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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1306–1308

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Atkinson, Kenneth

Titel/Untertitel:

I Cried to the Lord. A Study of the Psalms of Solomon’s Historical Background and Social Setting.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. X, 272 S. gr.8° = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 84. Lw. € 84,00. ISBN 90-04-13614-2.

Rezensent:

Otto Kaiser

Die vorliegende Studie wurde 1999 von ihrem derzeit als Assistant Professor of Religion an der University of Northern Iowa wirkenden Verfasser als Dissertation zur Erlangung des PhD in Religion der Temple University (Philadelphia) vorgelegt. Schon die Tatsache, dass die Arbeit von Robert B. Wright als einem der besten Kenner der Psalmen Salomos angeregt und ihr Verfasser durch John J. Collins in die Welt der Pseudepigraphen, der Schriftrollen vom Toten Meer und des Hellenistischen Judentums eingeführt worden ist, rechtfertigt die hohe Erwartung, mit welcher der Leser sich ihrer Lektüre zuwendet. Die Untersuchung gliedert sich abgesehen von einem knappen Vorwort in eine Einführung (1–14) und sechs Kapitel (15–222). Von ihnen bietet das 1. eine problemorientierte Auslegung des unter dem Eindruck der Eroberung Jerusalems durch Pompejus bzw. seines Todes gedichteten PsSal 2 (15–53), das 2. eine solche des ebenfalls aus pompejanischer Zeit stammenden PsSal 8 (55–87) und das 3. behandelt die als vor-pompejanisch eingeordneten PsSal 4, 12, 7, 15 und 13 (89–127); das 4. untersucht den Messianismus von PsSal 17 (129–179) und das 5. die restlichen, zeitlich nicht sicher datierbaren Lieder PsSal 6, 5, 16, 9, 3, 11, 10, 14, 1 und 18, von denen die beiden letzten jedenfalls als Einleitung und Schluss der Sammlung konzipiert sind (181–209). Dabei geht A. bei der Untersuchung der Lieder jeweils so vor, dass er zunächst eine Übersetzung und Inhaltsangabe bietet, an die sich eine Charakterisierung der in ihnen erwähnten Personen und Personengruppen, Überlegungen zur historischen Einordnung der Lieder und der Eigenart der in ihnen gespiegelten sektiererischen Gruppierung anschließen. Das 6. Kapitel fasst die erzielten Ergebnisse zusammen und stellt mit überraschender Vereinfachung fest, dass die in dieser Sammlung vereinigten Psalmen in der Zeit zwischen 67 und 63 v. Chr. in einer unbekannten jüdischen sektiererischen Gruppe entstanden sind, die zwar in Jerusalem lebte, sich aber vom aktuellen Tempelkult distanzierte und ihre Sünden mittels Fasten und Beten zu sühnen suchte (211–222). Diese Hinweise zeigen, dass die Untersuchung sich gegen die seit Wellhausen herrschende Ansicht wendet, dass die Verfasser der Psalmen in pharisäischen Kreisen zu suchen sind.
Schon die knappe Inhaltsangabe lässt erkennen, dass der Schwerpunkt der Untersuchung bei den PsSal 2, 8 und 17 liegt. Aus der Tatsache, dass PsSal 2 in seiner vorliegenden Gestalt die Ermordung des Pompejus 48 v. Chr. voraussetzt, aber weder die Ernennung des Herodes zum König von Juda 40 v. Chr. durch Marc Antonius noch seine mit Hilfe des Römers Sosimus er folgte Eroberung Jerusalems 37 v. Chr. kennt, geht eindeutig hervor, dass der Psalm seine überlieferte Gestalt nach 48 und vor 40 v. Chr. erhalten hat (52–53). Dabei setzt A. nach Ansicht des Rezensenten richtig voraus, dass die sich auf den Tod des römischen Feldherren beziehenden V. 19–37 erst nachträglich an den ersten, die V. 1–18 umfassenden Teil des Psalms angeschlossen worden sind (30). In ähnlicher Weise rechnet er damit, dass PsSal 17,1–10 vor der Eroberung Jerusalems im Jahre 63 v. Chr. und die V. 11–20 nach der Deportation Aristobuls und seiner Anhänger verfasst worden seien (vgl. 136 mit 138). Da er überdies zutreffend erkennt, dass die Sammlung durch die zu diesem Zweck gedichteten Psalmen 1 und 18 als Prolog und Epilog gerahmt worden ist (203–209), ist es bedauerlich, dass er nicht auch die verbleibenden Lieder auf ihre literarische Einheit und ihren etwaigen Charakter als Rollendichtungen hin befragt hat. So lässt sich z. B. auch in dem Fall des von dem scheinheiligen beb¯elos handelnden 4. Liedes, der im synedri¯o hosi¯on sein Unwesen treibt, zeigen, dass der Sonderfall nachträglich auf die hypokrites überhaupt bezogen worden ist. Auf dem Hintergrund der Voraussetzung, dass mit dem hier erwähnten synedrion der gleichnamige Staatsrat von Juda gemeint ist, entscheidet sich A. nach gründlicher Prüfung der historischen Kandidaten für Aristobul II. kurz vor 63 v. Chr. (96–104). Aber dass dieses Organ jemals als Versammlung der Heiligen bezeichnet worden ist, wäre erst zu belegen. Daher liegt es nach Ansicht des Rezensenten näher, an einen sektiererischen Ge richtshof zu denken und sich als Analogon z. B. an die Rede von der ‘aØdat qeØdôÇsîm, der Gemeinde der Heiligen, in 1QSb I.5 zu erinnern.
Besondere Beachtung verdient A.s Auslegung von PsSal 8 und 17. Im Fall von PsSal 8 ist es ihm dank der Heranziehung von 4QMMT gelungen, die in den V. 8–13 erhobenen Vorwürfe auf dem Hintergrund der zeitgenössischen halachischen Diskussion zu konkretisieren und auf diese Weise einen wesentlichen Fortschritt in der Auslegung des Psalms zu erzielen (64– 82). Auf Grund der kritischen Auswertung der historischen An spielungen meint A., dass der Dichter zwischen den pharisäischen An hängern des Hyrkanus (V. 16–17), den sadduzäischen Aristobuls (V.8–15.21) und denen seiner eigenen Sekte unterscheidet (64–84). Auch seine Auslegung von PsSal 17 betritt insofern Neuland, als sie das hier gezeichnete Bild von dem kriegerischen Messias, der im Anschluss an Jes 11, Ps 2 und 110 als Sieger über die Völker und damit aktiver Befreier Israels dargestellt wird, in den reichen Kontext der einschlägigen Qumrantexte einordnet, die mehrheitlich zwischen einem priesterlichen und einem davidischen Messias unterscheiden und aus hasmonäischer Zeit stammen (144–175). In Analogie zu dem sich in den PsSal 2, 8 und 17 ergebenden Bild, in denen das Königtum der Hasmonäer als eine Anmaßung verurteilt wird, die Gottes Strafe in Gestalt der Eroberung Jerusalems durch Pompejus und der Deportation Aristobuls und seines Gefolges provozierte (vgl. 2,3–4; 8,12; 17,4–8 mit 2,6–7; 8,19–22; 17,11–12), deutet A. die Vorstellung von den beiden Messias als polemische Antwort auf die Verquickung beider Ämter durch die Hasmonäer (vgl. 175, 177 und 220). Die religionsgeschichtliche Bedeutung des in PsSal 17 vom Messias als Befreier vom Joch der Fremdvölker gezeichneten Ideals besteht darin, dass das zeitgenössische Judentum Jesus an ihm gemessen und ihn daher nicht als Messias anerkannt hat. Interessanterweise hat später die urchristliche Apokalyptik auch Christus mit diesen Zügen versehen, indem sie ihn entsprechend als den kommenden Weltenrichter ankündigte (Apk 19,11–21 und dazu 178–179).
Schließlich seien noch die wichtigsten Gründe zusammen gestellt, die A. veranlassen, einen pharisäischen Ursprung der Liedersammlung abzulehnen: 1. hat die hinter ihnen stehende Gruppierung den sühnenden Opferkult für unbewusste Sünden durch Fasten und regelmäßiges Beten ersetzt (PsSal 3,5–8; 5,1; 6,1–2; 7,7–7 und 15,1; vgl. 195). 2. hat sie sich, obwohl sie in Jerusalem ihr Zentrum besaß, wie die Qumrangemeinde vom Tempel überhaupt distanziert und in ihre Synagogen zurückgezogen (PsSal 10,7; 17,16; vgl. 212–216 und 221–222). Andererseits teilte sie mit den Pharisäern die Erwartung der Auferstehung der Toten und des Jüngsten Gerichts (vgl. 3,10–12 und dazu 196–197). Es handelt sich mithin um eine eschatologisch orientierte, ein durch Fasten und Gebet geheiligtes Leben führende Gruppierung, die sich in Synagogen zu versammeln pflegte. Vergleicht man diese Psalmen mit Ben Sira (vgl. Sir 32[35], 1–5 mit 7,29–31), so fällt der Unterschied auf: Während dieser zwar die sittliche der kultischen Sühne vorordnet und zugleich wegen der Verankerung des Opferkultes in der Tora an ihm festhält, finden sich in der Psalmensammlung keine Hinweise auf aktive Teilnahme am Tempelkult. So spitzt sich die Frage, ob die Verfasser unserer Sammlung Pharisäer waren oder nicht, auf die andere zu, ob ihre Nichterwähnung des Tempelkults ihn zu verneinen zwingt oder nicht.
Das Mindeste, was man bei A. in dieser Beziehung lernen kann, ist, wie unvollständig unser Bild der Geschichte der jüdischen Sekten im 1. Jh. v. Chr. noch immer ist. Jedenfalls bescheinigt der Rezensent ihm gern, dass er eine anregende Studie zu den in der Forschung zu Unrecht im Schatten stehenden Psalmen Salomos vorgelegt hat, die in Einzelfragen einen echten Fortschritt bedeutet. Die auf 25 Seiten weit über 600 Titel nachweisende Bibliographie wird auch dem Fachmann willkommen sein (223–247). Ein umfangreiches Stellen- und Autorenregister erleichtern die Benutzung der Studie (249–272).