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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

233–236

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Gänßbauer, Monika

Titel/Untertitel:

Parteistaat und Protestantische Kirche. Religionspolitik im nachmaoistischen China.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2004. 320 S. gr.8°. Kart. € 24,00. ISBN 3-87476-446-X.

Rezensent:

Georg Evers

Die Arbeit von M. Gänßbauer umfasst eine Untersuchung der Religionspolitik in der Volksrepublik China mit Schwerpunkt auf der Interaktion zwischen Staat und kommunistischer Partei und den im Chinesischen Christenrat zusammengeschlossenen protestantischen Christen für den Zeitraum 1978–2003. Dabei stützt sie sich neben der Auswertung der relevanten Literatur auf eigene Erfahrungen, die sie im Rahmen eines Studienaufenthalts 1990–1992 und späterer Besuche gewonnen hat.
Ausgangspunkt für die Beantwortung der zentralen Frage, in wieweit in der Volksrepublik China Religionsfreiheit herrscht, ist die These, dass nur die Unterscheidung zwischen Religion und Recht wirklichen Religionsfrieden schaffen kann (20 f.). Ein weiterer Aspekt ist die Frage nach dem Verhältnis der etablierten Protestantischen Kirche Chinas zur Ökumene im Zusammenhang mit dem Problem der Eigenständigkeit (30). Nach einer kurzen Charakterisierung der zentralen Begriffe »Religion«, »Politik« und »Religionspolitik« im chinesischen Verständnis hält G. fest, dass die Institutionen und die Akteure der Religionspolitik »nach wie vor von dem Korsett einer marxistisch-lenistischen Religionstheorie als offiziellem Bezugssystem eingeengt bleiben« (56).
G. beschreibt die von der kommunistischen Partei in China anwendeten Mechanismen, die die Religionen im Rahmen ihrer Einheitsfrontpolitik kontrollieren und ihre Aktivitäten für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft dienstbar machen sollen. In ihrer Bewertung setzt sie sich kritisch von Ph. Wickeri und J. Charbonnier ab, die in der Einheitsfrontpolitik positiv eine Bündelung aller gesellschaftlichen Interessen für ein gemeinsames Ziel sehen möchten, wobei ideologische und religiöse Unterschiede bestehen bleiben. G. macht deutlich, dass die offizielle Position der kommunistischen Partei streng darauf abgestellt ist, dass alle Gruppierungen und Einzelpersonen den Führungsanspruch der Partei anerkennen, den sozialistischen Weg mitgehen und sich erst dadurch als echte Patrioten erweisen.
In letzter Konsequenz ist die Politik der Einheitsfront immer darauf angelegt, die Religionsfrage ein für allemal zu lösen, d. h. auf ein Verschwinden der Religionen nach Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu setzen. G. hält kritisch fest, dass in Verlautbarungen des chinesischen Christenrats Patriotismus als absoluter Gehorsam gegenüber den Gesetzen und Erlassen der sozialistischen Regierung verstanden wird, so dass Ungehorsam gegenüber staatlichen Gesetzen und Regeln als Ungehorsam gegenüber Gott interpretiert wird.
An der Geschichte der Drei-Selbst-Bewegung in der Volksrepublik China lässt sich das problematische Verhältnis der Protestantischen Kirche gegenüber Staat und kommunistischer Partei exemplarisch darstellen. Die Vertreter der Drei-Selbst-Bewegung haben die staatliche Anerkennung kirchlicher Aktivitäten mit einer weitgehenden Kontrolle durch die Organe der staatlichen Religionsbüros erkauft. Der Chinesische Christenrat, der sich die eigentlich ekklesiologischen Aufgaben einer Kirchenwerdung vorgenommen hatte, wurde in dieser Tätigkeit durch die Drei-Selbst-Bewegung immer wieder behindert. Die Forderung, die Bischof K. H. Ding als Vorsitzender des Chinesischen Christenrats noch 1988 aufgestellt hatte, dass die »Kirche ihre Angelegenheiten auf ihre eigene Weise regeln sollte«, wurde von der 7. Nationalsynode der Protestantischen Kirche im Jahr 2002 aufgegeben, als sie feststellte: »Der Chinesische Christenrat akzeptiert eine gesetzmäßige Aufsicht durch die Staatlichen Büros für religiöse Angelegenheiten sowie eine Aufsicht und Kontrolle durch die Behörden der Zivilverwaltung.« (142.) Zugleich wurde die Bewegung »Verstärkung der theologischen Reflexion«, ursprünglich von K. H. Ding gegen fundamentalistische Strömungen angestoßen, mit dem von der Partei vorgegebenen Ziel einer »Anpassung des chinesischen Christentums an die sozialistische Gesellschaft« verknüpft und in die Präambel der Satzungen von Chinesischem Christenrat und der Drei-Selbst-Bewegung aufgenommen.
G. behandelt die Ereignisse des Jahres 1989, die in der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing am 4. Juni 1989 ihren Höhepunkt hatten, als Beispiel für die Interaktion zwischen Parteistaat und Kirche. Während anfangs die protestantische Kirchenleitung der Protestbewegung für mehr Demokratie positiv gegenüberstand und sie begrüßte, schwenkte sie unter dem politischen Druck bald um und erklärte das gewaltsame Vorgehen der Regierung als für den Erhalt der staatlichen Ordnung notwendig. Der Versuch der Protestantischen Kirche, in den anstehenden gesellschaftlichen Fragen einen von der Regierung ab weichenden Standpunkt einzunehmen, endete mit »einer klaren Unterordnung kirchlicher Belange unter parteistaatliche Interessen … und führte in tragischer Weise den Mangel an Autonomie in den Lebens- und Meinungsäußerungen der etablierten chinesischen Kirche vor Augen« (181 f.).
Was das Verhältnis der Protestantischen Kirche Chinas zur Ökumene angeht, so ist der Chinesische Christenrat zwar seit 1991 Mitglied im ÖRK, die etablierte chinesische Kirche stellt ihr Bekenntnis zum Patriotismus aber in jedem Fall über ihre Beziehungen zur Ökumene (189). Diese Einstellung hat viel mit dem Verständnis von Religionsfreiheit seitens des chinesischen Staates zu tun, nach dem der Bereich des Religiösen eindeutig dem des Politischen untergeordnet ist. Mit dieser Einstellung befindet sich die gegenwärtige politische Führung in einer weitgehenden Kontinuität und Übereinstimmung mit Auffassungen über Religion und Religionsfreiheit im alten vorkommunistischen China. Der Beitrag der kommunistischen Partei Chinas zur Religionspolitik besteht im Wesentlichen darin, basierend auf den Prinzipien der marxistischen Religionskritik auf das Absterben von Religion durch die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft zu setzen, die den Religionen endgültig ihre Rolle als »Opium des Volkes« nehmen würde. Die tatsächliche Entwicklung steht im krassen Gegensatz zu dieser Theorie, da die Religionen in China ständig wachsen und an Einfluss gewinnen. G. rekapituliert die lange, verworrene und letztlich äußerst sterile Diskussion über den marxistischen Religionsbegriff, die anhand des Axioms von »Religion als Opium des Volkes« ad nauseam geführt worden ist, abgehoben von der tatsächlichen Entwicklung der Religionen im Lande. In der aktuellen Religionspolitik in der Volksrepublik China spielen die Begriffe »Religion« vs. »Aberglaube« respektive »Religion« vs. »üble Kulte« eine große Rolle, wie sich exemplarisch am radikalen Vorgehen gegen die Falun-Gong-Bewegung zeigt.
Der Exkurs über das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Religionsfreiheit in Indonesien und in Indien ist in seiner Kürze wenig erhellend und aussagekräftig. In ihrer Schlussbetrachtung geht G. noch einmal die einzelnen behandelten Punkte durch und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: »Die massive Kontrolle durch den Parteistaat verhindert nach wie vor die Entwicklung der Kirche zu einer zivilgesellschaftlich relevanten Gruppe« (290). Die von G. vorgelegte Studie enthält reiches Material zum Verständnis der Geschichte und gegenwärtigen Situation der etablierten Protestantischen Kirche in der Volksrepublik China in der Auseinandersetzung mit der Religionspolitik des chinesischen Parteistaats. Ihre sorgfältig abgewogene Darstellung zeigt bei allem wohlwollenden Verständnis für die besondere Situation der protestantischen Christen in China doch deutlich die vom chinesischen Parteistaat den Religionen gesetzten Grenzen auf.

Es wäre wünschenswert gewesen, die in Hauskirchen oder in anderen vom Chinesischen Christenrat verschiedenen Weisen und Organisationsformen, Christsein in der Volksrepublik China zu leben, in die Untersuchung einzubeziehen. Angesichts der prekären Faktenlage und des schwierigen Zugangs zu relevanten Material lässt sich aber eine Erfassung und Würdigung des kirchlichen Lebens dieser von den staatlichen Organen immer wieder verfolgten protestantischen Christen gegenwärtig wohl kaum realisieren. Eine solche Studie würde noch schärfer die Grenzen und Schwächen der chinesischen Religionspolitik aufzeigen und das ihr zu Grunde liegende defiziente Verständnis von Religionsfreiheit deutlich machen. Die neueren Entwicklungen in der Volksrepublik China, das Inkrafttreten von neuen Regeln für die Religionen am 1. März 2005, haben den Druck auf alle religiösen Gruppierungen erhöht, die bisher nicht mit den offiziellen Religionsbüros der Regierung zusammengearbeitet haben. Für den Chinesischen Christenrat wird die Situation dadurch noch prekärer. Sein Anspruch, die Gesamtheit der protestantischen Christen zu repräsentieren, wird noch mehr geschwächt, weil einige der protestantischen Hauskirchen schon angekündigt haben, am Christenrat vorbei direkt mit den staatlichen Religionsbehörden verhandeln zu wollen, weil sie den Christenrat als nicht repräsentativ und zu sehr auf der Linie von Partei und Staat liegend ablehnen.