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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

267 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rogland, Max

Titel/Untertitel:

Alleged Non-Past Uses of Qatal in Classical Hebrew.

Verlag:

Assen: Royal Van Gorcum 2003. VIII, 164 S. gr.8° = Studia Semitica Neerlandica, 44. Geb. € 49,00. ISBN 90-232-3973-3.

Rezensent:

Walter Groß

Dies ist die überarbeitete Fassung der von T. Muraoka betreuten Leidener Dissertation 2001. R. untersucht die in den Grammatiken aufgeführten Beispiele für nicht-vergangenheitliche Verwendung von qatal, und zwar bei lexikalisch fientischen Verben indikativischer Funktion im Standardhebräisch und in »spätbiblischen« Texten. Seine These, fientisches qatal solle in Prosa wie Poesie als absolut/relativ vergangenheitlich markiert, aspektuell unmarkiert analysiert werden, entwickelt er an den drei Beleg-Gruppen gnomisches, prophetisches und performatives qatal.
Die Sätze mit gnomischem qatal (formal: Sprichwörter; semantisch: allgemeingültige [»general«] Behauptungen) untergliedert er in vier Gruppen: 1. Bezüglich der Verbfunktion unproblematisch sind diejenigen Sprichwörter, in denen qatal eine zurückliegende Erfahrung oder Beobachtung ausdrückt. Hier setzt R. sich überzeugend mit solchen Übersetzern auseinander, die meinen, Sprichwörter müssten stets im Präsens formuliert sein. 2. In der für ihn entscheidenden zweiten Gruppe versammelt er diejenigen Sätze, deren qatal entweder »global past tense« (summarischer Bezug auf vielfältig realisierte Sachverhalte, unter Umständen verdeutlicht durch Angaben wie »jeden Tag« Ps 88,10) oder »general past tense« (ein Sachverhalt, der in Vergangenheit typischerweise eingetreten oder, mehrheitlich, nicht eingetreten, daher mit »er hat/wurde niemals …« übersetzbar ist). Er kompliziert die Debatte unnötig, indem er keine semantisch definierten Verbuntergruppen an nimmt und daher hier auch perfektische Verben wie jd’ »er kannt haben und infolgedessen kennen/wissen« einreiht. 3. Da die erste und die zweite Beispielgruppe häufig nicht eindeutig auseinander zu halten sind, stellt er unklare Fälle zusammen. 4. Schließlich führt er Beispiele von allgemeingültigen Aussagen mit qatal für Vorzeitigkeit auf (Typ Spr 3,13: »Glücklich der Mann, der Weisheit gefunden hat«). Nicht wenige Beispiele bleiben hier problematisch, sei es, dass er durch Partizipien stets gegenwärtige Sachverhalte ausgedrückt sieht (unnötig z. B. in Spr 8,35), sei es, dass die Wiedergabe inhaltlich nicht einleuchtet (z. B. Spr 17,5: »He who mocks a poor man has reproached his maker«).
Das prophetische Perfekt ist Hauptgegenstand der Untersuchung. R. ist sich bewusst, hier vermintes Gelände zu betreten. Er hat sich wohl zu viel auf zu kleinem Raum vorgenommen. Zu Recht lehnt R. »prophetisches Perfekt« als grammatische Kategorie ab und differenziert innerhalb der dafür beigebrachten Belege unterschiedliche Verwendungsweisen von qatal: 1.qatal für Vorzeitigkeit in Zukunft: Futur II; 2. Zitate zukünftiger Reden, die auf Ereignisse, die für den aktuellen Adressaten des Zitats noch zukünftig sind, als auf vergangene zurückblicken werden; 3. Ereignisse in zurückliegenden Träumen und Visionen (deswegen als vergangen geschildert), die sich aber auf Zukünftiges beziehen. Dies ist seine wichtigste Kategorie. Er folgert, dass in solchen Texten nicht die qatal-Belege, sondern die x-yiqtol Langform- und w=qatal-Belege erklärungsbedürftig sind. Soweit möglich, analysiert er sie nicht als zukünftig, sondern als generell vergangen oder modal gefärbt oder als lediglich koordinierende vergangenheitliche qatal-Formen. Das überzeugt keineswegs überall, und in Fällen wie Jes 8,23–9,6 hätte er bei gründlicherer exegetischer Recherche überzeugendere Lösungen finden können. Wo an der zukünftigen Auffassung eingestreuter x-yiqtol w=qatal-Sätze kein Weg vorbeiführt, urteilt er, der Sprecher sei frei, ob er sich vergangenheitlich ausdrücken wolle, weil die Vision zurückliege, oder zukünftig, weil die Vision sich auf Zukünftiges beziehe. Diese Lösung ist zwar vernünftig und, in etwas abweichendem konzeptionellen Rahmen, auch nicht ganz neu. Da er sie aber auch auf Texte an wendet, die keinen sprachlichen Hinweis auf Vision oder Traum enthalten, und zugeben muss: »our thesis concerning the prophetic perfect should only be understood as explaining the tense usage itself and not the speaker’s choice which determines the use of tenses« (75), schließt dieser Schlüssel allzu leicht und läuft die These eher auf Problembeschreibung als auf Problemlösung hinaus. Wo es ganz schlimm kommt, nimmt er »idiomatic tense mismatches« an, die nur als Ausnahmen notiert werden können.
4. Überzeugend sind Sätze, die rhetorisch übertreibend zu künftige Ereignisse als bereits vergangen darstellen. Allerdings ist hier Differenzierung notwendig. Jes 6,5 »ich bin vernichtet« kann der Prophet sagen, weil die entscheidende Ursache dafür (»denn den König JHWH Zebaot haben meine Augen gesehen«) bereits gesetzt ist. Ganz anders geartet und kaum so er klärbar sind Belege wie Ez 21,9 (»Weil ich … vertilgt habe«). 5. Schließlich stellt er 52 Belege zusammen, die vielleicht gar nicht unter diese Kategorie fallen.
Zum performativen bzw. Koinzidenz-qatal steuert R. keine neuen Gesichtspunkte bei. Er skizziert sorgfältig und gedrängt den status quaestionis und entscheidet sich zu Recht für die Thesen, dass Koinzidenz keine regelhafte Verbindung zu Gegenwartstempus oder perfektivem Aspekt, ja, überhaupt keinen Zusammenhang mit Tempus, Aspekt oder Modus von Verbformen aufweist (er erwähnt einmal die Kategorie »Nebenfunktion«, sucht aber nicht, die Koinzidenz systematisch im System der Verbfunktionen zu verankern) und dass im Hebräischen neben häufigerem qatal auch Partizip, vor allem in jüngerer Sprache, Koinzidenz bezeichnen kann.
R. hat seine Dissertation sorgfältig gearbeitet. Vor allem hat er in vorbildlicher Vollständigkeit die einschlägige syntaktische Sekundärliteratur herangezogen. Nicht immer ist die Grenze deutlich zwischen systematischen grammatischen Überlegungen und der Diskussion moderner einzelsprachlicher Übersetzungsalternativen. Der Zusammenhang zwischen der syntaktisch-semantisch-pragmatischen Analyse der Belege einerseits, dem Kategoriensystem, mit dessen Hilfe er analysiert, andererseits ist weder sehr gründlich reflektiert noch sehr eng präsentiert. Seine Ergebnisse ließen sich wohl ganz ähnlich in einer Verbfunktionstheorie darstellen, die stärkeres Gewicht auf den Aspektcharakter der hebräischen Verbformen legt und qatal aspekthaft als perfektiv markiert bestimmt. Diese Unschärfe kann auch als Vorteil gelten, da sie schwierige Verbalbelege in einer Weise diskutiert, die unterschiedlichen Rahmentheorien zugänglich bleibt, und Exegeten leichter zugänglich ist, die nur gelegentlich und einzelfallbezogen eine syntaktische Monographie konsultieren.