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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1328–1330

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Spanje, T. E. van

Titel/Untertitel:

Inconsistency in Paul. A Critique of the Work of Heikki Räisänen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1999. XVII, 281 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 110. Kart. € 49,00. ISBN 3-16-147188-1.

Rezensent:

Hans Hübner

Ich könnte es mir bei dieser Rezension sehr leicht machen, indem ich wenige Sätze aus dem Schlusskapitel »Evaluation and Conclusions« zitierte und danach sagte: Van Spanje hat weithin Recht. Und ich hätte mit dieser Minirezension ebenso Recht. Doch wäre das unfair, sowohl gegenüber dem Vf. als auch ge genüber Räisänen. Denn diese Dissertation ist eine gute Arbeit, die Anspruch auf ernsthaftes und kritisches Eingehen auf die Argumente ihres Vf.s hat. Ich habe diese Rezension gern geschrieben, und zwar aus doppeltem Grunde: 1. Eine ausführliche und gut begründete Kritik der Paulus-Konzeption Räisänens ist erforderlich (s. meine Kritik von »P. and the Law« in ThLZ 110, 1985, 894–896). 2. Ist auch einerseits eine gründliche, kritische Auseinandersetzung mit Räisänen unbedingt an gebracht, vor allem mit seiner nachdrücklich verfochtenen These, Paulus sei kein »prince of thinkers«, vielmehr »involved in self-contradictions« (P. and the Law, 266–269), so bleibt doch andererseits der Tatbestand, dass sich Räisänens exegetische Arbeiten auf einem hohen Niveau befinden und er mit Recht internationale Beachtung fand.

Zunächst die Übersicht über das Buch: 1. Kapitel: Introduction: Heikki Räisänen; Part A: Analytical Description; 2. Kapitel: Inconsistencies in P.’s View of the Law; 3. Kapitel: Explanation for the Inconsistencies in P.’s View of the Law; 4. Kapitel: The Antithesis between Works of Law and Faith in Christ; 5. Kapitel: Historical Explanation for the Inconsistencies Relating to the Torah and P.’s Antithesis; 6. Kapitel: Inconsistencies in P.’s View of Israel: Romans 9–11; 7. Kapitel: Explanation for the Inconsistencies Concerning Israel; 8. Kapitel: Theological Consequences; Part B: Critical Review; 9. Kapitel: Position-Finding: R.s Position within Contemporary New Testament Research; 10. Kapitel: Towards a Critique; 11. Kapitel: P. as a Pastor; 12. Kapitel: P. as a Rhetor; 13. Kapitel: P. as a Theologian; 14. Kapitel: Evaluation and Conclusions.

Die Übersicht zeigt bereits, dass das Ganze sinnvoll gegliedert ist. Die in Frage kommende Literatur ist zur Kenntnis genommen und eigenständig ausgewertet. Inhaltlich hat der Vf. m. E. weithin sachgemäß referiert und Räisänens Position gerecht beurteilt. Schon allein deshalb verdient das Buch das Lob des Rezensenten.

Allerdings bin ich selbst in die kritische Sicht Räisänens in volviert. Ich bitte daher um Nachsicht, wenn ich, was eigentlich in einer Rezension gegen den guten Ton verstößt, mehrfach auch den eigenen Namen nenne. Auch der Vf. hat auf meine Kritik an Räisänens 1. Auflage von »P. and the Law« (ThLZ 110, 1985, 896 ff.) verwiesen – er rezensiert die 2. Auflage, in der sich Räisänen ausführlich mit den Kritiken an seiner 1. Auflage auseinander setzt, auch der meinen – und dabei auch im mer wieder auf meine Paulus-Publikationen Bezug genommen; ich sei Räisänens »interlocutor« (38), was in der Tat für unser ständiges exegetisches Gespräch zutrifft. In wichtigen Fragen sind der Vf. und ich, wenn ich seine Gesamtdarstellung würdige, gar nicht so weit voneinander entfernt, wie ich auch mit Räisänen, trotz unserer nicht geringen theologischen und hermeneutischen Differenzen, in vielen exegetischen Einzelfragen übereinstimme, worauf dieser auch wiederholt hingewiesen hat (s. nur unsere fast identische Analyse von Röm 9,6–29, bei Räisänen mit mehrfacher Berufung auf mich vor allem in ANRW II.25.4, 2897–2906). Der Bezug von Räisänen auf Hübner, Hübner auf Räisänen, vom Vf. auf Räisänen, vom Vf. auf Hübner wird noch erweitert durch den gegenseitigen Bezug von Räisänen und Ed Sanders und vom Vf. auf Sanders, außerdem durch die gegenseitige Bezugnahme, vielleicht besser gesagt, die gegenseitige Auseinandersetzung zwischen Sanders und mir (ich bin für ihn »the main opponent«, so in seinem Grundsatzreferat »P. and the Law« bei der SNTS-Tagung 1980 in Toronto als Replik auf meine – ich gebe es zu – recht scharfe Kritik an ihm in NTS 1980: Pauli theologiae proprium). Auch andere Namen wären zu nennen; ich belasse es aber bei den soeben erwähnten. Hinweisen sollte ich aber angesichts der genannten Diskussionslage noch auf James Dunn mit seiner viel diskutierten »new perspective on Paul«.
Der eigentliche, vom Vf. betont aufgegriffene Diskussionspunkt zwischen Räisänen und mir ist, dass Letzterer Paulus wegen seiner »inconsistencies« bestreitet, ein theologischer Denker zu sein (s. o.), während ich sowohl in der Gesetzesfrage als auch in der Israelsfrage (Röm 9–11) auf Grund meiner – von Räisänen abgelehnten – These einer theologischen Entwicklung des Paulus diesen als bedeutenden theologischen Denker zu verstehen vermag. Im Rahmen dieser Rezension verzichte ich jedoch auf die Diskussion einzelner exegetischer Fragen.


Im Schlusskapitel 14 erklärt der Vf. ausdrücklich, dass er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Frage nach Inkonsistenzen bei Räisänen gerichtet habe, jedoch nur zu einem geringen Ausmaß auf seine theologischen und historischen Erklärungen (249). Das bedaure ich ein wenig. Ich kann ihm aber weithin zustimmen, wenn er dann schreibt: »To put it differently, R.’s great weakness is that he does not make sufficient use of hermeneutical rules appropriate to the interpretation of P.’s letters.« Er erläutert diese für ihn doch wohl zentrale Aussage, indem er erklärt, es sei nicht seine Absicht, Paulus wegen seiner Unstimmigkeiten, die Räisänen entdeckt habe, zu beschuldigen, sondern Räisänens Weg, die Texte zu lesen (so bereits 249). Dieser habe nur Kriterien logischer Natur verwendet; das aber sei »absolut ungerechtfertigt«, weil Paulus keine theologischen Traktate geschrieben habe. Sein Schlussurteil lautet: »The most important rule for a hermeneutics appropriate to the reading of P. is as follows: P.s texts must be read in the way in which they present themselves. R. fails here.« Damit hat der Vf. eine, ja, die wesentliche Schwäche bei Räisänen genannt, nämlich sein Defizit in rebus theologicis. Die Frage, die ich in meiner Rezension seines Buches »P. and the Law« vor über 20 Jahren formulierte, habe ich immer noch als Anfrage an ihn: »Quo vadis, theologia?« Diese Frage habe ich nicht als Anklage gestellt, sondern als echte Frage an den, dessen analytisches Denken ich schätze. Und so betrachte ich das Werk des Vf.s auch als eine wertvolle Fortsetzung meines eigenen exegetischen Gesprächs mit Räisänen, das ich trotz aller Differenzen als fruchtbar beurteile. Dem Vf. gebührt Dank für seine Leistung!