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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1332 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Jensen, Anne

Titel/Untertitel:

Frauen im frühen Christentum. Unter Mitarbeit v. L. Neureiter.

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt a. M.-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. LXXX, 319 S. gr.8° = Traditio Christiana, 11. Geb. € 72,40. ISBN 3-906767-53-1.

Rezensent:

Silke Petersen

Das vorliegende Buch der Leiterin des Instituts für ökumenische Theologie, ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie an der Universität Graz steht im Kontext zahlreicher anderer Studien der Vfn. zum Thema (vgl. besonders: Gottes selbstbewußte Töchter. Frauenemanzipation im frühen Christentum?, Freiburg u. a. 1992; Münster 22002). Das Buch besteht aus zwei aufeinander bezogenen Teilen: einer thematischen Hinführung einerseits und einer Quellensammlung andererseits. Dabei nimmt die zweisprachige Zusammenstellung von zentralen Texten zum Thema mehr als drei Viertel des Gesamtumfanges in Anspruch. In beiden Teilen des Buches wird das Material jeweils in drei Kapiteln strukturiert: I. Lebensentwürfe von Frauen; II. Theorien über Frauen und III. Exemplarische Gestalten. In den Quellenteil sind zu Beginn noch zusätzlich neutestamentliche Textausschnitte aufgenommen, wobei die Auswahl hier ausschließlich auf Texte aus Briefen zurückgreift. Das Buch schließt mit vier Registern (biblische Zitate und Anspielungen; altchristliche Quellen; Sach- sowie Namenregister).
Nicht nur die drei Hauptkapitel, sondern auch ihre jeweiligen Unterabschnitte entsprechen sich in beiden Teilen des Buches. So findet sich etwa im ersten Teil im Abschnitt über »Exemplarische Gestalten« eine kurze Einführung zu Makrina und im entsprechenden Abschnitt des Textteiles sind die zugehörigen Quellen über sie zusammengestellt (hier Auszüge aus Schriften Gregors von Nyssa). Bei den übrigen »Exemplarische[n] Gestalten« (Proba, Marcella, Olympias, Pulcheria) wird ebenso verfahren; Ähnliches gilt im Hinblick auf die beiden anderen thematischen Kapitel. In »Lebensentwürfe von Frauen« finden sich dabei die Un terabschnitte: Apostelinnen; Prophetinnen; Märtyrerinnen; Asketinnen; Witwen und Diakoninnen; Lehrerinnen; Ehefrauen und Mütter (ergänzen ließen sich Presbyterinnen und Bischöfinnen, vgl. Ute E. Eisen, Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Studien, FKDG 61, Göttingen 1996, 112–137.193–209). Das Kapitel »Theorien über Frauen« enthält die Unterabschnitte: Eva und Maria; Gleichheit und Ungleichheit; Ist die Frau Abbild Gottes?; Das Ideal der »männlichen Frau« sowie Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung.
Während die Entsprechungen von Hinführung und Quellenteil übersichtlich und benutzungsfreundlich sind, so gilt dies nicht gleichermaßen für die Unterteilung des Materials in die drei thematischen Kapitel. So taucht denn auch Makrina nicht nur unter den »Exemplarische[n] Gestalten« auf, sondern ebenso in den beiden anderen Kapiteln, und Texte aus dem Cento der Proba finden sich sowohl im ersten als auch im dritten Kapitel. Maria Magdalena schließlich ist zwar als Apostelin in den »Lebensentwürfe[n]« zu finden, gilt aber nicht als »Exemplarische Gestalt«. Die Schwierigkeiten der Zuordnung lassen fragen, inwieweit die genannte Unterteilung dem Material entspricht: Sind doch die Mehrzahl der Quellen von Männern verfasst und enthalten eine Mischung von deskriptiven, präskriptiven und exemplarischen Ausführungen – eine Trennung in die drei genannten Kapitel ist hermeneutisch schwer durchzuhalten.
Der Quellenteil ist besonders im patristischen Gebiet reichhaltig. Er erspart viel Zeit des Suchens in alten Textausgaben und nach verstreuten Übersetzungen und enthält auch Neu- und Erstübertragungen in die deutsche Sprache, so z. B. aus dem Cento der Proba, aus Schriften des Johannes Chrysostomos und von Quellen über Olympias. Einige Anfragen ergeben sich aber beim Umgang mit früher zu datierenden Texten.

Für die Wiedergabe der griechischen Texte des Neuen Testaments wird auf die 26. Auflage von Nestle-Aland zurückgegriffen; bei der deutschen Übersetzung auf die Einheitsübersetzung (Neuausgabe 2000). Dadurch werden in Röm 16,1 und 16,7 Konjekturen im Text notwendig (»Diakonin« statt »Dienerin« bzw. »Junia« statt »Junias«); bei Röm 16,7 entsteht so ein Widerspruch zum abgedruckten griechischen Text, in dem die Akzentsetzung auf »Junias« und nicht auf »Junia« verweist. Diese Schwierigkeit hätte sich durch die Zitation der aktuellen 27. Auflage von Nestle-Aland vermeiden lassen, wo seit dem 5. korrigierten Druck 1998 die Akzentsetzung inzwischen – dem textkritischen Befund entsprechend – auf die weibliche Form verweist.
Bei der Zitation zweier Abschnitte aus dem Thomasevangelium wird für den Originaltext auf die lateinische Übersetzung aus der Alandschen Synopse von 1976 zurückgegriffen und daraus auch die deutsche Übersetzung zitiert. Es bleibt unklar, warum hier nicht der koptische Text (bei Aland ab der 15. Auflage 1996 im Anhang zu finden) mit einer neueren Übersetzung verwendet wird, zumal im Falle des Mariaevangeliums der koptische Text wiedergegeben ist (auch hier aus einer älteren Textausgabe und mit einer Quellenangabe, die sich im Literaturverzeichnis nicht verifizieren lässt). Dass das Buch seinen Schwerpunkt nicht im Bereich der genannten Texte hat, dokumentiert sich auch im Fehlen neuerer diesbezüglicher Arbeiten im Literatur- und Quellenverzeichnis (so u. a.: Antti Marjanen, The Woman Jesus Loved. Mary Magdalene in the Nag Hammadi Library and Related Documents, NHMS 40, Leiden u. a. 1996; Silke Petersen, »Zerstört die Werke der Weiblichkeit!« Maria Magdalena, Salome und andere Jüngerinnen Jesu in christlich-gnostischen Schriften, NHMS 48, Leiden u. a. 1999; Judith Hartenstein, Die zweite Lehre. Erscheinungen des Auferstandenen als Rahmenerzählungen frühchristlicher Dialoge, TU 146, Berlin 2000; Hans-Martin Schenke u. a. [Hrsg.], Nag Hammadi Deutsch. Eingel. und übers. von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften. 1. Band: NHC I,1–V,1. GCS NF 8, Berlin u. a. 2001; [inzwischen ist auch der 2. Band erschienen: Berlin u. a. 2003]). – Auch an anderen Stellen habe ich mich gefragt, ob hier nicht – statt der überall zugänglichen Texte des Neuen Testaments – einige zusätzliche Literaturangaben hilfreicher wären (so z. B. neuere Veröffentlichungen Elisabeth Schüssler Fiorenzas, oder auch: Bernadette J. Brooten, »Junia … hervorragend unter den Aposteln« [Röm 16,7], in: Elisabeth Moltmann-Wendel [Hrsg.], Frauenbefreiung. Biblische und theologische Argumente, GT.S 12, München 21978, 148–151; Charlotte Methuen, The »Virgin Widow«: A Problematic Social Role for the Early Church?, in: HThR 90, 1997, 285–298).


Der Schwerpunkt des Buches liegt im Bereich der »Patristik«, worauf schon die Auswahl der »Exemplarischen Gestalten« mit den zugehörigen Texten verweist, die aus dem vierten und fünften Jh. stammen. In diesem Bereich bietet das Buch eine wertvolle und benutzungsfreundliche Quellensammlung mit Einführung. Der Titel »Frauen im frühen Christentum« allerdings lässt eine Gesamtsicht auf das Thema erhoffen, die so nicht geboten wird. Hier zeigt sich die Notwendigkeit weiterer Beiträge zum Thema mit je unterschiedlichen Schwerpunkten: Die Aussparungen des vorliegenden Bandes sind eine fast zwangsläufige Konsequenz der Unternehmung, das Material zu »Frauen im frühen Christentum« in einem einzigen – naturgemäß im Umfang beschränkten – Band zu präsentieren.