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Ausgabe:

Dezember/2005

Spalte:

1291 f

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen. Im Auftrag d. Konvents Evangelischer Theologinnen unter Mitarbeit d. Redaktionsgruppe hrsg. v. H. Erhart.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagshaus 2005. 497 S. m. Abb. 8°. Kart. € 19,90. ISBN 3-7975-0081-5.

Rezensent:

Ute Gause

Die emeritierte Göttinger Systematikerin Hannelore Erhart, die in den letzten Jahren mit zahlreichen Publikationen zur Geschichte der evangelischen Theologinnen hervorgetreten ist, hat jetzt mit einem Redaktionsteam dieses Lexikon erarbeitet, das ein unentbehrliches Hilfsmittel für die weitere Forschung darstellt. Alle deutschen Theologinnen, die bis 1920 geboren wurden, sind hier erfasst. Analog zu den evangelischen Pfarrerbüchern für die einzelnen Landeskirchen ist hier ein Lexikon der Pionierinnen im Pfarramt erstellt worden. Die biographischen Angaben beschränken sich jeweils auf eine Seite, meist sogar mit Photo (wohl eine geschlechterspezifische Besonderheit; das gibt es in den Pfarrerbüchern nicht).
Nach einer Kurzbiographie werden bedeutendere Abschnitte der Biographie nochmals ausführlicher erläutert, werden Motivationen genannt oder Besonderheiten angeführt. Von diesen gibt es viele, schließlich gab es für die ersten Theologinnen noch keine normierte Berufslaufbahn, sondern diese musste gefunden, zum Teil erkämpft werden. Die Landeskirchen sind dabei sehr unterschiedlich verfahren. Dadurch, dass der Weg ins normale Gemeindepfarramt noch versperrt war, mussten sich die Theologinnen mit schwierigen Arbeitsbedingungen arrangieren. Nach dem Zweiten Theologischen Examen wurden die Theologinnen als ›Vikarinnen‹ vor allem für die Frauen- und Mädchenarbeit eingesetzt. Die Spendung der Sakramente blieb ihnen meist vorenthalten. Während des Zweiten Weltkrieges wa ren hier Ausnahmen möglich.
Jedenfalls unterscheiden sich die vielfältigen Laufbahnen, die diese Theologinnen einschlugen, eklatant von anderen weiblichen Normalbiographien des 20. Jh.s, obwohl es einige wenige verheiratete Theologinnen gab oder auch Frauen mit Kindern, die erst nach einer Familienphase studierten. Das Gros der Frauen blieb unverheiratet und kinderlos. Auffällig viele Frauen waren promoviert. Wie selbstverständlich wurde die Berufstätigkeit für die Pflege der Eltern unterbrochen. So wurde das Pfarramt hier notgedrungen mit anderen Kompetenzen und anderen Schwerpunkten ausgeübt als auf den Pfarrstellen, die die männlichen Kollegen innehatten. Die Konzentration lag eindeutig nicht auf dem sonntäglichen Predigtgottesdienst, den die meisten Frauen gar nicht halten durften. Soziale, lehrende und seelsorgerische Tätigkeiten an Frauen und Kindern standen im Vordergrund der Berufstätigkeit, die auch durch häufige Ortswechsel geprägt war. Auch wenn eine Frau nicht zwangsläufig unkonventionell war, wenn sie in dieser Zeit Theologie studierte, verlangte das Sich-Einlassen auf den Beruf dann doch hohe Flexibilität. Gelegentlich wird darüber und über die meist einem männlichen Pfarrer untergeordneten Arbeitsbedingungen Verbitterung deutlich. Die Theologinnen stießen auf zahlreiche Widerstände – in ihrer eigenen Kirche, in der Pfarrerschaft, aber auch in der Gemeinde. Die meisten scheinen dies als Herausforderung gesehen zu haben; sie fühlten sich jedenfalls nicht als Opfer der Verhältnisse. Dazu mögen die Erfahrungen des Weltkrieges beigetragen haben.
Trotz der geschilderten allgemeinen Kennzeichen des Berufsbildes tritt eine große Vielfalt der Biographien in den Blick. Exemplarisch sei eine etwas ausführlicher dargestellt: Dore Schellenberg (1904–1993) studierte zunächst Theologie, legte beide Examina ab (1926/1927) und wurde danach (1928) Diakonisse in Bethel. Sie wurde 1932 als Diakonisse eingesegnet und 1947 ordiniert. Die Doppelqualifikation eröffnete ihr die Möglichkeit, ab 1932 in Bethel junge Schwestern zu unterrichten. Zusätzlich gab sie Konfirmandenunterricht für behinderte Jugendliche, leistete die geistliche Betreuung der Feierabendschwestern und kümmerte sich um die Schwesternbibliothek. Da sie »nichtarischer« Abstammung war, wurde sie von der Gestapo verhört. Ihr Diakonissenmutterhaus bzw. der Vorsteher von Sarepta, Erich Meyer, verhinderte aber ihren Abtransport ins Konzentrationslager. Daraufhin konnte sie zunächst nicht mehr öffentlich wirken. In den 50er Jahren leitete sie die Kommunität »Zionsberg« und gründete ein Altersheim vor allem für Christen und Christinnen jüdischer Herkunft. Ihren Feierabend verbrachte sie in Bethel. Es ist zu vermuten, dass Dore Schellenberg Diakonisse wurde, um einer Gemeinschaft anzugehören – darauf deutet jedenfalls die spätere Kommunitätsgründung hin. Typisch an ihrem Lebenslauf sind jedoch die unterschiedlichen Arbeitsfelder.
Das Lexikon ermuntert zur forschenden Weiterarbeit. – Allerdings lohnt es sich auch, einfach darin zu lesen. – Dafür wäre es wünschenswert gewesen, die Verfasserinnen der Artikel hätten bereits vorliegende Sekundärliteratur angeführt und überhaupt eine Bibliographie erstellt. Etliche Frauen haben neben ihren Dissertationen auch anderes Schrifttum produziert (Christine Bourbeck, Liselotte Corbach, Grete Gillet, Maria Heinsius u. a.). Wahrscheinlich hätte das aber den Umfang gesprengt und erheblichen weiteren Aufwand erfordert. Zudem wäre es interessant zu wissen, ob Nachlässe der Theologinnen in Archiven vorhanden sind. Häufig wird biographisches Material auch verschollen sein, weil viele Frauen keine eigenen Familien hatten.
Dieses bedeutsame Kapitel der Kirchengeschichte des 20. Jh.s muss erst noch geschrieben werden. Das Lexikon bedeutet einen wichtigen Schritt auf dem Weg dahin.