Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1346–1348

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Krienke, Markus

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Liebe bei Antonio Rosmini.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2004. 827 S. gr.8° = Ursprünge des Philosophierens, 9. Kart. € 30,00. ISBN 3-17-018292-7.

Rezensent:

Christian Danz

Markus Krienke kommt das Verdienst zu, mit seiner im Jahre 2003 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München angenommenen Dissertation über Wahrheit und Liebe bei Antonio Rosmini einem breiteren Publikum einen Denker zugänglich gemacht zu haben, der in Deutschland kaum bekannt ist. Rosmini, 1797 in Rovereto geboren und 1855 in Stresa gestorben, war nicht nur der Begründer des Instituto della Carità (Rosminianer), sondern auch eine der wichtigsten Gestalten der Rezeption des deutschen Idealismus in Italien. Schon frühzeitig mit den Werken Kants vertraut, gehörte er zu den Ersten, die Hegel in Italien rezipiert haben (255). Auf Grund seiner Faszination von der deutschen Philosophie wurde er von Freunden und Gegnern als »italienischer Kant« apostrophiert. Die Eigenart seiner Rezeption des deutschen Idealismus liegt jedoch darin, dass er diese mit der metaphysischen Tradition des christlichen Denkens zu verbinden sucht. Rosmini setzt methodisch zwar mit der neuzeitlichen Philosophie bei dem menschlichen Erkenntnisvermögen ein, jedoch mit der Intention, den neuzeitlichen Subjektivismus zu überwinden. Durch eine Erneuerung der christlichen Metaphysik soll die Wahrheit und Integrationskraft des Christentums auf dem Hintergrund der sich abzeichnenden Folgen des Modernisierungsprozesses, insbesondere des mit diesem verbundenen Relativismus und Subjektivismus zur Geltung gebracht werden. Die Bedeutung Rosminis, des »guten Mönche[s] von Stresa« (729, Anm. 12), wie Schelling ihn genannt haben soll, für die italienische Rezeption der deutschen Philosophie ist umgekehrt proportional zu dessen Würdigung im deutschsprachigen Raum. Bisher liegen nur wenige Schriften Rosminis in deutscher Übersetzung vor.
K. legt nun die erste deutsche werkgeschichtliche Gesamtdarstellung des thematisch weit gespannten Œuvres von Rosmini vor. In engagierter Weise bietet das Buch nicht nur eine minutiöse und facettenreiche Rekonstruktion seines Werkes unter Einbeziehung der Philosophiegeschichte von der Antike bis zum deutschen Idealismus, sondern ebenfalls eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der hauptsächlich italienischen Rosmini-Literatur. Damit leistet K. auch einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Rezeptionsgeschichte der deutschen klassischen Philosophie in Italien. Angesichts dieser Fülle des Stoffes kann im Folgenden lediglich auf einige Grundzüge des umfang reichen Buches von K. eingegangen werden. Dies betrifft vor allem die ontologische Grundlegung des Wahrheits- und Liebesbegriffs Rosminis sowie die hiermit verbundenen Probleme.
Der Aufbau der Untersuchung resultiert konsequent aus dem leitenden Erkenntnisinteresse der Studie, das Verhältnis von Wahrheit und Liebe im Werk Rosminis zu untersuchen. Einsetzend mit einer werkgeschichtlichen Untersuchung des Wahrheitsbegriffs (113–) wird in dem zweiten Kapitel der Liebesbegriff von Rosmini rekonstruiert (349–482). Das ab schließende dritte Kapitel beschäftigt sich mit der ontologischen Grundlegung des Wahrheits- und Liebesbegriffs in Rosminis unvollendetem Spätwerk Teosofia (483–723). Ein um - fangreiches Literaturverzeichnis (733–814) dokumentiert die einschlägige Forschungsliteratur und ein Personenregister (815– 827) beschließt den Band. Eine biographische und werkgeschichtliche Einführung (17–112) vermittelt dem Leser einen anschaulichen Eindruck von der Entwicklung Rosminis, den Kontroversen, denen sein Denken und seine Konzeption einer erneuerten christlichen Philosophie in den Partei- und Richtungskämpfen der römischen Kurie sowie des erstarkenden Neuthomismus ausgesetzt waren. Zunächst von Pius IX. gefördert, wurden die Schriften Rosminis vor allem von Jesuiten des Pantheismus und Rationalismus bezichtigt und nach seinem Tode wurden 40 Sätze Rosminis 1888 unter Leo XIII. verdammt.
Im ersten Kapitel der Untersuchung diskutiert K. den Wahrheitsbegriff Rosminis in einer werkgeschichtlichen Perspektive. Einsetzend bei den Jugendschriften geht K. vor allem der Explikation des Wahrheitsbegriffs in Rosminis frühem philosophischen Hauptwerk Nuovo Saggio sull’origine delle idee (= Neue Abhandlung über den Ursprung der Ideen) aus dem Jahre 1830 nach. In Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen italienischen Sensualismus greift Rosmini auf Motive der Kantischen Philosophie zurück, freilich so, dass auch diese selbst ebenso einer Radikalkritik unterzogen wird wie die auf Kant aufbauenden wahrheitstheoretischen Konzeptionen Fichtes, Schellings und Hegels. Rosmini versteht Wahrheit formal als die »Seinsidee – das Formobjekt – des menschlichen Geistes, welche das ihm innewohnende und erleuchtende und ihn somit zu wahrer Erkenntnis befähigende Licht ist« (145). Als solche ist sie transzendent und im göttlichen Sein fundiert (329). Sie wird gewonnen in einem regressiven Aufstieg zum Prinzip der Erkenntnis. Aus der Perspektive dieses Wahrheitsbegriffs deutet Rosmini und mit ihm sein Interpret K. die Kantische Philosophie (223– 252) sowie den auf dieser aufbauenden deutschen Idealismus als Subjektivismus (253–348). Der subjektive Wahrheitsbegriff von Kant und Hegel führe, so das Urteil von Rosmini, geradewegs in den Nihilismus und zur Vergöttlichung des Menschen (333).
Rosminis Liebesbegriff, wie er insbesondere in dessen Schrift Principi della scienza morale (1831 ff.) ausgeführt ist, baut auf diesen ontologischen Wahrheitsbegriff, verstanden als transzendentes Sein, welches unabhängig von der Bewusstseinstätigkeit des Subjekts sein soll, auf. In Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Philosophie und insbesondere in kritischer Absetzung von Kants subjektivistischer Konzeption der praktischen Vernunft versteht Rosmini die Liebe als das moralphilosophische Pendant zu seinem ontologischen Wahrheitsbegriff. Sie ist die aktive Realisierung der Wahrheit und darin die vollkommene Beziehung des Subjekts zum Sein (389). »Liebe bedeutet in diesem Zusammenhang die aktive Antwort des Menschen, die dem moralischen Gesetz folgt, das Sein in seiner Ordnung anzuerkennen.« (402) Der Explikation des ontologischen Grundes von Wahrheit und Liebe in Form einer trinitarischen-relationalen Ontologie ist das dritte Kapitel der Studie gewidmet. Anhand von Rosminis Spätwerk Teosofia geht K. der abschließenden Gestalt von dessen enzyklopädisch ausgerichteter christlicher Metaphysik nach. Behandelt werden das ontologische Problem von Einheit und Vielheit in der antiken Philosophie (492 ff.), im deutschen Idealismus (515–621) sowie bei Rosmini selbst, um schließlich die Konturen einer trinitarischen Ontologie anzudeuten (622 ff.). Die Differenz des Spätwerks zu den frühen Schriften liegt in dem Ausgehen von einem Prinzip als Grundlage eines theoretischen Gesamtsystems der Erkenntnis. Es wird damit kein regressives methodisches Verfahren mehr befolgt wie im Nuovo Saggio, sondern ein deduktiv-progressives. Die Teosofia stellt ein System des Seins dar, welches Ontologie, rationale Theologie und Kosmologie umfasst.
K. legt mit seinem Buch eine umfangreiche, detaillierte und kenntnisreiche Darstellung des Werkes des Roveretaners vor. Er verbindet mit dem Werk von Rosmini einen hohen Anspruch. Dieser habe nicht nur die »›christliche Philosophie‹ auf die Höhe der philosophischen Reflexion seiner Zeit geführt«, sondern dessen Werk stehe gleichsam auf Augenhöhe mit der Philosophie Hegels. »Soll ›nach Hegel‹ überhaupt noch christliche Metaphysik möglich sein, so muß diese – und das ist die Konsequenz aus diesen Überlegungen – bei Rosmini ansetzen.« (725) Allerdings wird man fragen können, ob der hohe Anspruch, den K. mit der Erneuerung einer christlichen Philosophie durch Rosmini verbindet, auch wirklich überzeugt. Rosmini erneuert eine metaphysische Philosophie, welche den kritischen Einwänden Kants kaum standzuhalten vermag. Die von ihm vorgenommene Konstruktion der Wahrheit als einer in dem Sein Gottes fundierten Idee, welche unabhängig von der menschlichen Denktätigkeit sein soll, wirft die Frage auf, für wen diese Wahrheit ist. Auch sie ist gesetzt als nicht-gesetzt. Dieser Schwierigkeit entgeht auch nicht die Unterscheidung zwischen einer in der aktiven Denktätigkeit des Subjekts gründenden Wahrheit im deutschen Idealismus und einer gleichsam passiven Erschlossenheit der Wahrheit (337; vgl. auch das »Prinzip der Passivität«, 353 ff.). Diese Alternative ist viel zu abstrakt und wird auch kaum dem Problembewusstsein von Denkern wie Fichte, Schelling oder Hegel gerecht. Auch die von Rosmini vorgenommene Deutung der Philosophie Kants und des deutschen Idealismus als subjektivistisch vermag nur schwerlich zu überzeugen und gewinnt Plausibilität nur dann, wenn man eine ontologische Grundlegung der Philosophie für wünschenswert und erschwinglich ansieht. Um deren argumentative Begründbarkeit dürfte es jedoch unter den Erkenntnisbedingungen der Moderne schlecht bestellt sein. Der angedeuteten Schwierigkeiten ungeachtet liegt der Wert der Studie darin, die Anfänge der katholischen Idealismusrezeption in Italien in einer gut lesbaren Form aufgearbeitet zu haben.