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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

262 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hecker, Hellmuth

Titel/Untertitel:

Ehe und Mystik in Ost und West.

Verlag:

Stammbach: Beyerlein und Steinschulte 2002. IV, 289 S. 8°. Kart. € 15,00. ISBN 3-931095-41-X.

Rezensent:

Rainer Neu

Der Vergleich zwischen den großen Religionen gewinnt zunehmend an Bedeutung und Interesse. Nicht nur für die systematische Arbeit des Religionsgeschichtlers, sondern auch für die existentielle Auseinandersetzung des religiös Interessierten erweisen sich solche Untersuchungen als ausgesprochen anregend und weiterführend. Zu diesen Arbeiten zählt die neue Veröffentlichung des deutschen Buddhisten Helmuth Hecker, die im Verlag Beyerlein und Steinschulte erschienen ist, der sich insbesondere auf Schriften und Kommentare zum Pali-Kanon spezialisiert hat. H. untersucht Ehen aus dem buddhistischen, protestantischen und katholischen Umfeld, in denen es einem oder beiden Ehepartnern möglich war, zu mystischen Erfahrungen vorzudringen. Natürlich ist es nicht unproblematisch, den (abendländisch geprägten) Begriff »Mystik« als Oberbegriff für eine phänomenologisch bestimmte Gruppe von Erscheinungen der christlichen und buddhistischen Religionsgeschichte zu verwenden. H. versteht unter Mystikern – unabhängig von ihrer spezifischen Religionszugehörigkeit – Menschen, die eine nach außen gerichtete Sinnlichkeit und den Schein der Welt zu überwinden streben und stattdessen den Weg nach innen und einen Pfad der Erlösung suchen. Für den verheirateten Mystiker stellt sich die Frage, ob und wie diese Suche mit den besonderen Herausforderungen des Ehelebens und der Elternschaft zu vereinbaren ist. Wie kann er sich um ein hinreichendes Einkommen kümmern, womöglich ein Haus und Vermögen erwerben und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen und sich zu gleich belastenden weltlichen Bindungen enthalten wollen? Schließlich: Welchen Stellenwert nimmt die Sexualität innerhalb der ehelichen Gemeinschaft ein? Die in diesem Band geschilderten Fallbeispiele belegen, dass sich – unabhängig von der Prägung des religiösen Umfeldes – für den Mystiker ähnliche Probleme, gesellschaftliche und moralische Hindernisse, aber auch Lösungsstrategien und Erfolgserlebnisse auftun. Die Notwendigkeit der Weltüberwindung und der eigenen Läuterung führt zu vergleichbaren Herausforderungen.
H. zeigt zunächst an 17 Ehegeschichten aus dem Pali-Kanon auf, wie es Eheleuten (einzeln oder gemeinsam) gelang, sich von der Herrschaft der Triebe zu befreien, Erlösung durch spirituelles Bemühen zu erlangen und zu »Stromeingetretenen« zu werden, also dem Rad der Wiedergeburt zu entrinnen. H. hat in anerkennenswerter Weise die umfangreichen Pali-Texte und ihre Kommentare nach Angaben zu buddhistischen Ehepaaren durchforstet, die in ihnen jedoch nicht als zusammengefasste Lebensläufe enthalten sind, sondern aus vielen Einzelangaben zusammengesetzt werden müssen.
Bei aller Anerkennung dieser Leistung bleibt es unbefriedigend, dass sich die buddhistischen Ehegeschichten auf das Material in den kanonischen Schriften beschränken. Die Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung hätte zweifellos auch andere Aspekte des buddhistischen Ehe- und Sexualverständnisses zu Tage gebracht. Die Sexualethik des Pali-Kanons orientiert sich am Mönchsrigorismus des frühen Buddhismus. Mit der Gründung buddhistischer Laiengemeinden entwickelte sich jedoch schon bald eine Ehe-Ethik, die die Ordnung von Ehe und Familie und damit auch das Recht der Sexualität bejahte. In Kreisen des Mahayana- und des Tantra-Buddhismus wurde der Sexualität sogar ein betont positiver Aspekt eingeräumt. So kann der Koitus nicht nur als Metapher für die mystische Vereinigung mit der Gottheit, sondern geradezu als Voraussetzung für die unio mystica verstanden werden. So ist den tantrischen wie vielen mahayanischen Mönchen (besonders in Japan) die Ehe erlaubt. Der asketische Mönchsrigorismus der Frühzeit ist in weiten Teilen der buddhistischen Welt einer Wertschätzung der Sexualität gewichen. Nur an den Uposatha-Fastentagen gilt noch das allgemeine Gebot der Enthaltung vom Geschlechtsverkehr.
Ein entwicklungsgeschichtlicher Vergleich würde zeigen, dass die Entfaltung des Ehe- und Sexualverständnisses im Christentum geradezu umgekehrt verläuft. Nach einer allgemeinen Akzeptanz der Ehe in der frühen Kirche macht sich seit dem 13.Jh. besonders bei den Franziskanern und Dominikanern die Tendenz bemerkbar, klösterliche Askese auf das Alltagsleben der Laien zu übertragen. Durch die laizistischen Vereinigungen der Tertiarier und Beguinen gewinnen asketische Tendenzen auch unter Laien an Bedeutung. Erst recht verbreiten die Jesuiten das Ideal der innerweltlichen Askese.
Zu den besonders schönen Teilen des vorliegenden Buches gehört die Darstellung spiritueller Seelengemeinschaften mystischer Männer und Frauen, deren bekanntestes Beispiel vielleicht der Austausch zwischen Johannes vom Kreuz und Therese von Avila ist. Hier ist von Beziehungen zwischen den Geschlechtern die Rede, die auf seelisch-geistiger Wahlverwandtschaft beruhen, über das Sinnliche hinausgehen und zu einem Vorbild gelungener Freundschaft werden können.
Die gehaltvollen Untersuchungen hätten durch einige systematische Abschnitte noch ergänzt werden können. Der Leser möchte über seine eigenen Beobachtungen hinaus wissen, was in den Augen H.s das Gemeinsame der behandelten Glaubenstraditionen im Verhältnis von Ehe und Mystik ist – aber auch, wo Unterschiede liegen und wie sie zu erklären sind. In dieser Hinsicht hätten die Abhandlungen noch stärker ausgewertet werden können.