Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

228–231

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Canobbio, Giacomo, e Piero Coda [Edd.]

Titel/Untertitel:

La Teologia del XX secolo – un bilancio. 3: Prospettive pratiche.

Verlag:

Roma: Città Nuova 2003. 521 S. gr.8°. Kart. € 38,00. ISBN 88-311-9276-0.

Rezensent:

Stefan Tobler

Dies ist ein durchgehend ökumenisches Werk katholischer Theologen. Träger ist die Associazione Teologica Italiana, Herausgeber sind der frühere (Canobbio) und heutige (Coda) Präsident, die Autoren sind mehrheitlich jüngere Leute. Alle Beiträge zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der konfessionellen Vielfalt in der Theologie. Eine kurze Inhaltsübersicht sei vorangestellt; die nachfolgende Besprechung kann notgedrungen nur einzelne Beiträge aufgreifen.

Die Einteilung in drei Bände entspricht drei Perspektiven bzw. Disziplinen: historisch, systematisch und praktisch. Band I: Der Sinn einer Bilanz (Giacomo Canobbio und Piero Coda), Standort und Methode der Theologie (Piero Coda und Nicola Reali), Exegese des Alten Testaments (Ambrogio Spreafico), Exegese des Neuen Testaments (Giuseppe Ghiberti), Kirchengeschichte (Saverio Xeres), Theologiegeschichte (Gianfranco Coffele), Entwicklung der Patristik (Angelo Di Berardino), Theologie der Väter (Manlio Simonetti), Fundamentaltheologie (Giuseppe Lorizio). Band II: Christologie: systematischer Zugang (Marcello Bordoni), Christologie: herausragende Themen (Roberto Nardin), Trinitätstheologie (Antonio Staglianò), Theologische Anthropologie (Franco Giulio Brambilla), Ekklesiologie (Giampietro Ziviani und Valentino Maraldi), Liturgie und Sakramente (Andrea Grillo), Eschatologie und Geschichtstheologie (Gianni Colzani), Mariologie (Stefano De Fiores). Band III: Ökumene und Theologie (Angelo Maffeis), Theologie der Religionen (Paolo Selvadagi), Moraltheologie (Basilio Petrà), Theologie der Spiritualität (Jesús Castellano Cervera), Kirchenrecht (Carlo Redaelli), Pastoraltheologie (Sergio Lanza).

Die drei Bände haben je ein eigenes Namenregister; im dritten Band ist ein Sachregister zum ganzen Werk zu finden. Der Stil der Beiträge ist uneinheitlich. Die Mehrheit der Beiträge schließt mit einer Bibliographie ab, wenn auch in unterschiedlicher Form. Zu einigen eher zufälligen Punkten werden enzyklopädische Literaturhinweise gebracht (Beispiele: durch G. Lorizio zu von Balthasar und zu den Reaktionen auf die päpstliche Enzyklik Fides et ratio in I, 477–479, und I, 491–493). Gewisse Beiträge werden durch den Versuch gekennzeichnet, einer lexikalischen Fülle Herr zu werden (Neues Testament; Christologie), andere hingegen verzichten darauf und wählen den Weg, anhand von wenigen Namen und in großen Linien eine Standortbestimmung vorzunehmen (Beispiel Fundamentaltheologie, in einem originellen Versuch von G. Lorizio, anhand von drei »Märtyrer-Theologen« des 20. Jh.s die großen Fragen aufzugreifen: Pavel Florenskij, Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer). Der Beitrag zum Alten Testament ist systematisch nach Problemfeldern geordnet, der Beitrag zum Neuen Testament bietet hingegen eine einerseits nach Sprachregionen (sympathisch, dass im französischen und italienischen Sprachraum auch die protestantischen Minderheiten im Blick sind), andererseits chronologisch (Phasen der Forschung und Wechsel der Methoden) eingeteilte Übersicht.
Bei den dogmatischen Themen fehlen eigene Beiträge zur Schöpfungstheologie und zur Pneumatologie. Während Letztere in manchen Beiträgen aufgegriffen wird, ist Erstere ein Teil der theologischen Anthropologie, mit der Konsequenz, dass Themen wie Ökologie und Dialog mit den Naturwissenschaften sehr kurz abgehandelt werden (II, 197–219). Was man wirklich vermisst, ist ein Beitrag zur Sozialethik. Sie erscheint beiläufig in der Geschichte des Weltkirchenrates, wo der Ökumeniker A. Maffeis von der »Einheit von Ethik und Ekklesiologie« im Begriff der koinonia spricht (III, 55 f.). Die Moraltheologie beschränkt sich hingegen definitionsgemäß auf die Dimension der einzelnen Person.
Eine durchgehend trinitarische Perspektive der Theologie ist kennzeichnend für die meisten Beiträge, so z. B. bei G. Lorizio (Trinitarische Ontologie bei Edith Stein, I, 413 ff.) und M. Bordoni (pneutamologische Verankerung der Christologie). Der spezifische Beitrag zur Trinitätstheologie (Staglianò) nennt als »unhintergehbaren Gewinn« des 20. Jh.s die Einsicht in den unlöslichen Zusammenhang der Trinitätslehre mit dem Passions-Oster-Geschehen (II, 90.134–139) und damit den geschichtlich-narrativen Zugang, der dann allerdings nach einer ontologischen Interpretation ruft (II, 102), d. h. ein Schlüssel zum Verständnis von Welt und Mensch wird auf Grund des Verständnisses des »Seins als Gabe« bzw. mit dem Mittel einer »analogia charitatis« (II, 103.122 f.). Mehr als eine Aussage »über Gott« ist die Trinitätstheologie eine Denkform, die sich in der Begegnung mit der pluralistischen Kultur und mit anderen Religionen als dialogfähig erweist (II, 103 f. und 163 f.), die alle Fächer der Theologie neu zu durchdenken lehrt (Beispiele: der Hinweis von Coda/Reali auf eine »Anthropologie der Gegenseitigkeit«, I, 83 ff., und die Anwendung auf Anthropologie und Sozialität bei A. Staglianò, II, 148 ff. und II, 158 ff.) und die in der Reflexion auf die ›Gottverlassenheit Gottes‹ eine starke soteriologische Relevanz besitzt.
Eine solche Bilanz ist die Gelegenheit zur Rechenschaft über den eigenen Standort. Dieser war in Italien lange Zeit keineswegs leicht zu finden. G. Ghiberti beklagt die große Verarmung, die der Ausschluss der Theologie aus den staatlichen Universitäten Italiens nach 1870 mit sich brachte. Bis heute gilt, dass »der Mangel an Dialog mit der universitären Kultur nicht ausgefüllt ist« (I, 170). Versuche der Überwindung sind gescheitert; an den staatlichen Universitäten sind zwar Lehrstühle zum Studium des frühen Christentums errichtet worden, aber zumeist mit wenig Kommunikation mit den kirchlichen Hochschulen. Der Modernismusstreit mit seinem »Klima von Verdacht und Inquisition« (I, 154) hatte die Kräfte gelähmt. Ein Aufbruch kam nach dem 2. Vatikanischen Konzil. Handbücher als »typisch italienische Erscheinung« (I, 186) wurden herausgegeben, teils Übersetzungen, teils mit italienischen Autoren. Aber Italien leide immer noch unter einer »provinziellen Isolierung« (I, 190) – es sei nur ein langsamer Prozess des Aufholens zu bemerken.
Italien ist mehr als nur das vatikanische Lehramt – das zeigen z. B. die Beiträge zur Moraltheologie und zur Patristik. Nach Beschreibung der positiven Entwicklungen (theologische Vertiefung der moralischen Prinzipien im Rahmen des 2. Vatikanums) benennt B. Petrà in zurückhaltenden, aber klaren Worten das Dilemma, in das sich das katholische Lehramt gebracht hat. Der Versuch einer Kontrolle über die Moraltheologie durch normative Erklärungen führt zu einer Entfremdung von Theologie und Lehramt, zur Blockierung des kreativen Denkens der Theologen (III, 165) und andererseits – durch die Inflation der Interventionen und die unvermeidlichen Irrtümer und Engführungen – zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. Für den Autor sind darum die Öffnung auf die »Katholizität als Methode der Moral und nicht als konfessionelle Identität« (III, 166) und damit das Gespräch mit den anderen Konfessionen wesentlich. Von dieser Öffnung zeugen auch die Beiträge zur Patristik.

A. Di Bernardo stellt fest, dass die Kirchen auf beiden Seiten allzu lange damit beschäftigt waren, in ihrem Rückgang ad fontes die Bestätigung ihrer eigenen Geschichte und Gestalt zu suchen. Aber »wer die antiken Quellen kennt, kommt nicht umhin einzusehen, wie sehr diese manipuliert, entstellt, forciert, ja gelegentlich geradezu verdreht wurden, weil es der eigenen Sache diente – und dies auch von an sich guten Historikern, die davon träumten, ihr Idealbild von Kirche wiederzufinden« (I, 334). Aber im Rahmen des ökumenischen Dialogs ist es wichtig einzusehen: »Praktisch geht keine Institution der Kirche in ihrer heutigen Form auf die Apostel zurück« (I, 332). So kommt man zu einer ausgewogeneren Sicht der frühchristlichen Ekklesiologie in ihrer Vielfalt, von der jedenfalls zweierlei gilt: Sie kannte eine enge Verbundenheit von charismatischer Dimension und Organisation und sie war stark vom Mutterboden des Judentums geprägt. Die Patristik überschreitet nicht nur heutige konfessionelle Grenzen, sondern weicht auch die schon längst obsolete Unterscheidung von ›katholischen‹ und ›häretischen‹ Theologen der Väterzeit immer mehr auf. Nur in ihrer engen gegenseitigen Verbindung sind sie zu verstehen, betont M. Simonetti, denn es gab »eine enge kulturelle Einheit, die Orthodoxe und Häretiker tausendfach verband« (I, 386). Simonetti verweist u. a. auf Antonio Orbe (Publikationen auf Spanisch und Italienisch), der hierin Bahnbrechendes geleistet hat, indem er die Vätertheologie in thematischen Querverbindungen zwischen den nicht zu trennenden Parteien beschrieb.

Interessant ist der Abschnitt innerhalb der Anthropologie zum Thema der Rechtfertigung (F. G. Brambilla), in Anknüpfung u.a. an die Gemeinsame Erklärung (GER) von 1999. Ökumenisches Verständnis entsteht, wenn zwei Verengungen überwunden werden: die individualistische (durch Verankerung im geschichtlich-gemeinschaftlichen Verständnis im Alten Testament und Neuen Testament) und die hamartiologische (durch eine Reflexion auf die menschliche Freiheit, die weder der Rechtfertigung vorangeht noch durch sie negiert wird, sondern die der Modus der Aktualisierung der Rechtfertigung ist und dabei immer in Gottes Handeln verankert bleibt; II, 261). Aus evangelischer Sicht horizonterweiternd sind die Beiträge zur Liturgie (Brambilla: Korrelation von intellectus fidei und intellectus ritus, II, 457) und zur Theologie der Spiritualität (Cervera: das geistliche Leben in den traditionellen Orden und neuen Bewegungen als Ort theologischer Erkenntnis).
In allen Teilen ist die Ausrichtung darauf zu erkennen, die Öffnung des 2. Vatikanischen Konzils aufzugreifen und weiterzudenken (vgl. Überblick bei Coda/Reali, I, 45–50). Karl Rahner ist der meistzitierte Theologe im ganzen Werk. »Theologie im Dialog« bzw. »dialogische Theologie« (I, 5) sind die Stichworte. In einer Ellipse mit den beiden Polen Inkulturation und Dialog siedelt M. Bordoni die Aufgaben heutiger Christologie an (II, 16), die dabei den Wahrheitsbegriff nicht aufgeben, aber neu verstehen muss: als geschichtlich-personales Geschehen und Sich-Geben des Absoluten, unlöslich mit der Liebe verbunden (II, 19) und von der universalen Wirksamkeit des Heiligen Geistes ausgehend. Theologie soll in ihrer Geschichtlichkeit und Vielfalt und damit auch in ihrer Wandelbarkeit wahrgenommen werden. Theologiegeschichte ist für G. Coffele ganz selbstverständlich Geschichte der katholischen und protestantischen Theologie in ihrer Wechselwirkung (bei ihm fehlt allerdings, im Unterschied zu anderen Beiträgen, der Blick auf die Orthodoxie). Im Blick sind auf protestantischer Seite besonders häufig Barth, Moltmann und Pannenberg. Bei Letzterem interessiert das Verständnis der Geschichte als Offenbarung (I, 311 f.), das dem Versuch von Maurice Blondel und seinen Schülern (I, 255 f.), den Modernismusstreit und damit die Kluft zwischen historischem und dogmatischem Denken fruchtbar zu überwinden, nahe kommt. Praktisch unerkannt bleibt hingegen die Schleiermacher-Renaissance der letzten Jahrzehnte (typisch ist die unbrauchbare und fehlerhafte Fußnote in I, 21).
Das Schlusswort der Einleitung (P. Coda) kennzeichnet zusammenfassend den Geist des Werkes. »Da der sich in Christus offenbarende Gott trinitarische agápe ist, kann die Gabe, die er selbst ist, in theologisch überzeugender und anthropologisch relevanter Weise nur ›auf trinitarische Weise‹ empfangen und gelebt werden, d. h. im Ereignis der gegenseitigen Annahme des Je-Anderen. Es ist die Einladung, jenes konstitutive und kreative Paradox des christlichen Glaubens mit seiner prophetischen und gewissermaßen utopischen Kraft zu leben und zu denken, worin aufleuchtet, dass die eigene Identität ausschließlich in der Anerkennung des Anderen (vgl. 1Kor 9,19–22) und im unentgeltlichen Risiko der agápe (vgl. Mt 25,31–46) empfangen werden kann.« (I, 87)