Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1339–1341

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Brodd, Birgitta

Titel/Untertitel:

Var Sveriges sak också kyrkans? Svenska kyrkans utrikespolitiska aktivitet 1930–1945. En tidslägesorienterad analys.

Verlag:

Skellefteå: Artos & Norma Bokförlag 2004. 670 S. gr.8°. Kart. SEK 324,00. ISBN 91-7217-071-9.

Rezensent:

Heinrich Holze

Birgitta Brodd hat mit ihrer Dissertation, die im Herbst 2004 an der Universität Uppsala verteidigt wurde, eine wichtige und anregende Arbeit zur kirchlichen Zeitgeschichte vorgelegt. Wer sie zur Hand nimmt, wird sie trotz der fast 700 Seiten nicht so schnell wieder fortlegen. Das ergibt sich aus der Thematik, die 60 Jahre nach Kriegsende unverändert aktuell ist und zur Auseinandersetzung herausfordert. Der Titel ist Programm: »War die Sache Schwedens auch die der Kirche?« B. nähert sich dieser Frage, mit der die Haltung der schwedischen Kirche in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus einer kritischen Analyse unterzogen wird, indem sie sich nicht auf eine Dokumentation der innerkirchlichen Stellungnahmen beschränkt, sondern den Blick darauf richtet, wie das Handeln der schwedischen Kirche von außen wahrgenommen wurde. Erkenntnisleitend sind drei Fragestellungen: 1. Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Kirche, Regierung und Reichstag hinsichtlich der außenpolitischen Aktivitäten der Kirche? 2. Wann und warum mischten sich die deutsche und die englische Regierung in das Handeln der schwedischen Kirche ein? 3. Wie stellte sich das schwedische Außenministerium zu den Außenkontakten der schwedischen Kirche?
Zur Beantwortung dieser Fragen unterzieht B. nicht nur das in den Archiven der Außenministerien in Berlin, London und Stockholm vorhandene Quellenmaterial eingehenden Analysen. Sie unternimmt es zugleich, mit Hilfe des Instrumentariums der mentalitätsgeschichtlichen Methode das geistige und gesellschaftliche Umfeld, in dem die schwedischen Pfarrer, Bischöfe und Synoden standen, zu erhellen. Dahinter steht die Ansicht, dass es nicht nur theologische Überzeugungen und kirchenpolitische Argumente waren, die das Handeln der kirchenleitenden Personen gesteuert haben, sondern tiefer liegende, in der Mentalität der Gesellschaft begründete Motive (11–65). Um sie zu erheben, geht B. in den ersten drei Kapiteln der Untersuchung den politischen, den kulturellen und den kirchlichen Prägungen der schwedischen Gesellschaft in den 1930er und frühen 1940er Jahren nach. Dabei werden schwierige Themen wie der Einfluss nazistischer Ideologien in Schweden nicht ausgespart. Es entsteht das Bild einer Gesellschaft, die sich in einer gleicher maßen geistigen wie ökonomischen Krise befindet und sich an nationalistischen Traditionen orientiert (66–199). Kapitel 4 behandelt den seit dem 19. Jh. bestimmenden Einfluss der deutschen Kulturpolitik, der in Schweden zu einer starken »Germanophilie« führte, die erst im Laufe der 1930er Jahren durch Einflüsse aus dem angelsächsischem Raum zurückgedrängt wurde (200–232). Kapitel 5 liefert eine eingehende Analyse der schwedischen Bischofsbriefe und ihrer Aussagen zur Lage in Staat und Gesellschaft, zur Krise der Kirche und schließlich zum Kriegsausbruch. Anfängliche Sympathien für Deutschland wurden, je mehr über die Gewaltübergriffe bekannt wurde, von wachsender Kritik überlagert. Die Kirche sah sich loyal an der Seite des Staates und nahm im Übrigen eine unpolitische Haltung ein (233–258). Kapitel 6 greift das aus Sicht der schwedischen Kirche besonders sensible Problem der vom Nationalsozialismus beeinflussten und in entsprechenden Organisationen engagierten Pfarrer auf. Auch wenn es sich nur um geringe Zahlen handelt – man rechnet mit 5 % im Durchschnitt – ist der Sachverhalt auffällig und da durch, dass er mit Namen untermauert wird, geeignet, neue Diskussionen auszulösen (259– 294). Kapitel 7 behandelt die Zentralperson der schwedischen Kirche in den 1930er/1940er Jahren: Erzbischof Erling Eidem. Dessen Haltung wird seit langem – zumal im Vergleich mit dem standhaften Auftreten des Osloer Bischofs Eivind Berggrav – mit kritischen Augen gesehen.
B. macht deutlich, dass dieses Urteil unhistorisch ist und an der Person und ihren Möglichkeiten vorbei zielt. Eidem war ein Mann der leisen Töne, der stillen Diplomatie und des persönlichen Gesprächs. Vom Luthertum der Zwei-Regimenten-Lehre geprägt spiegelt sich in seiner Persönlichkeit der in Schweden herrschende unpolitische, konservative Zeitgeist (295–324). Kapitel 8 bildet der Sache und dem Umfang nach mit fast 200 Seiten den Hauptteil der Arbeit. Aufbauend auf den vorangegangenen Analysen beschreibt B. darin die außenpolitischen Aktivitäten der schwedischen Kirche und die Reaktionen, die diese bei den Regierungen in Deutschland und in England ausgelöst haben. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen die Stellung der schwedischen Kirche zum deutschen Kirchenkampf und zu den Judenverfolgungen, der Besuch von Erzbischof Eidem bei Hitler 1934, der Friedensappell der schwedischen Bischöfe 1936, der Ausbau der angelsächsischen Kontakte der schwedischen Kirche und der Besuch von Bischof Bell in Schweden 1942 (325–483).
Insgesamt zeigt sich, wie Kapitel 9 zusammenfassend erläutert, dass die Repräsentanten der schwedischen Staatskirche weitgehend von den Werteorientierungen ihrer Gesellschaft geprägt waren und in Übereinstimmung mit ihnen gehandelt haben. Daraus erklärt sich die Loyalität gegenüber der Neutralitätspolitik der Regierung ebenso wie der Verzicht auf eine theologisch begründete, eigenständige kirchliche Position etwa in der Flüchtlingsfrage. Die Untersuchung schließt darum mit der Feststellung, dass die Ausgangsfrage, ob die Sache Schwedens auch die der Kirche gewesen ist, bejaht werden muss (484– 517). Eine ausführliche englische Zusammenfassung ermöglicht es den Lesern außerhalb des schwedischen Sprachraums, die Argumentation und Ergebnisse der Arbeit nachzuvollziehen (518–558). Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis gibt Einblick in die Fülle des Materials, das in die Untersuchung eingeflossen ist (624–654). Es handelt sich, wie im Vorangehenden gezeigt wurde, um eine beeindruckende Leistung der schwedischen Kirchengeschichte. Die Methode und die Quellenanalyse sind maßstabsetzend. Auch die deutsche und die englische Zeitgeschichtsforschung erhalten durch die Arbeit von B. wichtige Impulse.