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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1363–1365

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Städtler-Mach, Barbara

Titel/Untertitel:

Kinderseelsorge. Seelsorge mit Kindern und ihre pastoralpsychologische Bedeutung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 229 S. gr.8° = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 43. Kart. € 36,90. ISBN 3-525-62378-X.

Rezensent:

Michael Klessmann

Die Vfn. dieser im Jahr 2002 an der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau eingereichten Habilitationsschrift ist eine erfahrene Kinderseelsorgerin. Nach einer Reihe von kleineren, eher praxisorientierten Arbeiten zum Thema verfolgt sie mit diesem Buch die lohnenswerte Zielsetzung, die theoretische Grundlegung und Entfaltung von Kinderseelsorge voranzutreiben und daraus Konsequenzen für die Seelsorge überhaupt abzuleiten. Die dominante Reflexionsperspektive ist die Pastoralpsychologie, also ein Ansatz, der theologisch-anthropologische und empirisch-sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zusammenführen will (20).
In einem ersten Hauptteil stellt die Vfn. die historische Entwicklung der Kinderseelsorge und die Forschungslage dieses recht jungen Arbeitsfeldes dar. Im zweiten Hauptteil geht es um das Verständnis des Kindes in der Theologie: Reizvoll finde ich hier, dass die Vfn. neben bemerkenswerten Ausführungen zur Anthropologie des Kindes bei Martin Luther und Karl Rahner frömmigkeits- und kunstgeschichtliche Aspekte zur Verehrung des Jesuskindes heranzieht; denn natürlich hat die Jesuskind-Verehrung auch die Wahrnehmung der »realen« Kinder beeinflusst.
Human- und sozialwissenschaftliche Zugänge zur Situation des Kindes bilden den dritten Teil: Zunächst werden psychologische Perspektiven über den Zusammenhang von Persönlichkeitsentwicklung und Glaube referiert (Freud, Rizzuto, Piaget, Erikson, Kohlberg, Fowler, Oser/Gmünder). Überraschenderweise folgt dann erst eine Skizze zur »Situation des Kindes im Wandel der Gesellschaft« (Kapitel 6) – dabei müsste doch die Wahrnehmung der sozialen Bedingungen den Ausgangspunkt für aktuelle anthropologische Reflexionen bilden. In diesem Zusammenhang werden vorliegende Erkenntnisse über Kinder im Kontext von Krankheit, Sterben, Tod und Trauer dargestellt. Die relativ knappe Entfaltung dieser Zusammenhänge spiegelt die unbefriedigende Forschungslage: Die qualitative Sozialforschung hat bisher wenig aussagekräftige Ergebnisse zu dieser Thematik vorgelegt. Diese Arbeit konstatiert das Forschungsdefizit, füllt es aber selbst nicht weiter aus.
Der vierte und letzte Teil leitet bedenkenswerte Einsichten aus der Seelsorge mit Kindern für die allgemeine Seelsorge ab: Ein Kind mit seinem Entwicklungspotential ist als »ganzer Mensch« zu betrachten; »Glaube« beim Gegenüber kann nicht Voraussetzung seelsorglicher Begleitung sein, Seelsorge richtet sich an Menschen in Krisensituationen, deren »Lebensgewissheit« brüchig geworden ist; an Kindern wird besonders deutlich, dass jeder Mensch auf stabile und zuverlässige Beziehungen an gewiesen ist; Kinder verdienen mit ihrer besonderen Lebenssituation genauso Respekt und Wertschätzung wie jeder Erwachsene. Diese Perspektiven sind für die allgemeine Seelsorge nicht weniger gültig; die Zuspitzung auf die Seelsorge mit Dementen, mit Menschen auf der Intensivstation und im Zusammenhang der Notfallseelsorge scheint diese sinnvolle Übertragung auf den Umgang mit allen Menschen aber fast wieder einzuschränken.
Fazit: Es geht in dieser Arbeit um wichtige und weiterführende Perspektiven zur Grundlegung der Kinderseelsorge, nicht um eine Darstellung des Arbeitsfeldes und seiner Methodik. Insofern erscheint der Titel des Buches etwas irreführend.
Manche Themenbereiche werden aus meiner Sicht eher kursorisch als vertiefend bearbeitet. Dazu einige Fragen und Anmerkungen: Insgesamt hätte ich mir die pastoralpsychologische Ausrichtung der Arbeit profilierter gewünscht, besonders bei den Ausführungen zur Bedeutung des Glaubens (oder der Religion) für das Kind (137 ff.), dessen Entwicklung und Identitätsfindung. Warum werden die anregenden Ausführungen Karl Rahners oder die Gedanken zur fides infantium hier nicht wieder aufgenommen und theologische Anthropologie mit psychologischen Perspektiven ins Gespräch gebracht?
Kindheit ist nicht nur eine biologische Lebensphase, sondern zugleich ein gesellschaftlich wandelbares Konstrukt: Was bedeuten die gegenwärtig zu beobachtenden tief greifenden Veränderungen der Lebenszusammenhänge von Kindern und Jugendlichen (und nicht nur der Wandel der Familienformen, 150 ff.) für eine Konzeption von Kinderseelsorge?
Kinderseelsorge zeichnet sich durch spezifische methodische Zugänge aus: die besondere Bedeutung der Präsenz des Seelsorgers bzw. der Seelsorgerin, der nonverbalen Kommunikation, des Erzählens, kreativer Medien etc. Ich finde es schade, dass dieser Bereich gar nicht thematisiert wird und damit auch seine Bedeutung für die allgemeine Seelsorge nicht zur Sprache kommt.
Trotz dieser Anfragen erscheint mir die Arbeit geeignet, die Begründung und Ausführung von Seelsorge mit Kindern (und damit auch die Seelsorge mit Erwachsenen) produktiv voranzutreiben.