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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1316–1318

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zenger, Erich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Wort JHWHS, das geschah …« (Hos 1,1). Studien zum Zwölfprophetenbuch.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2002. VIII, 217 S. gr.8° = Herders biblische Studien, 35. Geb. € 45,00. ISBN 3-451-27493-0.

Rezensent:

Aaron Schart

Der Sammelband umfasst mehrheitlich Studien, die im Rahmen von Symposien der Kommentatoren des Zwölfprophe tenbuchs der Reihe »Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament« vorgelegt wurden. Die Untersuchung des Zwölfprophetenbuchs als einer redaktionell intendierten Großeinheit ist in Kommentatorenkreisen noch wenig verbreitet, da die Schriften des Zwölfprophetenbuchs zumeist an verschiedene Personen vergeben werden, die das Buchganze dann leicht aus dem Blick verlieren. Umso begrüßenswerter ist, dass im Rahmen dieser Kommentarreihe auf die schriftenübergreifenden Strukturen geachtet wird.
Rolf Rendtorff (1–11) spürt dem »key word« yom YHWH »Tag YHWHs« nach, das ganz offensichtlich in markanter Weise das Buch prägt. Im Leseverlauf des masoretischen Zwölfprophetenbuchs erscheint es nämlich so, dass Joel die Erwartung eines die Weltgeschichte wendenden Tages YHWHs aufbringt und sich seine Nachfolger dann in verschiedener Weise darauf beziehen.
Frank Crüsemann (13–31) setzt sich mit Hos 4–11 auseinander. Diese Kapitel böten eine Analyse der Gegenwart und nur ganz am Ende, in Kapitel 11, auch Zukunftsansagen. Einige so genannte »dunkle« Textstellen (4,6; 5,1–2.7; 10,14) müssten einer ganz bestimmten Situation entstammen. Sie wären be stimmt nicht weiter überliefert worden, wenn der Text nicht bereits in diesem frühen Stadium schriftlich fixiert gewesen wäre. Wie Crüsemann ausgerechnet von diesem Befund aus ernst hafte Zweifel daran begründen will, dass den Texten überhaupt eine mündliche Verkündigung vorauslag (27), ist unerfindlich.
Erich Zenger (33–45) spürt der Entwicklung der Gott-Metapher vom brüllenden Löwen im Zwölfprophetenbuch nach. Diachron gesehen werde aus einem unheilverkündenden, den Menschen Schrecken einjagenden Brüllen des beutehungrigen Löwen in Am 3,8 im redaktionellen Vers Am 1,2 das Hoffnungssignal, dass Gott, der König, zur »Wiederherstellung der Schöpfungsordnung« (40) vom Zion aus aufbreche. Dabei werde die Stimme des brüllenden Löwen mit den Worten des Propheten identifiziert. In Joel 4,16 (und 2,11) werde das Brüllen mit dem Ruf zur Umkehr in Joel 2,12–14 gleichgesetzt. Zuletzt verstehe der sekundäre Vers Hos 11,10 das Brüllen des Löwen als rettendes Eingreifen zu Gunsten seiner Kinder (43). Der literargeschichtlich zuletzt entstandene Metaphergebrauch präge im synchronen Leseablauf des Endtextes gesehen das erste Auftreten der Metapher. Dieses setze aber den Horizont, in dem die folgenden Belege verstanden würden. Die Strafperspektive bleibe so umschlossen von Gottes umfassendem Rettungswillen.
Ruth Scoralick (47–69) widmet sich der Passage Joel 2,1–14. Sehr schön zeigt sie auf, wie der Autor durch Ambiguitäten und unklare Metaphernverknüpfungen eine mehrdeutig schillernde Drohkulisse aufbaut, die sich in dem eindringlichen Ruf »Auch jetzt noch« (2,12) entlädt, der sich nicht nur an die Landesbewohner der Textwelt, sondern auch direkt an die Leserschaft richtet (59). Dieser Ruf bleibe der Leserschaft des Zwölfprophetenbuchs im Gedächtnis haften und werde in weiteren Schriften wieder eingespielt.
In detektivischer Kleinarbeit spürt Franz Josef Backhaus Bezüge zwischen der Amosschrift und den Völkergedichten des Jeremiabuches auf (71–111). So werde z. B. im ersten Ägyptengedicht in Jer 46,5–6 auf Am 2,14–16 angespielt (81) und gleichzeitig auf Am 9,1b (83). Innerhalb der Amosschrift handele es sich dabei im ersten Fall um den kompositorischen Ab schluss der Völkersprüche und im zweiten um die letzte der fünf Visionen, was vermuten lasse, dass der Jeremiatext bei seiner Leserschaft den Grundaufriss der gesamten Amosschrift wachrufen wollte.
Gottfried Vanoni geht in zwei Studien den intertextuellen Bezügen nach, in denen die Jonaschrift steht. Deutlich herausgearbeitet wird der Bezug auf Elija (113–121), der doch wohl dazu dienen soll, das Verhalten Jonas durch Kontrastierung mit dem großen Elija lächerlich zu machen. Weitere literarische Be züge stellt Vanoni in synoptischen Gegenüberstellungen der jeweiligen Bezugstexte übersichtlich dar. Ob ein Teil dieser Bezüge sich schriftenübergreifender Redaktionsarbeit verdankt (123–137), will Vanoni offen lassen.
Rainer Kessler (149–158) spricht von Nah und Hab als einem »spiegelbildlich-symmetrisch angeordneten Diptychon« (150). Er bestätigt die These des Rezensenten (Entstehung des Zwölfprophetenbuchs, 1998), dass Nah und Hab zusammen in ein bereits bestehendes Vierprophetenbuch (Hos-Am-Mi-Zef) eingefügt wurden. Hatte der Rezensent jedoch dazu tendiert, die redaktionelle Zusammenstellung von Nah und Hab auf einer Ebene mit der Einfügung ins Zwölfprophetenbuch anzusetzen, behauptet Kessler dagegen eine eigenständige Existenz der Nah-Hab-Rolle, bevor diese unverändert in das Mehrprophetenbuch übernommen wurde (158). Dass die Eingliederung von zwei Prophetenschriften von ganz anderem Charakter als Hos, Am, Mi und Zef ohne redaktionelle Eingriffe in den Text von Nah und Hab vorgenommen worden sein soll, ist aber a priori unwahrscheinlich.
Heinz-Josef Fabry geht der Rezeption von Nah und Hab in der Septuaginta und in Qumran nach (159–190). In der Septuaginta zeige sich eine durchgehende Eschatologisierung der Zukunftsaussagen und eine Betonung der Güte Gottes. Ein in teressantes Detail ist, dass Hab 3 trotz zahlreicher Zwölfprophetenbuchfunde in Qumran bisher nicht belegt ist, während der Habakuk-Psalm in der Rolle aus dem Wadi Murabba’at (Mur 88) und dem Nahal Hever (8HevXIIgr) erhalten ist.
Rüdiger Lux analysiert Aufbau und Struktur von Hag und Sach 1–8 (191–217). Er rekonstruiert eine ehemals eigenständige Schrift, in der Sach 1,1–6 noch fehlte (196) und deshalb die Nachtgesichte Sacharjas als unmittelbare Fortsetzung des Haggai-Orakels aus Anlass der Grundsteinlegung des zweiten Tempels (Hag 2,20–23) gedacht waren. Die Nachtgesichte »bildeten nach dieser Lesekonzeption die Voraussetzung für die Ankündigung eines davidischen ›Sprosses‹ in 6,9–15, der das ins Stocken geratene Tempelbauprojekt schon in Kürze wieder aufnehmen und vollenden würde« (209).
Alle Beiträge machen auf ihre Art deutlich, dass die Rekonstruktion der redaktionellen Bearbeitung der Einzelschriften nicht von der Entstehung des ganzen Buches getrennt werden kann.