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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1352 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Petzel, Paul, u. Norbert Reck [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Erinnern. Erkundungen zu einer theologischen Basiskategorie.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. 304 S. 8°. Geb. € 42,00. ISBN 3-534-16878-X.

Rezensent:

I. U. D.

Seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird das Thema Erinnerung in der katholischen und evangelischen Theologie Deutschlands intensiv verhandelt. Ein Grund dafür ist die unvermeidliche Auseinandersetzung mit der Shoah. Angesichts der zu Ende gehenden Zeit der Zeitzeugen setzt sich der von P. Petzel und N. Reck herausgegebene Band das Ziel, »theologisch der Formierung eines kollektiven Gedächtnisses der Shoah zuzuarbeiten« (8).
In vier Abteilungen bieten die Herausgeber dazu 17 Beiträge vorwiegend katholischer Autorinnen und Autoren, deren Ausführungen sich keineswegs auf einen Nenner bringen lassen. ›Biblische Bezugspunkte‹ des Erinnerns in Israel und des frühen Christentums rufen Irmtraud Fischer und Luzia Sutter Rehmann in Erinnerung. Die Abteilung ›Systematische Reflexionen‹ mit hermeneutischen, kommunikations- und kulturtheoretischen Überlegungen wird durch einen lesenswerten Beitrag E. Arens (Anamnetische Praxis. Erinnern als elementare Handlung des Glaubens) eröffnet und mit Texten von K. Wenzel, P. Petzel und B. Taubald fortgesetzt. In einer dritten Abteilung werden ›Außenperspektiven‹ aus dem interkulturellen (H. Waldenfels) und interreligiösen Dialog vor allem mit jüdischen Denkern geboten. So verfolgt N. Klein das Thema anhand der Erinnerungspolitik in Südafrika, G. Taxacher im Gespräch mit E. L. Fackenheim, R. Buchholz in Überlegungen zu W. Benjamin und P. Zeillinger im Nachzeichnen der einschlägigen Überlegungen von J. Derrida. Die letzte Abteilung ›Kritik der Theologie – Kritik der Praxis‹ konzentriert sich auf theologische, liturgische und praktische Aspekte des Erinnerns. H. R. Schlette setzt sich mit dem Konzept einer anamnetischen Vernunft auseinander, F. Senn mit Metz und Rahner, A. Pangritz mit der »Domestizierung von Erinnerung in der kirchlichen Abendmahlslehre«, F.-W. Marquard fragt, »Wie die Schuld bei den Evangelischen eine Frage wurde«, D. Schellong reflektiert über die »Schwierigkeiten, vergangener Schuld zu gedenken« und N. Reck bietet »Beobachtungen zur objektivierenden und reflexiven Formen der Erinnerung«. Statt mit leider fehlenden Registern schließt der Band mit knappen Informationen über die Autorinnen und Autoren.
Wer sich über den Stand der katholisch-theologischen Diskussion des Erinnerungsthemas im deutschsprachigen Raum informieren will, wird diesen Band mit Gewinn lesen. Dass die verschiedenen Beiträge zur ›Formierung eines kollektiven Gedächtnisses der Shoah‹ beitragen, wird man freilich bezweifeln dürfen. Dazu sind sie theologisch sowohl zu disparat als auch zu eng geführt. Zu markant und unproblematisiert dominiert der Täter-Opfer-Dual, in dessen Horizont sich keineswegs alles Wichtige zum Thema Erinnern sagen lässt. Und nur gestreift (19), aber nicht wirklich durchdacht wird die theologisch zentrale Einsicht, dass es beim Erinnern zuerst und zuletzt nicht um unser Gedenken geht, auch nicht um unser Gedenken Gottes, sondern um Gottes Gedenken an uns.