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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1298–1300

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Albert, Reiner, u. Wilfried Dettling [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Schatten der Politik. Einwirkungen auf das christlich-islamische Gespräch.

Verlag:

Altenberge: Oros 2002. 297 S. 8° = Religionswissenschaft liche Studien, 52. Kart. € 38,00. ISBN 3-89375-207-2.

Rezensent:

Christoph Elsas

Wie das Vorwort der Herausgeber anmerkt, wurde der größere Teil der Beiträge dieses Sammelbandes vor dem 11. September 2001 fertiggestellt. Dabei wurden auch bisher nicht veröffentlichte, aber dennoch aufschlussreiche Vorträge und Artikel aus den 1990er Jahren aufgenommen. Absicht der Publikation ist es, auf dem »Weg zu einem konzeptionelleren Dialog« einer Phase der Sammlung und Auswertung von Erfahrungsbeständen Rechnung zu tragen: »Nicht der Kampf der Kulturen steht als Entwicklungshemmnis im Vordergrund, sondern die unterschiedlichen in vielfacher Form zur Wirkung kommenden materiellen wie ideellen, d. h. nationalen, parteipolitischen, wirtschaftlichen und religiös-politischen Interessen, die seitens der Interessenvertreter des Herkunftslandes und des Aufnahmelandes auf muslimische Migranten eindrängen ... Dabei soll die Breite der Problemstellung (wissenschaftstheoretische, nationale und internationale Aspekte) – wenigstens in Ansätzen – deutlich werden« (7 f.).
Ein erster Teil »Konzeptionelle Grundfragen« vereint dazu Beiträge des Politologen und Historikers Reiner Albert: »Gegen Vereinfachung und Vereinheitlichung. Plädoyer für ein erkenntnistheoretisches Akzeptanzprinzip im interreligiösen Dialog« (11–70), des Philosophen und Historikers Heiner Bielefeldt: »Muslimische Minderheiten im säkularen Rechtsstaat« (71–95) und des Politologen Matin Baraki: »Ein Beispiel für mangelnde Interessentransparenz. Die Widersprüchlichkeit der ›westlichen‹ Interessen am Beispiel des Afghanistan-Konfliktes« (97–137).
Wie Albert – m. E. zu Recht, aber sehr umständlich – argumentiert, »könnte insbesondere dem die eigene Wissenschaftsgeschichte verbergenden ›gnostischen Geheimnis-Charakter‹ der Sozialwissenschaften entschieden vorgebeugt werden, wenn die Interessen des säkular-sozialwissenschaftlichen Weltbildes intersubjektiv nachvollziehbarer gemacht werden. Das hieße, sich dazu zu bekennen, eine Wissenschaft mit Annahmen, Interessenleitungen und letzten Wertungen zu sein« (48): »Das Problem eines sich selbst zum Maßstab aller Dinge machenden, die eigene Position glorifizierenden, d. h. gnostischen Verhaltensmusters rückt insbesondere mit Blick auf religiöse Menschen und Gesellschaften mit anderer Kultur und anderem Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis immer stärker in den Vordergrund und baut so Feindbilder auf« (50). Konkret erfordere das, die Integrationsproblematik nicht nur »aus der soziologischen Problematik spezifischer Mehrheits-Minderheits-Verhältnisse, sondern vor dem Hintergrund der politischen Kultur und Geschichte des Herkunftslandes gewissermaßen aus einer ›ganzheitlicheren‹ Sicht abzuleiten« (51).
Bielefeldt geht es in präziser Begriffsklärung darum, »die Säkularität des Rechtsstaates als unerläßliche Voraussetzung für eine an den Menschenrechten orientierte politische Gestaltung des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus zu verteidigen«, aber zugleich »die kritischen Anfragen an das Konzept der Säkularität« ernst zu nehmen im besonderen Interesse an »der Möglichkeit, den säkularen Rechtsstaat auch von muslimischer Seite zu würdigen« (73), nämlich als »notwendiges Strukturprinzip einer Rechtsordnung, die unter dem Anspruch steht, die Religionsfreiheit als Menschenrecht systematisch zu verwirklichen« (74). Mit Albert trifft sich Bielefeldt in der Kritik an einer säkularistischen Fortschrittsideologie, die, wenn sie sich mit der Staatsmacht verbindet, »in letzter Konsequenz sogar zur Zerstörung der auf die Religionsfreiheit gegründeten rechtsstaatlichen Säkularität« führt – wie bei Pauschalanordnungen etwa hinsichtlich Kopftuch: »Auch das ›Projekt der Moderne‹ kann, wenn es zum fortschrittsideologischen Zivilisationsmodell verdinglicht und ›vormodernen Kulturen‹ (gemeint ist da mit meistens der Islam) dichotomisch entgegengesetzt wird, zum Bestandteil politischer Ausgrenzungsrhetorik werden« – wie bei Bassam Tibi und seiner Gefolgschaft (78 f.) im Anschluss an Samuel Huntingtons Vereinnahmung der Säkularität für das Abendland. Barakis Beitrag gibt dann ein detailliertes Beispiel für eine damit ihre wirtschaftlich-politischen Interessen kaschierende westliche Politik.
In einem zweiten Teil »Facetten des Islam in Deutschland« beschreiben der für den Verfassungsschutz tätige Orientalist Herbert L. Müller »Islamismus als politische Bewegung in Deutschland« (141–175) und die Politologin und Historikerin Gesa Durniock »Türkische Organisationen in Deutschland vor dem Hintergrund der Verfassungsschutzberichte« (177–204). Auch diese Quellen sind für das christlich-islamische Ge spräch– nach tendenzkritischem Abwägen wie bei allen Quellen – von Bedeutung. Ein dritter Teil »Hindergründe der Bemühungen um einen deutschsprachigen Islamunterricht in Mannheim« bringt drei Erfahrungsberichte von politischen Behinderungen und persönlichen Chancen aus evangelisch-kirchlicher, journalistischer und katholisch-kirchlicher Sicht von Günter Eitenmüller (207–218), Anke Philipp (213–221) und Günther Saltin (223–228).
Im vierten Teil »Perspektiven im transnationalen interreligiösen Kontext« berichtet zunächst Helmut Wiesmann, ehemaliger Mitarbeiter im Auswärtigen Dienst und jetzt bei der Deutschen Bischofskonferenz tätig, sehr informativ von einer höchst bedeutsamen Einladung hochrangiger Vertreter des Hl. Stuhls, der Deutschen Bischofskonferenz, der EKD und der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Israel zu einer beratenden Versammlung der führenden Vertreter des offiziellen türkischen Islam unter Beteiligung von Gästen aus der Türkei und aus anderen islamisch geprägten Staaten: »Der II. Religionsrat in Ankara (23. bis 27. November 1998). Interreligiöser Dialog, religionspolitische Entwicklungen und Lage der katholischen Kirche in der Türkei« (231–281). Der I. Religionsrat im November 1993 hatte sich vornehmlich mit innertürkischen administrativen Fragen befasst, aber schon andiskutiert, innerhalb des für den Islam in der Türkei eingerichteten staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten ein Sekretariat für den Interreligiösen Dialog einzurichten. Das begann man 1998 umzusetzen und erweiterte den Kreis der Religionsrats-Gäste aus der Türkei auch um je ein Mitglied der muslimischen Gemeinschaften der Lesekreise von Said Nursis Risale-i Nur und der schiitischen Aleviten. Sprach hier bei der Eröffnungssitzung der stellvertretende und bald amtierende Ministerpräsident Ecevit, ein kemalistischer Sozialdemokrat, so fand inzwischen auch ein III. Religionsrat mit dem gemäßigt-islamistischen Ministerpräsident Erdogan statt und sprach sein Präsident des Amtes für Religiöse Angelegenheit bei einer Fachtagung der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit der Islamisch-Christlichen Arbeitsgruppe (ICA) zu Religionsfreiheit im Kontext von Christentum und Islam (epd-Dokumentation 50 vom 30. November 2004).
Dieser Teil schließt mit einem an Wiesmanns Ausführungen zur Lage der Christen in der Türkei anknüpfenden Plädoyer für die »solidarische Unterstützung von außen« für die »Mutter aller Kirchen« in Israel und Palästina: »›Verraten und Verkauft‹. Die arabischen Christen und der Moscheebau in Nazareth« von Wilfried Dettling SJ. Als Islambeauftragter der Diözese Speyer und Mitherausgeber gibt er hier der Überzeugung Ausdruck, die den ganzen Band durchzieht: dass eine Perspektive, »die die Realität in den Blick nimmt wie sie ist und nicht nur wie sie sein könnte«, dem interreligiösen Gespräch eine Qualität geben würde, »die nicht der Versuchung unterliegt, um der ›religious correctness‹ willen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen auszuklammern« (295).