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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1309–1311

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Blenkinsopp, Joseph

Titel/Untertitel:

Treasures Old and New. Essays in the Theology of the Pentateuch.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. X, 228 S. gr.8°. Kart. US$ 26,00. ISBN 0-8028-2679-2.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Die vorliegende Auswahl von überarbeiteten Aufsätzen des Vf.s zum Pentateuch aus den letzten vier Jahrzehnten verdient aus zweierlei Gründen besondere Beachtung. Zum einen versteht sich der Sammelband als ein »sketchbook of biblical theology« (VII), das allerdings bewusst keinen Vorentwurf für eine nach Meinung des Vf.s dem Spannungsreichtum des Alten Testaments unangemessene systematisch angelegte Theologie des Alten Testaments darstellen will. Vielmehr geht es ihm um die Beleuchtung zentraler Texte des Pentateuch von Fragen der Gegenwart her.
Zum anderen bildet der Band eine Ergänzung des Werkes des Vf.s über »The Pentateuch: An Introduction to the First Five Books of the Bible« von 1992. Für den Pentateuchforscher besonders beachtenswert ist dabei die sich in zahlreichen Beiträgen des Buches findende These, dass die traditionell dem Jahwisten zugewiesenen Bestandteile des Pentateuchs als Dokumente der Zeit des Zweiten Tempels zu interpretieren sind. Dies gilt zunächst für die biblische Urgeschichte. So nimmt die Studie zu »Gilgamesh and Adam: Wisdom through Experience in Gilgamesh and in the Biblical Story of the Man, the Woman and the Snake« (85–101) an, dass dem Autor der jahwistischen Urgeschichte Gen 2–11* das Gilgameschepos in seiner kanonischen Fassung, wie sie auch in der Bibliothek des Assurbanipal in Ninive vorliegt, bekannt war. Auf Grund der Gemeinsamkeiten mit dem Gilgameschepos sei daher auch Gen 2–11* weniger als Geschichtsschreibung und mehr als mit Hilfe von Mythen argumentierende späte Weisheitsliteratur zu deuten. In ähnliche Zu sammenhänge einer »späten Weisheit« wird Gen 2–11* auch in dem Artikel »Structure, Theme, and Motif in the Succession History (2Samuel 11–20; 1Kings 1–2) and the History of Human Origins (Genesis 1–11)« (102–119) hineingestellt. So wohl die Urgeschichte als auch die Thronfolgeerzählung von 2Sam 11 ff. verträten eine gemeinsame spätweisheitliche An thropologie, die in erzählender Form »the possibilities, con straints, ambiguities, and aporias of human existence« zum Ausdruck bringt. Da die Thronfolgeerzählung mit John Van Seters in die nachexilische Zeit zu datieren sei, sprächen die Gemeinsamkeiten zwischen beiden auch für eine nachexilische Ansetzung der jahwistischen Urgeschichte.
Als nachexilischen Versuch, das Schicksal der Katastrophe Jerusalems von 587/586 zu erklären, deutet der Vf. in dem Artikel »The Judge of All the Earth« (120–136) auch das Gespräch Abrahams und Jahwes über das Schicksal Sodoms in Gen 18,22–33. In gleicher Weise spiegeln sich nach dem Aufsatz »Biographical Patterns in Biblical Narrative: Folklore and Paradigm in the Jacob Story« (137–154) auch in den nichtpriesterlichen Jakoberzählungen das Exil in Mesopotamien (Gen 29– 31) und die im Zusammenhang von 587/586 zu beobachtenden Auseinandersetzungen zwischen den Edomitern und den Judäern (Gen 25–27 und Gen 32–33). Noch deutlicher zeigt sich nach dem Artikel »What Happened at Sinai? Structure and Meaning in the Sinai-Horeb Narrative (Exodus 19–34)« (155– 174) der Bezug auf die exilisch-nachexilische Situation in der nichtpriesterschriftlichen Sinaierzählung, in der in Ex 32–34 der Götzendienst des Goldenen Kalbes (im Nordreichheiligtum von Bethel) als Ursache der Katastrophe von 587/586 dargestellt wird. Besonders beachtenswert ist, dass der Vf. den nichtpriesterlichen Strang der Sinaierzählung einer D-Komposition zuschreibt, die von der priesterlichen Schicht der Sinaigeschichte noch nicht vorausgesetzt wird. Dies werde vor allem an der priesterlichen Aarondarstellung deutlich, die das negative Aaronbild von Ex 32 noch nicht kenne. Auch wenn das Verhältnis der »deuteronomistischen« Texte der Sinaiperikope zu der »jahwistischen« Schicht der Urgeschichte und zu den nichtpriesterlichen Schichten der Erzvätergeschichte weitgehend offen bleibt und man sich auch sonst eine differenziertere Analyse der behandelten Texte gewünscht hätte, hat der Vf. doch wahrscheinlich gemacht, dass mit umfangreichen nachpriesterlichen Pentateuchschichten zu rechnen ist.
Besonders wichtig sind auch die Beiträge des Vf.s zum Deuteronomium. Dabei stellt er in der Studie »Deuteronomy and the Politics of Postmortem Existence« (175–191) die These auf, dass der Kampf des Deuteronomiums gegen den in Israel wie in allen antiken Gesellschaften fest verwurzelten Toten-/Ahnenkult hauptsächlich in einer Strategie zur Schwächung der Sippenreligiosität zu Gunsten des offiziellen Staatskults begründet ist. Gleichzeitig bildet das Deuteronomium auch den Ausgangspunkt der Kanonbildung im Alten Testament, wie der Vf. im letzten Artikel des vorliegenden Bandes (»›We Pay No Heed to Heavenly Voices‹: The ›End of Prophecy‹ and the Formation of the Canon«, 192–207) nachweist: So fordert das Deuteronomium strikt, dass seinem Gesetz nichts zugefügt und nichts weg genommen werden darf (12,32; 4,2). Dabei beschränkt es die Gefahr neuer Offenbarungen dadurch, dass es der Prophetie primär die Aufgabe der Auslegung der mosaischen Tora zuweist. Das Deuteronomium wird dabei zum Schöpfer einer israelitischen Orthodoxie, die schließlich zur Kanonisierung des Pentateuchs auf der Basis der Zusammenarbeitung von deuteronomistischen und priesterlichen Schichten führt.
Abgesehen von diesen auf einzelne Textbereiche des Pentateuchs bezogenen Teilen des Bandes behandeln die ersten fünf Artikel des Sammelwerks übergreifende Themen: Das Buch setzt ein mit der Frage nach dem Ziel der alttestamentlichen Geschichtsdarstellung (»Memory, Tradition, and the Construction of the Past in Ancient Israel«, 1–17). Ziel des Pentateuchs war es danach, eine Vergangenheit zu konstruieren, die der nachexilischen Gemeinde Identität verleiht. Sehr beachtenswert ist dabei der Hinweis des Vf.s., dass die heilsgeschichtlichen Traditionen des Pentateuchs (z. B. Exodus) nicht frei konstruiert worden sind, sondern auf ältere Traditionen zurückgehen (vgl. u. a. die Exodustradition des Hoseabuchs), die dann durch den Pentateuch für die nachexilische Gemeinde verbindlich interpretiert werden. Gleichzeitig thematisiert die Studie »Old Testament Theology and the Jewish-Christian Connection« (18–35) den oft angenommenen Gegensatz zwischen jüdischem Partikularismus und christlichem Universalismus. Der Vf. zeigt dabei, dass das nachexilische Judentum sowohl universalistische als auch partikularistische Vorstellungen enthält und dass somit der Gegensatz Universalismus-Partikularismus zunächst einen Ge gensatz innerhalb des Judentums darstellt. Der Entwicklung des Universalismus im Alten Testament ist des Weiteren auch der Artikel »YHVH and Other Deities: Conflict and Accommodation in the Religion of Israel« (67–84) gewidmet. Der Artikel »Creation, the Body, and Care for a Damaged World« (36–52) behandelt außerdem noch das Thema »Bibel und Ökologie«, der Artikel »Sacrifice and Social Maintenance in Ancient Israel« (53–66) schließlich den Zusammenhang von Opfer und Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis (208–215), ein Sach- und Namenregister (216–219) und ein Bibelstellenindex (220– 228) ermöglichen eine gute Erschließung des Sammelbandes, der nicht nur wichtige Beiträge zu zentralen Fragen gegenwärtiger Theologie, sondern vor allem auch beachtenswerte Beobachtungen zu Gunsten einer nachexilischen Einordnung der »jahwistischen« Schicht des Pentateuchs enthält.