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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

347–350

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bendor, S.

Titel/Untertitel:

The Social Structure of Ancient Israel. The Institution of the Family (beit ’ab) from the Settlement to the End of the Monarchy.

Verlag:

Jerusalem: Simor 1996. 348 S. 8° = Jerusalem Biblical Studies, 7. ISBN 965-242-007-9.

Rezensent:

Frank Crüsemann

Es handelt sich um eine bereits 1982 bei Abraham Malamat an der Hebrew University of Jerusalem vorgelegte hebräische Dissertation, die erst 1996 in englischer Übersetzung erschienen ist. Da eine Überarbeitung, wie nicht zuletzt auch das Literaturverzeichnis erweist, jedenfalls keine Auseinandersetzung mit der seitherigen wissenschaftlichen Diskussion zur Sozialgeschichte des biblischen Israel einschließt, repräsentiert sie im Grunde die damalige Forschungslage. Sie gehört somit in den Umkreis einer ganzen Reihe von Arbeiten, die Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre in Auseinandersetzung mit Klassikern wie Max Weber und Albrecht Alt und unter Aufnahme neuer ethnologischer Forschungen ein verändertes Bild des antiken Israel entwarfen.

Die Arbeit besteht ­ abgesehen von einem ausführlichen Glossar (17-29) sowie Literaturverzeichnis und Registern (285-348) ­ aus einer kurzen Einleitung (31-41) mit Hinweisen zu den Grenzen des Vorhabens und zur Methodik (s. u.) und drei Hauptteilen. Im I. "The beit ’ab ­ Kinship Group and Vital Social Unit" (45-118) wird zunächst der Bedeutung und der inneren Struktur des beit ’ab an Hand eines breiten Belegmaterials nachgegangen. Es handelt sich um die sehr dynamische Gestalt einer extended family, die in der Regel drei bis vier Generationen umfaßt, also vor allem auch die bereits erwachsenen Söhne mit ihren Familien. Dabei erweist sich Lev 18 als eine besonders ergiebige Quelle (Kap. 4 u. 5).

Für besonders instruktiv und weiterführend halte ich einerseits die Beobachtungen zu unterschiedlichen Perspektiven und daraus folgenden wechselnden Bezeichnungen der gleichen sozialen Größe, je nachdem z. B. Väter oder Söhne im Blick bzw. angeredet sind (Kap. 3), und andererseits diejenigen zur Abgrenzung zur mispaha (Kap. 6.1), für die ein überzeugendes theoretisches Modell entwickelt wird, wonach das jeweilige beit ’ab als ein im Lauf von Zeit und Generationen wechselnder Ausschnitt aus einem größeren genealogischen Zusammenhang erscheint (Diagramm, 71). Gerade hier vermißt man aber eine die genealogischen Aspekte konkretisierende sozialgeschichtliche (und archäologische) Perspektive zur Erhellung der realen Familiensituation.

Sind Familie und Sippe in der untersuchten Zeitspanne vitale und aktive Größen, so gilt das nicht gleichermaßen für den "Stamm" (sebet), der vielmehr neben seiner eher theoretischen genealogischen Bedeutung faktisch nur eine geographische Bezeichnung darstellt (Kap. 7). Überzeugend sind die Hinweise dazu, daß zwischen verwandtschaftlichen Strukturen und lokalen Größen kein grundsätzlicher Gegensatz angenommen werden kann, wie es oft geschehen ist; zumal ererbter Landbesitz die Lebensgrundlage der Familien darstellt (Kap. 9). Für steuerliche und vor allem militärische Zwecke sei, so die These von Kap. 10, mit einer schriftlichen Aufzeichnung der Sippen und ihrer Mitglieder zu rechnen, wiewohl entsprechende Belege ausschließlich in späten, d. h. chronistischen Texten überliefert sind.

Der 2. Teil "The Structure of the beit ’ab, its internal Development and the Tensions within it" (121-204) geht den internen Problemen derartiger Familien nach, insbesondere den möglichen zeitlichen Entwicklungen und Veränderungen einzelner Häuser (zu unterscheiden von eventuellen historischen Verschiebungen, dazu unten) sowie ihren internen Konflikten. Ausgangspunkt ist zunächst der Nachweis, daß nicht das beit ’ab, sondern die eigentliche Kernfamilie aus einem Paar mit ihren Kindern die kleinste soziale Einheit darstellt (Kap. 1), mit möglichen Interessenkonflikten zu den größeren Einheiten. Interessant ­ und wahrscheinlich ausbaufähig ­ ist der Versuch, verschiedene Elemente des Familienbesitzes wie Herden, Weinberge und Felder auf ihre Beziehung zu den Teilgrößen der familiären Struktur hin zu untersuchen (Kap. 3).

Eine Reihe von Texten führt sodann zu der relativ vorsichtig vorgetragenen Annahme, daß es bis in die Königszeit eine periodische Neuverteilung von Teilen des Landbesitzes gegeben habe (Kap. 4 u. 5). Recht überzeugend ist dagegen das Material über typische Entwicklungsverläufe (Kap. 6) sowie über typische interne Konflikte, wie die zwischen dem Erstgeborenen und den weiteren Söhnen, zwischen Söhnen und Vätern etc. (Kap.7). Zusammen mit den Hinweisen auf weitere massive Sozialkonflikte innerhalb des familiären Kontextes (s. u.) wird so jeder Idealisierung einer Familienidylle überzeugend ein Riegel vorgeschoben.

Im 3. Teil "The Kinship Structure and Developments in Israelite Society" (207-283) wird die Auseinandersetzung mit damals dominanten und übergreifenden Theorien zur sozialen Entwicklung des antiken Israel aufgenommen, wie sie insbesondere von Weber und Alt geprägt wurden. Überzeugend werden dabei einerseits alle Theorien zurückgewiesen, die die große Bedeutung der verwandtschaftlichen Strukturen als Relikte einer nomadischen Vorgeschichte erklären. Sie hängt vielmehr unmittelbar mit den bäuerlichen Lebensbedingungen selbst zusammen. Ebenso werden andererseits alle Thesen kritisiert, die eine Überwindung oder jedenfalls starke Zurückdrängung der verwandtschaftlichen Gegebenheiten durch den Staat bzw. durch die sozialen Krisen der Königszeit meinen annehmen zu sollen. Demgegenüber werden typische soziale Konflikte, gerade auch solche, wie sie der prophetischen Sozialkritik zugrundeliegen oder wie sie in den Rechtstexten behandelt werden, als Auseinandersetzungen innerhalb einer weiterbestehenden und im Kern nicht in Frage gestellten familiären Lebensweise behandelt. Vor allem zu einigen prophetischen Texten wie Jes 5,8 finden sich dabei anregende Beobachtungen.

Die Stärke des Buches liegt sicher vor allem darin, daß für die zuletzt genannten Grundfragen ein breites und überzeugendes Material bereit gestellt und mit anerkannten ethnologischen Theorien und Begriffen interpretiert wird. Sind derartige Thesen heute auch nicht mehr neu, so unterstützen sie doch überzeugend weitgehend bereits akzeptierte Auffassungen. Auch zu einer Reihe weiterer Einzelfragen, wie sie oben im Referat unterstrichen wurden, liegen wichtige und überzeugende Beobachtungen vor. Zwar hat B. nahezu alles Material des Alten Testaments über die israelitische Familie und ihre Struktur ausgewertet und herangezogen, aber doch mit derart begrenzten Fragestellungen, daß keinesfalls so etwas wie ein Handbuch zum Thema vorliegt. Das hängt einmal an den engen Grenzen der Untersuchung, wie sie in der Einleitung selbst genannt werden (bes. 32).

So fehlen als fundamentale Aspekte alle Fragen von Status und Rolle der Frauen, wozu inzwischen bekanntlich viele wichtige Untersuchungen vorliegen, es fehlen aber weiter neben sämtlichen psychologischen Aspekten auch nahezu alle Fragen von Recht und Ökonomie, abgesehen von einigen Grundaspekten der Eigentumsformen.

Das hängt zum anderen aber an der Hauptschwäche des Buches, nämlich am Verzicht auf alle möglichen oder doch jedenfalls erfragbaren Differenzierungen in sozialer und vor allem zeitlicher Hinsicht. Das betrifft in erster Linie die Bewertung und Einordnung der herangezogenen alttestamentlichen Texte als Hauptquellen. Der im Titel genannte große Zeitraum von der Seßhaftwerdung bis zum Ende der Königszeit wird in praktisch jeder einschlägigen thematischen Hinsicht als Einheit angesehen. Die ­ prinzipiell berechtigte ­ Hauptthese, die Familie sei die unbestrittene Grundlage gerade auch der Gesellschaft der Königszeit gewesen, und mit ihr die Zurückweisung aller Hypothesen über Eingriffe des Staates in die traditionelle Rolle der Sippen, führt dazu, die Frage nach möglichen Veränderungen in dieser Zeitspanne gar nicht ernsthaft zu stellen. Methodisch hängt dies untrennbar mit dem Verzicht auf nahezu jede genauere historische Verortung der Quellen zusammen; und das gilt auch für die damalige Forschungssituation, ganz unabhängig von allen neueren Datierungsdebatten.

Erweisen sich nämlich mit den Genesistexten eigentlich alle Teile des nichtpriesterlichen Pentateuch als sachlich übereinstimmend mit Überlieferungen zu Richter- und Königszeit und können somit uneingeschränkt für die untersuchten Perioden ausgewertet werden (bes. 46), so sind es eigentlich nur die eindeutig exilisch-nachexilische Texte des Alten Testaments, die nicht ohne weiteres als Quellen benutzt werden können. Doch wird für viele und zwar gerade für häufig berührte und thematisch tragende Texte wie für Lev 18 und 25, für Num 27 und 36 die Datierungsfrage überhaupt nicht thematisiert. Bereits damit erweist sich das hier entworfene Bild der israelitischen Familie als ein Mosaik aus Bausteinen, die nach einem recht breiten wissenschaftlichen Konsens ganz unterschiedlichen Zeitaltern entstammen. Die dabei vorausgesetzten traditionsgeschichtlichen Thesen werden nur an wenigen Stellen und dazu recht schematisch explizit angesprochen.

Entsprechendes gilt aber auch für Texte, die nach Meinung des Autors eindeutig der exilisch-nachexilischen Zeit entstammen, wie die priesterschriftlichen und vor allem die der Chronik. Auch sie werden in vielen Fällen zur Ergänzung der vorgetragenen Sicht herangezogen. Sicher ist dem Grundsatz, daß auch in jüngeren Texten alte Überlieferungen stecken können (bes. 37 f.), prinzipiell zuzustimmen, dennoch müssen dafür ja jeweils Anhaltspunkte gegeben sein. Hier wirkt sich vor allem der völlige Verzicht darauf, Veränderungen in der Struktur der Familie doch wenigstens für die ­ im Detail nicht mehr untersuchte ­ exilisch-nachexilische Zeit grundsätzlich ins Auge zu fassen, so aus, daß die Entscheidungen darüber, welche Elemente der chronistischen Darstellung als ältere Überlieferungen aus der Königszeit anzusehen sind, als relativ willkürlich erscheinen. Der forschungsgeschichtliche Abstand, der uns von der Entstehungszeit des Buches trennt, läßt sich deshalb beispielhaft auch daran erkennen, daß von den einschlägigen Arbeiten z. B. J. P. Weinbergs zur Chronik ein einziger Aufsatz über das beit ’abot der nachexilischen Zeit zwar im Literaturverzeichnis genannt, aber in der Arbeit selbst faktisch nicht berücksichtig wird.