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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1330–1332

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Haar, Stephen

Titel/Untertitel:

Simon Magus: The First Gnostic?

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2003. XXIV, 385 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 119. Lw. € 98,00. ISBN 3-11-017689-0.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Die Gestalt des Simon Magus erfreut sich in letzter Zeit wieder größeren wissenschaftlichen Interesses, lässt sich an ihr doch gut verfolgen, wie sich religiöse Traditionsbildung im Spannungsfeld zwischen Judentum, Christentum, samaritanischer und paganer Religiosität vollzieht und wie – neben dem frühen Christentum – ein charismatischer Verkündiger einer religiösen Botschaft zum Inhalt der Verkündung seiner späteren Anhänger geworden ist. Ferner eignet sich eine so schillernde und zugleich auch umstrittene Figur wie der Magus Simon hervorragend dazu, gängige Kategorien moderner Forschung auf den quellenmäßigen und methodischen Prüfstand zu stellen. In diese Interessen reiht sich die hier zu besprechende Studie von Stephen Haar ein, die auf einer 2002 unter der Betreuung von Michael Lattke am Studies in Religion Department der University of Queensland (Brisbane, Australien) angefertigten Dissertation basiert. H. ist sich dessen bewusst, dass nicht nur jegliche Suche nach dem Ort und religiösen Profil des »historischen Simon« vor komplexen quellenkritischen Problemen steht, sondern auch kein Konsens darüber herrscht, was denn unter »Gnosis« letztlich zu verstehen sei. Auf diesem Hintergrund möchte H. nicht mehr (aber auch nicht weniger!) als »to further clarify the certainties and uncertainties surrounding the first century C.E. figure of Simon as it (scil. die Forschung) adresses the focal question of whether Simon can be called the first Gnostic« (32).
Nach einer Einführung in Thema und Methode (Kapitel 1, 1–9) und einem Abriss der Forschungsgeschichte (Kapitel 2, 10–32) befasst sich H. zunächst intensiv mit den Quellen (Ka pitel 3, 33–131). Eine sorgfältige Untersuchung antiker Belege für den Terminus magos (33–71) schafft den nötigen Verstehenshorizont, um den Vorwurf, Simon sei mageuon (Apg 8,9) und »Vater aller Häresien« (Irenaeus, Haer I 23,2) gewesen, in ihrem Kontext zu erfassen. Denn genau um dieses Spannungsfeld zweier augenscheinlich unterschiedlicher Vorwürfe aus un abhängigen Quellen geht es H. ja. Der Untersuchungsgang bestätigt die auch von anderen bereits nachgezeichnete begriffliche Entwicklung des Wortfeldes mag- von einer respektvollen Bezeichnung von »practitioners of an alien religion« (vor allem Perser) hin zum polemischen Schimpfwort für reli giöse Aufschneider. Angesichts dieses differenzierten Befunds warnt H. zu Recht vor vereinfachenden Übersetzungen von mageuon mit »Magie praktizieren« (zu Magie in der griechisch-römischen Welt s. auch 134–149) und allzu schablonenhaften Darstellungen Simons als Zauberer und Scharlatan (eine solche Position nennt H. »superficial, selective, and responsible for introducing anachronous ideas that are discordant with the text of Acts«, 192). Erst danach folgt eine recht knappe Diskussion von Act 8,4–25, sie sich zunächst im Wesentlichen auf die Frage vorlukanischer Quellen (ja, aber mündlich) und der Struktur (inclusio der Missionsaktivitäten des Philippus und der Jerusalemer) beschränkt (71–83). Im Anschluss daran untersucht H. die frühchristliche Literatur bis ca. 400 (Justin, Irenäus, Hippolyt, Epiphanius, Pseudo-Clementinen und Petrusakten, 83–131), um die notwendigen Daten zu sammeln, die inhaltlich mit dem »Gnostizismus«-Vorwurf an Simon zusammenhängen. Besonders hilfreich ist die Übersicht »The Changing Shape of Simon in Early Christian Literature« (118–131) mit der Benennung einiger vermutlich vorlukanischer Motive, die zum Teil nicht in Apg begegnen, aber für die historische Bewertung Simons durchaus wichtig sind. Das folgende vierte Kapitel fo kussiert nochmals auf Apg 8,4–25 und stellt die Passage in den synchronen Kontext antiker Vorstellungen von Magie einschließlich anderer neutestamentlicher »Magiertexte« (Apg 13, 4–12; 19, 13–20). Obwohl Lukas die spezifischen Aktivitäten Simons hinter dem Partizip mageuon verbirgt, kann man – so H. – darunter angesichts des antiken Sprachgebrauchs wohl »dream-send ing, divination and forecasting the future, as well as distinctive teaching and lifestyle« vermuten. Immerhin verbindet Lk ma geuon in Act 8,9 nicht mit einem negativen Beiwort wie in 13,6 oder 19,17–19. In diesem Sinne habe Lukas die Tätigkeit Simons weder herunterspielen noch be sonders negativ darstellen wollen (193 f.). Damit ist der Grund bereitet, um in einem letzten, fünften Kapitel die bereits im Titel gestellte Frage zu bearbeiten, ob denn nun Simon wirklich als »Gnostiker« be zeichnet werden kann (228–293). Zunächst klärt H. knapp die Begrifflichkeit (»gnostisch« und »Gnostizismus« müssen um der schillernden Bedeutung willen behutsam gebraucht werden; der moderne Terminus hat sich von der antiken Bedeutung verselbständigt), um dann die Verwendung des Begriffs in verschiedenen Passagen frühchristlicher Literatur (Justin, 1Apol 26,3; Hippolyt, Ref 6,9,1–2a; 6,19,5) auf Reste ursprünglicher Traditionen zu eruieren und seine Wirkung auf andere zu untersuchen (243–293). Ein sechstes und letztes Kapitel bietet Schlussfolgerungen (294–307), eine Bibliographie (309–359) und erfreulich umfangreiche Register von Stellen und modernen Autoren (361–385).
Vielleicht verwundert es nicht, dass H. zum Ende fast selbst zugesteht, dass die Titelfrage eigentlich mehr rhetorisch gemeint ist als als wirkliche, sachliche Alternative. Simons Wirken vereinigt in der Tat Elemente von mageia wie auch von gnosis: »the division in scholarship over Luke’s portrayal in Acts 8 – namely, does downgrade a prominent gnostic figure to a mere magician, or elevate a common magician to a quasi-divine Gnostic fig ure–, is a modern polarization of aspects of Simon’s identity which evidence suggests originally existed in concert rather than in conflict« (295). Nur sind Simons mageia und gnosis nach H. nicht einfach mit »Magie« und »Gnostizismus« gleichzusetzen. Diese Klarstellung ist in jedem Fall zu begrüßen. Erscheinungsformen antiker Religiosität sind in der Tat bunter als unsere Kategorisierungen, selbst wenn diese wie magos oder gnosis letztlich antiken Diskursen entnommen sind. H. ist auch darin Recht zu geben, dass samaritanische Theologumena bei der Eruierung der religiösen und soziologischen Herkunft Simons keine größere Rolle spielen, doch wäre es sicher sinnvoll gewesen, deutlicher zwischen »Samaritanern« im Sinne der Angehörigen der auf den Garizim orientierten Religionsgemeinschaft und »Samariern« im Sinne der vielschichtigen Bevölkerung der Region zu unterscheiden (zu letzteren Gruppe gehörte Simon aller Wahrscheinlichkeit nach).
H.s sorgfältige Analysen der einschlägigen Texte und die Diskussion moderner Forschungsbegriffe machen das Buch zu einem wertvollen Beitrag, der dazu anleitet, vorsichtiger mit religionswissenschaftlichen Termini umzugehen. H. ist zu danken, dass er so ein Stück antiker Religionsgeschichte und eine stets umstrittene und nur uns aus der Sicht der »anderen« entgegentretende Figur mit deutlicheren Konturen versehen hat.