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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1292–1294

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schenke, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

For the Children, Perfect Instruction. Studies in Honor of Hans-Martin Schenke on the Oc casion of the Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften’s Thirtieth Year. Ed. by H.-G. Bethge, St. Emmel, K. L. King, and I. Schletterer.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2002. XIV, 477 S. m. 1 Porträt u. Abb. gr.8° = Nag Hammadi and Manichaean Studies, 54. Geb. € 119,00. ISBN 90-04-12672-4.

Rezensent:

Jens Schröter

Der im September 2002 verstorbene Berliner Neutestamentler Hans-Martin Schenke ist durch zahlreiche Editionen und Übersetzungen mittelägyptischer und koptischer Manuskripte, un zählige Studien zu inhaltlichen Aspekten dieser Texte sowie zu Detailfragen koptischer Linguistik und nicht zuletzt durch zahlreiche, äußerst gründliche Rezensionen als bedeutender Gelehrter ausgewiesen. Seine Forschungen am Schriftenfund von Nag Hammadi, hier insbesondere die von ihm besorgte Ausgabe und Kommentierung des Philippusevangeliums (EvPhil), sichern ihm zudem in der Nag Hammadi-Forschung einen der vornehmsten Plätze. Der von ihm noch zu DDR-Zeiten gegrün dete »Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften«, mittlerweile geleitet von Hans-Gebhard Bethge, hat zu seinen Ehren einen beachtlichen Band erstellt, der Schenke vor seinem Tod noch überreicht werden konnte. Versammelt sind Beiträge zahlreicher Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Koptologie, der Gnosisforschung sowie der antiken Religionsgeschichte.
Die Einleitung wurde von Karen King verfasst, gefolgt von einer Würdigung Schenkes durch Hans-Gebhard Bethge: »Hans-Martin-Schenke – Lehrer, Forscher, Freund«. Dieser Beitrag vermittelt u. a. einen Einblick in die Arbeit des Berliner Arbeitskreises unter den oftmals schwierigen Bedingungen der DDR-Zeit. Den dritten Beitrag einführenden Charakters bildet die anlässlich von Schenkes 70. Geburtstag gehaltene Laudatio von Carsten Colpe, eine Würdigung von Schenkes wissenschaftlicher Leistung. Es folgt eine Bibliographie der Publikationen Schenkes mit dem stattlichen Umfang von 18 Seiten.
Die übrigen Beiträge sind in drei Gruppen eingeteilt. Die Er ste, »Nag Hammadi Texts, Gnosticism, Gnosis, Hermeticism«, widmet sich verschiedenen Aspekten der gegenwärtigen Gnosisforschung. Vier Autoren (Wolf-Peter Funk, Paul-Hubert Poirier, Marvin W. Meyer und Charles W. Hedrick) befassen sich mit dem Thomasevangelium (EvThom). Funk untersucht die Beziehung der manichäischen Kephalaia zum EvThom. Die Existenz mehrerer Fassungen des EvThom, die durch die griechischen Fragmente und das koptische Exemplar aus Nag Hammadi belegt wird, lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass alle manichäischen Autoren denselben Text benutzt haben. Auch dass das Nag Hammadi-Exemplar bei den Manichäern bekannt war, sei kaum anzunehmen. Gleichwohl ließen sich einige Be ziehungen zwischen den Kephalaia und Logien des EvThom herstellen, wofür Funk eine mögliche koptische Textgrundlage erarbeiten möchte. Poirier weist auf eine Beziehung zwischen EvThom 24,3 und 1Hen 5,8 hin. Meyer befasst sich mit Interpretationsmöglichkeiten von EvThom 114 (Maria soll männlich werden). Er selbst möchte es symbolisch verstehen, bezogen auf die Verwandlung des Physischen in das Spirituelle und Himmlische. Hedrick geht einmal mehr der Frage nach dem Verhältnis des EvThom zur synoptischen Überlieferung nach. Anhand des Dialogs des Erlösers, der eine Analogie zu EvThom 82 enthält, plädiert er dafür, die Logien des EvThom separat zu untersuchen und in eine Rekonstruktion der ältesten Jesusüberlieferung einzubeziehen.
Weitere Beiträge befassen sich mit anderen Nag Hammadi-Schriften: Régine Charron analysiert eine Passage aus dem Dialog des Erlösers, Louis Painchaud und Jennifer Wees gehen der Rezeption von Gen 3,5 in der Schrift »Vom Ursprung der Welt« und in der pachomianischen Literatur nach, Peter Nagel befasst sich mit Gleichnissen in der Epistula Jacobi Apocrypha.
Grundsätzlichere Fragen der Gnosisforschung werden von Gerard P. Luttikhuizen und John D. Turner aufgegriffen. Ersterer befasst sich in einem überaus lesenswerten Beitrag anhand des Apokryphon des Johannes (AJ) mit der schwierigen Frage philosophischer Hintergründe christlich-gnostischer Schriften des 2. Jh.s. Dabei macht er auf aristotelische Einflüsse im Mittelplatonismus aufmerksam, die besonders bei der Rezeption alttestamentlicher Vorstellungen im AJ zu berücksichtigen seien. Turners Beitrag baut auf seiner Untersuchung über den Sethianismus auf und führt diese durch eine Betrachtung des Verhältnisses von Zeit und Geschichte in den vom ihm identifizierten Ausprägungen der sethianischen Mythologie weiter. Interessant ist auch die Interpretation eines vermutlich spätantiken Silbertellers aus dem Getty-Museum in Los Angeles durch Jens Holzhausen (mit Abbildungen). Auf dem nur fragmentarisch erhaltenen Teller sind die miteinander disputierenden Hermes und Ptolemaios abgebildet. Bei Ersterem handelt es sich offensichtlich um Hermes Trismegistos, die hinter dem Corpus Hermeticum stehende Autorität, der sich hier zum einzigen Mal auf einer antiken bildlichen Darstellung findet. Die Szene lässt sich, wie Holzhausen in einer ansprechenden Interpretation zeigt, als Disput zwischen Ratio und natürlicher Theologie deuten.
Im zweiten Teil, »Coptic Language and Literature«, sind vier Beiträge zu Fragen der koptischen Linguistik versammelt (Ariel Shisha-Halevy, Rodolphe Kasser, Stephen Emmel, Birger A. Pearson). Besonders hervorgehoben sei der Beitrag von Emmel über das Verhältnis des Unbekannten Berliner Evangeliums (UBE) zum Straßburger koptischen Papyrus. Emmel hatte bereits früher die Reihenfolge der Fragmente des UBE gegenüber der von Hedrick und Paul A. Mirecki besorgten Erstausgabe überzeugend korrigiert. Nunmehr weist er ebenso überzeugend nach, dass UBE und Straßburger Papyrus vom selben Manuskript stammen.
Der letzte Teil, »New Testament and Biblical Studies«, steuert mit Fragen der neutestamentlichen Wissenschaft eine weitere Facette der Arbeiten Schenkes bei. Petr Pokorn´y untersucht das in der Jesusüberlieferung bezeugte Sprichwort »Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen« (Lk 17,33). Das Wort stammt aus dem militärischen Bereich, wurde Pokorn´y zufolge jedoch evtl. bereits von Jesus selbst zur Deutung seines Weges verwandt. Nachösterlich konnte es dann im Rahmen des Schemas Tod/ Leben als Grundstruktur des christlichen Bekenntnisses rezipiert werden. Uwe-Karsten Plisch bietet eine überraschende Deutung des »Zeichen des Jona«: Es handle sich um ein Rätselwort Jesu, das sich auf Johannes den Täufer und seine Bußpredigt beziehe. Damit erübrige sich jedes weitere Zeichen. James M. Robinson und Christoph Heil setzen sich mit Einwänden auseinander, die Stanley E. Porter gegen ihre These vorgebracht hat, auf POxy 655 finde sich eine in Q verschriebene Lesart des Jesuswortes über die Lilien auf dem Feld. Ursula Ulrike Kaiser zeichnet die Umstände der von dem anglikanischen Geistlichen Brian Walton besorgten Herausgabe der Londoner Polyglotte von 1657 als Beispiel für die mit einem Editionsprojekt verbundenen Schwierigkeiten nach. Der Beitrag vermittelt interessante Einblicke in geistesgeschichtliche und politische Konstellationen im Umfeld besagter Bibelausgabe. Den Abschluss bildet ein Artikel von Michael Lattke. Der ausgewiesene Kenner aller mit den Oden Salomos zu sammenhängenden Fragen gibt hier einen Überblick über Verbindungen der Manuskripte von Psalmen Salomos und Oden Salomos, die sich bis ins 3., vielleicht sogar 2. Jh. zurückverfolgen lassen.
Der Band versammelt eine Vielzahl thematisch wie qualitativ unterschiedlicher Beiträge. In der Breite der Zugänge zu dem, was landläufig »Gnosis« genannt wird – ein Begriff, der Hans-Martin Schenke, je tiefer er in die Texte eindrang, um so fragwürdiger wurde –, dokumentiert er auf angemessene Weise die Wirkungen, die Schenke durch »Perfect Instruction« bei seinen »Children« hervorgerufen hat – ganz im Sinne von EvPhil, p.80,30, einer Stelle, zu der, wie Karen King in der Einleitung vermerkt, Schenke eine seiner schönsten Lückenergänzungen vorgenommen hat. Es gibt viel Grund, sein Lebenswerk in Respekt und Dankbarkeit zu bewahren und fortzuführen. Dazu bietet der Band einen überaus ansprechenden Ausgangspunkt.