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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

218–220

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brinitzer, Ron

Titel/Untertitel:

Religion – eine institutionenökonomische Analyse.

Verlag:

Würzburg: Ergon 2003. XVIII, 449 S. m. Abb. 8° = Religion in der Gesellschaft, 14. Kart. € 40,00. ISBN 3-89913-299-8.

Rezensent:

Steffen W. Hillebrecht

Ron Brinitzer stützt sich in seinen Ausführungen auf mehrere zentrale Gedanken der Institutionenökonomie. Diese untersucht die Bedeutung einzelner Institutionen für das wirtschaftliche Zusammenarbeiten, welche Funktionen die Institutionen erfüllen und welche Vorteile daraus für die Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf erwachsen. Sie basiert auf der Frage von Olivier E. Williamson nach dem Zweck eines Unternehmens und kommt zum Schluss, dass nur solche Institutionen langfristig überleben, die der Gesellschaft einen besonderen Nutzen zur Verfügung stellen.
Die Weiterentwicklung in Gestalt der Neuen Institutionenökonomie bezieht u. a. das Merkmal unvollkommener Märkte in die Auswahlentscheidung mit ein. Da kein Mensch einen Gesamtüberblick über das Marktangebot besitzt, wird jede Auswahlentscheidung immer nur auf der Basis einer begrenzten Rationalität getroffen. Im Prinzip suchen Menschen nur so lange, bis sie einen befriedigenden, nicht zu aufwendigen Überblick haben, und kommen so zu einer entsprechenden Auswahl.
Sowohl in den Wirtschaftswissenschaften als auch in der religionssoziologischen Diskussion wird bereits seit längerem überlegt, in welcher Form das wirtschaftlich ausgerichtete Handeln auch auf die Auswahl unter den religiösen Angeboten zutrifft. Anders formuliert: Menschen fragen religiöse Güter auf der Basis von rationalen Kriterien nach, und dazu müssen Kirchen als Makler oder Handelsvermittler von Religion einen spezifischen Beitrag leisten, um in eben dieser Funktion wahrgenommen zu werden. Der Ansatz unterstellt selbstverständlich, dass Menschen von Natur aus religiös sind oder zumindest durch ihre Sozialisation dazu werden und damit zu religiösen Nachfragern werden.
Das ist auch der rote Faden für B. Zunächst legt er die Grundlagen einer religiösen Nachfrageentscheidung aus wirtschaftswissenschaftlicher und religionssoziologischer Sichtweise dar. Für B. ist die religiöse Nachfrageentscheidung ein Prozess ökonomischer Prüfung (71), womit Religionsgemeinschaften letztlich auch nur Unternehmen sind und Religion ein wirtschaftlich zu handelndes Gut (146).
Der zweite Arbeitsschritt betrifft den Charakter des Anbieters von Religion. Nachfrager erbringen im ökonomischen Duktus eine hohe Vorinvestition in Form von Vertrauen in die Richtigkeit der Lehre, Unterordnung der eigenen Lebensführung unter die religiösen Normen usw., ohne dass sie damit gleich eine entsprechende Gegenleistung erhalten. Diese wird erst à la longue wirksam, in einer psychologisch gesicherten Lebensführung und im gesicherten Jenseits. Hat der Anbieter Erfolg, gewinnt er viele Anhänger und wird auf diesem Weg zur Kirche. Das wie derum erfordert eine professionelle Organisation einschließlich Vertriebsstrukturen, Geschäftslokalitäten etc. Damit entstehen hohe Fixkosten, zu deren Deckung man die Nachfrager langfristig binden muss (92 ff.).
In diesem religiösen Austauschgeschäft oder auch Handel entstehen Informationsasymmetrien, zum einen zwischen dem Menschen als Nachfrager und dem Priester, zum anderen zwischen dem Priester und Gott (174 ff.). Denn der Nachfrager kann nicht unbedingt zum Zeitpunkt seiner Nachfrageentscheidung die Richtigkeit der Lehre überprüfen – der Kauf von Religion wird zum Vertrauenskauf (179), folglich muss der Kommunikationsstil zwischen Anbieter und Nachfrager genau dieses Vertrauen er möglichen (199 ff.).
Ein nächster, sehr pointiert aufgearbeiteter Gedanke besteht in der »free rider«-Problematik. Damit umschreiben Volkswirte die Tatsache, dass interessierte Personen ein öffentliches Gut ohne Teilnahme- oder gar Verbrauchskosten nutzen können. Religionsausübung per se ist ein öffentliches Gut (wie würde sich die religiöse Botschaft in Form von Gottesdiensten denn abnützen, wenn mehr oder weniger Personen dem Gottesdienst beiwohnen?), kann also auch durch eine hohe Anzahl an Nachfragern nicht »abgenutzt« werden. Die für eine größere Teilnehmerzahl erforderlichen höheren Produktionskosten (größere Gottesdiensträume, mehr Priester) führen aber zu einem erhöhten Organisationsaufwand, und dieser will gedeckt sein. In Sekten geht man nach Ansicht B.s damit sehr einfach um: Alle Nachfrager müssen Eintrittsgebühren in Form von Opfern bezahlen. Die Sekten benötigen dazu aber auch einen ungleich höheren Kontrollaufwand (235).
Der dritte und abschließende Schritt thematisiert die ökonomischen Auswirkungen von Religion auf eine Gesellschaft. Auf Grund der religiösen Normen und Werte zeigen die Mitglieder einer Gesellschaft bestimmte Handlungsweisen. Sie haben zwar nicht alle den gleichen Effekt, führen aber im Hinblick auf die erwarteten Gratifikationen im Diesseits und im Jenseits zum Beispiel zu bestimmten Wohlfahrtsaktivitäten. Auf diese Weise gewinnt eine Gesellschaft durch Religion auch ökonomisch (300 ff.). Zudem ergibt sich eine ökonomisch wirksame Stärkung der Gruppenzugehörigkeit und der gegenseitigen Verantwortungsübernahme (412).
Führt man nun diese Ansätze zusammen, so ist man doch sehr verblüfft, wie sehr Kirchen in ihren gesellschaftlichen Funktionen einem Unternehmen gleichen und für ihre Nachfrager bestimmte Dienste erbringen, aber auch Gegenleistungen einfordern. Der besondere Nutzen für eine Gesellschaft besteht darin, dass die religiösen Nachfrager in einer Kirche unsicherheitsreduzierende Strukturen erfahren und damit überhaupt erst das für eine religiöse Nachfrage notwendige Vertrauen und die dazu gehörigen Kosten aufzubringen vermögen. Der Zweck des Unternehmens Kirche – wären Theologen im Hinblick auf die Definition der sichtbaren Kirche auf grundsätzlich andere Gedanken gekommen? – besteht also darin, einen Raum für die Ausübung von Religion zu bieten. Allerdings muss sich dies für die Beteiligten auch rechnen, und das ist wohl der über die theologische Interpretation hinausgehende Diskussionsbeitrag der Ökonomie.
Das Werk überzeugt aber durch eine sehr stringente Gedankenführung und eine sehr gute Zusammenfassung der bisher erarbeiteten Ansätze. Die nachfolgende wissenschaftliche Auseinandersetzung findet damit eine gute Ausgangsbasis. Vor allem Ökonomen erhalten viele wichtige Impulse. Auch wenn praktische Handlungsvorschläge fehlen, so kann man zumindest das organisatorisch-materielle Handeln der Kirche gut hinterfragen. Inwiefern Theologen den ökonomischen Sprachgebrauch und das damit verbundene Bild von Religion und Gottes Botschaft als Gegenstände wirtschaftlichen Handelns aufnehmen, steht auf einem anderen Blatt.