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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1354–1356

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Herms, Eilert

Titel/Untertitel:

Die Wirtschaft des Menschen. Beiträge zur Wirtschaftsethik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XXIV, 382 S. m. Abb. gr.8°. Lw. € 79,00. ISBN 3-16-148451-7.

Rezensent:

Friedrich Heckmann

Eilert Herms legte im Jahr 2004 in Zeiten heftiger werdender Diskussionen über Globalisierung und die Rolle der Wirtschaft in der Gesellschaft mit seiner 382 Seiten umfassenden »Wirtschaft des Menschen« einen Beitrag zur Wirtschaftsethik vor, den der Leser oder die Leserin auf Grund der wachsenden Unruhe über die wirtschaftliche Entwicklung mit Spannung in die Hand nimmt. Erinnert der Titel doch an das Votum von Adam Smith, dass die Wirtschaft für den Menschen da sei. In neoliberalen Zeiten an den liberalen Smith zu erinnern, macht nicht nur Sinn, sondern auch neugierig – und H. weist in seinem Vorwort dann auch ausdrücklich darauf hin, dass die Wirtschaft »als interaktionelle Sicherstellung der materiellen Bedingungen für das Überleben der Gattung im Naturzusammenhang; und zwar für ein gutes der Eigenart des Menschseins entsprechendes Überleben« zu verstehen sei. Nun wird das Verständnis einer solchen Wirtschaft nicht systematisch entfaltet, sondern H. legt 15 einzelne Beiträge vor, die sich im weitesten Sinne mit wirtschaftsethischen Fragen beschäftigen. Doch es sind nicht nur die Fragen der letzten Jahre, die Beiträge reichen weit zurück in einen Zeitraum, in dem die evangelische Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum das Laufen lernte.
H.s erster Beitrag stammt aus dem Jahr 1986 – zur Erinnerung, Arthur Rich hat im Jahr 1984 den ersten Band seiner Wirtschaftsethik vorgelegt. Doch die konkreten Fragestellungen, die sich mit der Etablierung der Wirtschaftsethik innerhalb evangelischer Sozialethik ergeben haben, beschäftigen H. eher weniger. Die Bandbreite seiner Beiträge – es sind vor allem Vorträge und Referate vor den unterschiedlichsten Auditorien – und der in ihnen besprochenen Fragestellungen reicht von dem Problemzusammenhang »Religion und Wirtschaft« über »Beobachtungen und Erwägungen zu J. M. Buchanans vertragstheoretischer Sozialphilosophie« bis zu »Sozialethische[n] Überlegungen zum Alterssicherungssystem«. Neun Beiträge rechnet er selbst unter Fragestellungen, die »sich mit unterschiedlichen Aspekten der Grundlegungsproblematik« befassen, wobei er bei dieser anfänglichen summarischen Aussage nicht ganz deutlich macht, was er denn »grundlegen« möchte (XXII). Schnell wird dem Leser je doch klar, dass jeder dieser Beiträge für sich steht, der gemeinsame Nenner die Beschäftigung mit dem Thema »Wirtschaft« ist.
Die übrigen sechs Beiträge sind der angewandten Ethik zuzurechnen und beziehen sich »auf aktuelle Themen der wirtschaftspolitischen Praxis« (XXII). Die Fragestellungen, die H. in den Jahren 1991 bis 2001 anspricht, betreffen die Globalisierung (253–283), die Erwerbsarbeit (284–303), die Sozialgesetzgebung (304–326), Armut und Reichtum (327–349) und, wie schon erwähnt, das Alterssicherungssystem (350–364). Es würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, alle Beiträge einzeln zu würdigen. Andererseits gibt es ob des jeweils sehr spezifischen Vortragscharakters zu verschiedenen Anlässen, die wenig gemein haben, und der daraus resultierenden Heterogenität kaum systematisch ausgearbeitete übergreifende Linien, die aufzuweisen wären. Es geht H. im ersten Teil sicher um die Grundlegung einer theologisch begründeten Wirtschaftsethik, wie drei der Aufsätze aus den Jahre 1986 bis 1991 deutlich machen. Eine Auseinandersetzung mit den vorgelegten ethisch-theologischen Entwürfen wie Richs Wirtschaftsethik in den frühen Jahren – oder später mit Friedhelm Hengsbach –, um nur diese beiden zu nennen, unterbleibt, auch wenn H. die Grundlegung einer theologischen Wirtschaftsethik innerhalb der Bandbreite der vorgelegten Beiträge im Blick hat. Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit einer philosophisch gegründeten Wirtschaftsethik wie der Peter Ulrichs, die für den deutschsprachigen Raum so relevant geworden ist.
Ein wichtiger Beitrag zur Diskussion scheint mir die mehreren Texten implizite und an einigen Stellen auch explizierte Mahnung, dass christliche Ethik ihre Aufgabe als theologische Gesellschaftstheorie nur dann erfüllen kann, wenn sie sich der Auflösung des Ethikdiskurses widersetzt und der Separierung des Diskurses in unterschiedliche Bereichsethiken nicht Vorschub leistet. Dieser Prozess ist im Jahr 2004 in den Zusammenhängen von Ethik und Ökonomik einerseits und Ethos und Wirtschaft andererseits noch weiter fortgeschritten als zur Zeit der Abfassung der grundlegenderen Beiträge von H. Insofern vermisst der Leser eine konkrete Auseinandersetzung mit der Vielzahl unternehmens- und wirtschaftsethischer Beiträge der letzten Jahre. Eine Ausnahme bietet die Auseinandersetzung mit der Position und dem Anspruch Karl Homanns auf eine Grundlegungskompetenz der Wirtschaftswissenschaften für die Ethik. H. macht seine berechtigte Fundamentalkritik an Homanns Aufsatz über die »Ökonomik. Fortsetzung der Ethik mit anderen Mitteln« fest. Die verheerenden Auswirkungen der »imperialistischen« Position Homanns für den Diskurs von Ethik und Ökonomik werden scharfsinnig herausgearbeitet. Ein Bezug zu dem Lehrbuch Homanns (F. Blome-Drees/K. Homann, Wirtschaftsethik und Unternehmensethik, 1992) wäre wünschenswert gewesen, da das Taschenbuch diesen Anspruch Homanns nicht nur weit verbreitet, sondern auch von Studierenden wie von interessierten Praktikern und vielen Wirtschaftswissenschaftlern als das ethisches Grundlagenwerk zur Wirtschaftsethik gelesen wird.
Zwei weitere wichtige Punkte von H. möchte ich in diesem Zusammenhang benennen: seine Kritik am Rationalitätskonzept der Ökonomik, das die »komplexe Struktur der Lebensgegenwart« verstellt (35–53), und die Betonung der Notwendigkeit einer Grundlagenrevision innerhalb der Ökonomik, eine »Revision ihrer gegenstandskonstruktiven Leitbegriffe« (177). Die Reichweite und Grenzen einer ökonomischen Theoriebildung ergeben sich aus Grundsatzentscheidungen, die mit der jeweiligen Wirklichkeitswahrnehmung zusammenhängen. Welche Problembeschreibungen empirisch wahrgenommen werden, so H., »entscheidet sich an den für sie faktisch leitenden fundamentalanthropologischen – also situationsübergreifend gültigen, kategorialen – Einsichten in die Existenzverfassung personaler Individuen« (176).

H. erwähnt in einem seiner Beiträge das Diktum Klaus Lefringhausens aus dem Jahr 1971, in der theologischen Literatur sei keine systematische, sozial- und wirtschaftstheoretische Orientierung zu finden. H. befand dies Urteil auch 1986 noch für gültig. Den von H. vorgelegten Sammelband unterschiedlichster Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialethik betrifft jenes Diktum jedoch ebenso. Aus der Perspektive des 2004 erreichten Standes des wirtschaftsethischen Diskurses theologischer Ethik ist der Aufsatzband vor allem in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht interessant.
Eine Schwierigkeit der »Wirtschaft des Menschen« liegt in dem immer stärker in Mode kommenden Versteckspiel der Verlage, die bei der Aufmachung von Sammelbänden aus ökonomischen Gründen den Eindruck einer Monographie erwecken wollen. Das ist nicht nur ärgerlich, es stellen sich auch andere Erwartungen an eine solche als an einen Sammelband, der über einen längeren Zeitraum verstreut publizierte Vorträge vorlegt.
Störend fällt bei der Lektüre des Bandes das Fehlen eines Personenregisters auf.