsentativ für die große Masse der in der Edition anzutreffenden Texteingriffe, wo an über 280 Stellen ein scripsi, delevi, addidi, suplevi, transposui o. Ä. erscheint, stehen. Die kritische Überprüfung der repräsentativen Fälle und weiterer Stichproben führt indessen zu einem enttäuschenden Resultat. M. E. ist es M. nur an sehr wenigen Stellen gelungen, einen besseren Text zu erstellen, so in Paid II 110,1; III 61,1; III 98,2, evetuell auch in III 22,1; III 46,2; III 101,3. Anderswo hat er berechtigterweise auf die Schwierigkeit des Textes aufmerksam gemacht, ohne eine überzeugende Heilung vorschlagen zu können, so in I 8,2; II 53,4; II 77,3 f.; III 49,5. Daneben steht aber eine ganz erhebliche Zahl von Konjekturen, die willkürlich oder unnötig sind, so etwa in I 13,3; I 41,2; I 96,2; II 16,4; II 58,1; II 77,3; III 9,1; III 20,1; III 44,1 u. ö. Ebenfalls kritisch zu vermerken ist die methodisch verfehlte, aber immer wiederkehrende Tendenz, ein Zitat bei Clemens an den heute gängigen Bibel- bzw. Platontext anzugleichen, so in I 44,1; II 8,4; II 32,4; II 62,5; III 35,3; III 66,3; III 83,3 u. ö. Änderungen von Partikeln schließlich, die letztlich nur unhistorische Standardisierungen sein können, finden sich in erdrückender Zahl. Ein arger Druckfehler ist im textkritischen Apparat zu Paid I 37,3 p. 24,24, einer berüchtigten Crux, stehen geblieben, wo es natürlich heißen muss [es]men St. Zu dieser Stelle hätte auch die entgegengesetzte Konjektur von Arcerius hymeis p. 24,25, genannt werden müssen, vgl. A. Méhat, Étude sur les ›Stromates‹ de Clément d’Alexandrie, Paris 1966, 55, Anm. 54. Dass in der neueren Diskussion bedenkenswerte Vorschläge zur Textgestaltung gemacht worden sind, die M. nicht aufnimmt, sei nur am Rande vermerkt.
Die Quellenforschung und Sammlung von Parallelmaterial auf der anderen Seite hat M. nicht weiter vorangetrieben. Im diesbezüglichen Apparat findet man das in der GCS-Ausgabe nachgewiesene Fundgut ziemlich genau wieder, wobei einige Streichungen und der weitgehende Verzicht, die Katenen auszuschreiben, den Apparat entlasten. Anderes vermisst man. Was M. über das von Stählin, Früchtel und Treu Genannte hinaus bietet, stammt – allerdings auch hier ohne Vollständigkeit – so gut wie ausnahmslos aus der zweisprachigen Ausgabe in den Sources Chrétiennes, der H. I. Marrou die wundervollen Anmerkungen beigesteuert hat. Auch die internen Querverweise auf andere Stellen in Clemens’ Werk stammen von daher. Wo es erforderlich war, namentlich bei einigen Komikerzitaten, hat M. die Stellenangabe auf neuere Fragmentsammlungen umgestellt.

Einige Versehen im Apparat sind zu korrigieren: p. 26,3–4 cf. Gal. De usu partium …; p. 71,21–23 cf. Lc 15:11 ss. (das Gleichnis vom verlorenen Sohn); p. 84,29–30: die beiden letzten Verse stammen von einem unbekannten Dichter, waren aber wohl schon in Clemens’ Vorlage mit dem Eratosthenes-Zitat verbunden, zu dem sie nicht gehören – so die opinio communis, die entgegen J. U. Powell (Hrsg.), Collectanea Alexandrina, 1925, 68, genannt zu werden verdiente; p. 139,6–7 cf. Io 1:27; Act. 13:25 et Mt 3:11; p. 140, 23 cf. Herod. 3.116; 4.13 et 27; p. 178,24 cf. 3.49.3–6; … p. 197,26–27 cf. … Strom 6.145.7; p. 197, 28 Didache 2,2.

Was man der vorliegenden Ausgabe nachrühmen darf, ist ihr schönes, gut leserliches Druckbild, aber dass mit ihr ein Markstein in der Geschichte der Clemens-Ausgaben gesetzt sei, vermag der Rezensent im Unterschied zur Selbsteinschätzung des Herausgebers nicht zu sehen.