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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

265–267

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lang, Martin

Titel/Untertitel:

Gott und Gewalt in der Amosschrift.

Verlag:

Würzburg: Echter 2004. 299 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 102. Kart. € 25,00. ISBN 3-429-02587-7.

Rezensent:

Aaron Schart

Das Buch geht auf eine von Georg Fischer betreute und im Jahre 2003 eingereichte Dissertation an der Universität Innsbruck zurück. Die Verwendung des Begriffs »Amosschrift« im Unterschied zu »Amosbuch« im Buchtitel, den der Vf. im Anschluss an Schart (Entstehung des Zwölfprophetenbuchs, 1998) bewusst wählt, macht einen neuen Akzent deutlich: Die Arbeit will die Amosschrift pointiert als eine Stimme innerhalb der Prophetenreihe des Zwölfprophetenbuchs interpretieren.
Die sehr knappe Skizze der Fragestellung (16–19) legt dar, dass sich der Vf. zum Ersten in der Gewalt-Thematik auf die Anwendung von Gewalt durch Gott beschränken, zum Zweiten eine rein synchrone Lektüre des Endtextes durchführen und drittens den in Joel beschriebenen »Tag Jahwes« zum maßgeblichen Interpretationsrahmen der Amosschrift machen will.
Im weiteren Verlauf folgt der Vf. Abschnitt für Abschnitt der Amosschrift, übersetzt den Text mit philologischen Anmerkungen und kommentiert dann solche Passagen ausführlicher, in denen göttliche Gewalt besonders massiv in Erscheinung tritt. Im Rahmen der Völkersprüche (Teil A: Am 1–2; 19–60) ist hervorzuheben, dass der Vf. das rätselhafte »ihn« in der acht Mal begegnenden Formel »ich werde ihn nicht zurücknehmen« als Verweis auf den Tag YHWHs deutet, von dem in der unmittelbar vorausgehenden Joelschrift ausgiebig die Rede war. Auf den Tag YHWHs sei auch überall dort verwiesen, wo von einem kommenden Tag oder kommenden Tagen die Rede ist, so z. B. auch in den Formulierungen »an jenem Tag« (bayyom hahu, z.B. Am 2,16; 8,9) oder »Tage kommen« (yamim ba’im, z. B. Am 8,11).
Im Rahmen des Teils B (Am 3–6; 61–166) ist vor allem zu nennen, dass der Vf. Bezügen auf die Exodustradition besonderes Gewicht in der Interpretation einräumt. In Am 3,14a findet er einen Anklang an Ex 32,34b (75) und in Am 4,13 einen Hinweis auf Ex 19,11.15 und Ex 34,2 (104). Die manchmal eruptiv erscheinende Gewalt Gottes in Amos wird so zu einem legitimen Strafvollzug auf der Grundlage der am Sinai geschehenen Selbstkundgabe Gottes und des damals geschlossenen Bundes.
Im Teil C (Am 7–9; 167–264) ist besonders der neue Deutungsversuch für die dritte Vision (Am 7,7–8) zu erwähnen. Der Vf. schließt sich der Deutung an, wonach das rätselhafte Wort anak, das nur in dieser Vision vorkommt, ein assyrisches Fremdwort für »Zinn« sei. Die Zinnmauer, auf der Amos Adonay stehen sieht, deutet er dann als einen Stapel von Zinnbarren, der als Tribut für den assyrischen König aufgeschichtet wurde. Dass Adonay sich auf diesen Stapel gestellt hat, solle dann »ein Hinweis darauf sein, wie ausgeliefert Israel nicht nur einer irdischen Macht, sondern vor allem und zuerst dem göttlichen Herrscher gegenüber« sei (186). Diese Deutung ist zwar originell, erscheint aber doch als weit hergeholt.
Im letzten Teil (Teil D; 265–270) fasst der Vf. seine Ergebnisse zusammen. Einer schonungslosen Aufdeckung der Schuld Israels korrespondiert ein völliger Rückzug YHWHs von seiner heilvoll gegründeten Geschichte mit seinem Volk, die zu dessen Zerstörung führt. Auch wenn Amos YHWH mitunter recht gewalttätig zeichnet, so steht doch außer Frage, dass das angekündigte Strafmaß legitim ist. Zudem ist dieses Unheilshandeln umgriffen vom Heilswillen Gottes für die ganze Schöpfung. Das führt dazu, dass ein Rest aus dem der Schuld verfallenen Volk herausgerufen wird, der sich durch die Botschaft des Amos zur Umkehr rufen lässt. Dieser Rest wird durch den Untergang hindurch gerettet und wird dann die Basis für eine eschatologische Erneuerung des Gottesvolkes, der Völkerwelt und der ganzen Schöpfung bilden. Der Vf. schließt mit einigen Andeutungen, dass es zu diesem Handlungskonzept YHWHs durchaus Strukturparallelen im Neuen Testament gäbe.
Der Titel der Arbeit weckt leider falsche Erwartungen. Der Vf. kommt auf die Gewaltfrage doch nur sehr am Rande zu sprechen. Wie die Ausführungen zu den einzelnen Textabschnitten systematisch untereinander zusammenhängen sollen, wird kaum thematisiert. Angesichts der insbesondere in der feministischen Exegese vielfältigen Auseinandersetzungen mit dem Thema der Gewalttätigkeit Gottes ist das zu wenig. Das im Eingangsteil benannte Vorhaben, die Amosschrift auf dem Hintergrund von Joel zu interpretieren, ist sicherlich ein innovativer Ansatz, aber leider nur teilweise durchgeführt. Positiv zu nennen ist, dass der Tag YHWHs auf dem Hintergrund von Joel zur beherrschenden Perspektive für die Amosschrift wird, andere von Joel her vorgegebene Themen kommen aber nicht vor. Da wären mindestens die Umkehrthematik (Am 4,6–13 vgl. Joel 2,12–14), die Fruchtbarkeit des Landes (Am 9,13–15 vgl. Joel 4,18) und die Heuschreckenschwärme (Am 7,1–2 vgl. Joel 1–2) zu nennen.
Was der Vf. tatsächlich vorgelegt hat, ist ein handlicher Kommentar, der weder literargeschichtliche noch historische Fragen behandelt, sondern ganz auf der Endtextebene verbleibt. Zusätzlich konzentriert sich der Vf. auf die theologische Sachthematik und vernachlässigt poetische und inhaltliche Feinheiten. Durchgehend sind die Ausführungen aber von einem erfrischenden Zugriff geprägt, der besonders in den Überschriften gelegentlich auch zu spritzigen Formulierungen führt (z. B. »Propheten als Partnerschaftsberater«, 88). Für die Fachwelt gibt es sicherlich gehaltvollere Amoskommentare auf dem Markt und für die exegetisch interessierte Leserschaft, die des Hebräischen nicht mächtig ist, kommen wiederum zu viele hebräische Worte vor. Vielleicht findet das Buch aber trotzdem seine Leserschaft.