Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1356–1359

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Jansen, Gregor M.

Titel/Untertitel:

Mensch und Medien. Entwurf einer Ethik der Medienrezeption.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 346 S. m. Abb. 8° = Forum Interdisziplinäre Ethik, 30. Kart. € 56,50. ISBN 3-631-51291-0.

Rezensent:

Ronald Uden

Durch aktuelle Unglücksereignisse, provokative Fernsehformate und emotional inszenierte Berichterstattung in elektronischen Medien und im Printbereich ist in den letzten Jahren die Diskussion über ethische Grenzen und Normen in der Massen publizistik wiederholt in der Öffentlichkeit hervorgetreten. Gleichzeitig setzte ein interdisziplinärer wissenschaftlicher Diskurs im medienethischen Themenfeld innerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaften, in Philosophie, Theologie und Ethik ein. Der katholische Theologe Gregor M. Jansen verortet die Thematik seiner Wiener Dissertation »Mensch und Medien« in einer auf die Wahrnehmung aktueller Gegenwartsphänomene bezogenen nachkonziliaren Moraltheologie, wobei er eine Momentaufnahme aktueller Mediendebatten, Orientierung und praktische Beurteilungskriterien fokussiert auf den Prozess der Medienrezeption liefern will. Der »Entwurf einer Ethik der Medienrezeption« wird in den umfangreichen Hauptteilen B (Massenmedien – Signatur heutiger Gesellschaft) und D (Medienrezeption als verantwortliches Handeln) und den Kurzkapiteln C (Moraltheologische Grundlegung) und E (Konsequenzen zur ethischen Beurteilung der Medienrezeption) entfaltet.
Im Einleitungsteil A erläutert J. zwei für seine gesamte Arbeit grundlegende Vorentscheidungen: Die ethische Verantwortung in öffentlichen Kommunikationsprozessen wird dem Rezipienten von Medienbotschaften zugewiesen, weil Medienrezeption »als aktives Handeln der Nutzer zu qualifizieren« sei. Diese zu entwickelnde Rezipientenethik versteht J. in Anknüpfung an das II. Vatikanische Konzil und seine Pastoralkonstitution Gaudium et Spes nicht als Exklusivethik einer christlichen Binnenmoral, sondern als Ethik einer an die gesellschaftliche Realität anknüpfenden Kommunikabilität, die auf der Basis eines christlichen Menschenbilds zu Aussagen kommt, »deren Gültigkeit und Richtigkeit auch von Menschen anerkannt werden können, die dieses Fundament nicht teilen« (25).
Das umfangreichste Kapitel B enthält eine Teilbeschreibung und Reflexion der aktuellen Mediensituation im deutschsprachigen Raum, nicht so sehr »in der EU« – wie die Überschrift verheißt. Nahezu alle gegenwärtig relevanten Teilbereiche werden beachtet: technische Entwicklungen, Medienpolitik, Privatisierung sowie Einzelfragen wie die Gewaltproblematik, Rechtsfragen oder der Kinder- und Jugendschutz. Ausführlich behandelt J. die Frage, inwiefern Medien Realitäten abbilden, verzerren oder erzeugen. Er bezieht selbst mit einer gemäßigt konstruktivistischen Position Stellung, die der postulierten spezifischen Verantwortung des Rezipienten für medial vermittelte Inhalte entgegenkommt. Im Blick auf die angestrebten ethischen Fragestellungen werden die Begriffe »Objektivität« und »Wahrhaftigkeit« auf ihr normatives Potential hin überprüft. Umfangreich dokumentiert J., dass Medien als prägendes Element der Gegenwartskultur zu begreifen sind. Sie bilden den integralen Bestandteil moderner, pluraler Lebenswelten, strukturieren Zeit, stiften Sinn und prägen durch ihre Kommunikationsformen und Kommunikationsinhalte die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Bedenkliche Trends wie eine zunehmende Technokratisierung, Entpersonalisierung oder »Entwirklichung« werden benannt, Werbung, Unternehmensethos und Marktprinzip reflektiert und pauschale Medienkritik als pessimistische Kulturkritik zurück gewiesen. Weil aber aus Massenmedien direkt keine ethischen Prinzipien ableitbar seien, bedürfe es ethischer Grundsätze aus dem gesamtkulturellen Kontext wie die Verpflichtung auf ein Wahrheitsethos, die Achtung der Personwürde oder den Schutz der Privatsphäre (171).
Teil C kreist in knappen Skizzen um die Begriffe Freiheit und Verantwortung – in enger Tuchfühlung mit einer Variante katholischer Moraltheologie, die nach dem II. Vatikanischen Konzil besonders den autonomen Aspekt der Sittlichkeit anthropologisch und empirisch zu akzentuieren versucht (Alfons Auer, Franz Böckle, Josef Fuchs sowie Bernhard Häring). Überraschend und bereichernd knüpft J. in diesem Kontext an Reflexionen zum Gewissensbegriff an, der als moralische Instanz die Autonomie des Menschen, seine Identität und Personwürde aufzeige: »Entscheidende Instanz für die Sittlichkeit bleibt das Gewissen … Der eigentliche Experte im massenmedialen Handeln ist daher der Rezipient selbst« (192).
Das zweite der umfassenderen Kapitel (D) stellt die drei Grundaufträge der Medien Information, Bildung und Unterhaltung aus der Sicht ethisch verantwortlicher Medienrezeption dar. Störungen des Informationsangebots durch ökonomische Abhängigkeiten der Medienproduktion (Einschaltquote) oder Sensationsjournalismus werden angesprochen, medienpädagogische Ausführungen erläutern die Bildungsfunktion der Medien und Reflexionen über den Animationscharakter vermitteln einen eingeschränkt positiven Zugang zu den Möglichkeiten der Fernsehunterhaltung. Nicht ganz nahtlos werden noch ein Abschnitt über sieben wichtige kirchenamtliche Dokumente zur Medienthematik sowie Ausführungen zum Internet eingefügt. Als Fokus des katholischen Medienverständnisses wird die Formulierung »soziale Kommunikation« herausgearbeitet. Dieser Begriff umschließt für J. normativ das sozialethische Personprinzip, das Gespräch als Austausch zwischen gleichen Partnern sowie die gesellschaftliche Relevanz von Kommunikation als sozial konstruktivem Vorgang, der unsoziale Egoismen und Individualismen ausschließen sollte (294).
Konsequenzen werden stichwortartig im letzten Teil E angeführt, der die vorliegende rezipientenorientierte Medienethik als klassische Tugendethik akzentuiert. Publikumsethische Ansätze enden dann gewöhnlich – so auch bei J. – in allgemeinen Appellen zur Entwicklung von mehr Medienkompetenz, zur Förderung der Medienpädagogik und zum kritischen Mediengebrauch bis zum Konsumverzicht.
J.s Buch überrascht durch eine gezielte Auswahl der für den Ethiker wichtigen Fragestellungen und Probleme des Medienkonsums und seinen insgesamt erstaunlich positiven, unvoreingenommenen Blick auf die Medienwelt und ihre ethischen Fragestellungen. Grundlage dieser Darstellung ist ein christliches Menschenbild, das den Menschen selbstbestimmt als Subjekt seiner sittlichen Handlungen versteht, über die er reflektieren kann und für die er verantwortlich ist. Von dieser Grundthese ausgehend führt eine logische Linie zur Rezipientenethik. Gesamtgesellschaftlich gedacht ist aber die christliche Grundlage einer Rezipientenethik, wie J. sie darstellt, nicht zwingend, wohl aber die Betonung der Autonomie und Verantwortlichkeit des Menschen.
Die Auseinandersetzung mit genereller Kritik an rezipientenorientierten Ansätzen (Ist die Autonomie des Einzelnen im Mediengeschehen durchgängig postulierbar? Wie wirken sich ökonomische Verflechtungen im Kommunikationsgeschehen aus? Wie sind unterschiedliche Abhängigkeiten und Verantwortungsbereiche im Mediensystem einzuordnen?) und mit an deren publikumsethischen Positionen (Wundens und Funioks Begrifflichkeit) fällt sparsam aus. Trotz einiger Defizite in der Literaturverwertung (Clifford Christians als Klassiker sowie Wiegerling 1998, Thomaß 1998, Schicha/Brosda 2000, Leschke 2001, Krainer 2001 fehlen) und der Wahrnehmung von Weiterentwicklungen in der Medienwirkungsforschung (Früh/ Schönbach 1988!) bleibt das Buch ein gut lesbarer Gedankenanstoß in Richtung Rezipientenethik aus katholischer Perspektive. Damit gehört die Darstellung zu den Beiträgen aus kirchlicher Sicht, die sich modernen Massenkommunikationsmitteln gegenüber ausgesprochen aufgeschlossen zeigen, und sie stellt darüber hinaus den ersten in sich geschlossenen Entwurf einer ausschließlich rezipientenorientierten Medienethik dar.