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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

339–341

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Drehsen, Volker, und Walter Sparn [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Schmelztiegel der Religionen. Konturen des modernen Synkretismus.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1996. 323 S. 8° Kart. DM 128,­. ISBN 3-579-00247-3.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Werbeanzeigen für das Buch wirkten auf einen Missionswissenschaftler befremdlich ­ denn die Rede war von "Annäherung statt Abgrenzung, Dialog statt Mission, Verwandtschaft statt Fremdheit". Sollten hier falsche Alternativen wieder aufgerichtet werden, die abzubauen unsere Disziplin gerade jahrelange Arbeit kostete?

Doch spätestens unter dem Buchdeckel wird deutlich, daß es hier nicht um die Vermarktung des Synkretismus selbst geht, sondern um eine ernsthafte Bemühung darum, wissenschaftlich beschreibbar zu machen, was mit "Synkretismus" gemeint sein könnte. Untertitel und Vorwort verdeutlichen, daß es speziell um moderne synkretistische Phänomene gehen soll, und zwar beschränkt auf die nördliche Hemisphäre. Nicht direkt Gegenstand dieser Arbeiten sind also der hellenistische Synkretismus, der jedoch als "Prototyp" in jeder Rede von Synkretismus präsent ist und damit die Gefahr von Projektionen in sich birgt (Fritz Stolz, 18), und auch nicht Fragen der Inkulturation des Christentums in die Kulturen der südlichen Hemisphäre, deren Kenntnis jedoch den Religionswissenschaften bei der Interpretation von Synkretismen hilft (Drehsen und Sparn, 9).

In dem Band sind die Beiträge von einer Autorin und zehn Autoren zu zwei interdisziplinären Kolloquien zusammengestellt, die 1992 und 1993 in Bayreuth stattfanden. Daß die Veröffentlichung sich relativ lange hingezogen hat, ist bedauerlich, da die Texte eine Entwicklung weiter dokumentieren, die sich auch sonst in der Synkretismusforschung jener Jahre abzeichnet: die zunehmende Einsicht, daß der Versuch einer "neutralen" Beschreibung von Synkretismus selbst unter streng wissenschaftlichen Voraussetzungen letztlich Illusion bleibt, daß vielmehr die Verwendung des Begriffs immer einen Standort voraussetzt und etwas über die Beziehung zwischen Beobachter(in) und beschriebenem Sachverhalt verrät. Von Synkretismus zu sprechen, ist ein "Orientierungsangebot" (Sparn, 255).

So analysiert Falk Wagner gerade an Hand der um Objektivität bemühten religionsvergleichenden Verwendung des Synkretismusbegriffs, daß dabei Vorstellungen aus einer bestimmten Religion entlehnt, dann verallgemeinert und auf ähnlich bewertete Phänomene anderer Religionen übertragen werden. "Es handelt sich also um eine synkretistische Verfahrensweise, die sich primär auf den Vorgang der theoretischen Beschreibung und nur sekundär auf die beschriebenen Phänomene oder Vorstellungen bezieht" (76).

Ein weiterer Aspekt des unvermeidbaren Momentes von Subjektivität in der Verwendung des Synkretismusbegriffs ist sein wertender Charakter: "Bei der Behandlung des Synkretismus sind immer Wertungen mit im Spiel ... Man wird sich die Kraft dieser Wertungen immer wieder klar machen müssen ­ nur zu leicht macht man von ihnen Gebrauch, ohne sich dessen bewußt zu sein" (Stolz, 17 f.). Dies gilt noch verstärkt dann, wenn der Begriff sich auf moderne Phänomene bezieht.

Allerdings wird dieser Ansatz, soweit ich sehe, in dem Band nicht konsequent zu Ende gedacht zu Definitionen von "Synkretismus", die dem Rechnung tragen. Immer wieder scheint doch die Unterstellung eines objektiven Synkretismusbegriffs durch ­ oder aber der Begriff wird als "letztlich entbehrlich" (Stolz, 19) bezeichnet und durch ein Instrumentarium für die Beschreibung von "Austauschprozessen" im Bereich des Religiösen ersetzt. Wäre es dem gegenüber nicht hilfreicher, die Begriffsverwendung von Synkretismus entschlossen in die Beschreibung des Problems mit hineinzunehmen?

Friedrich Schweitzer weist mit Recht auf die Notwendigkeit hin, das Problem des Synkretismus auch aus einer biographischen Perspektive zu behandeln ­ dies ist ein hilfreicher Schritt auf dem Weg dahin, unsere je eigene Religiosität in Beziehung zu "Synkretismen" zu setzen, die wir an Religionsgemeinschaften beobachten. Wenn "lebensgeschichtlich gesehen alle Religion ihre Grundlage in der psychosozialen Erfahrung früher Kindheit besitzt" (66), wird die persönliche Religion niemals genau deckungsgleich mit dem, was die Gemeinschaft als Orthodoxie definiert. Damit wird die persönliche Aneignung religiöser Sprachformen zu einem potentiell synkretistischen Prozeß. Die Gefahr, den Synkretismusbegriff dabei in einen überall gültigen Sachverhalt aufgehen zu lassen, vermag Schweitzer nicht ganz zu bannen. Die synkretistische Gegenwartskultur charakterisiert Schweitzer als Anzeichen, daß Spannungen zwischen individueller und institutionalisierter Religion nicht mehr automatisch zugunsten des institutionellen Pols aufgelöst werden (66 f.). Dies inspiriert zu der ergänzenden Frage, warum eigentlich die Institution die Definitionsmacht von "Synkretismus" gegenüber dem Individuum haben soll. Ist nicht die Verwendung des Synkretismusbegriffs durch Wissenschaftler-Individuen mit dem Anspruch von Definitionsmacht gegenüber Religionsgemeinschaften ein Beispiel, das in die gegenteilige Richtung weist?

Walter Sparn geht in seinen Überlegungen zu einem theologischen Synkretismusbegriff von der Traditionslogik des Christentums aus: Als christlich soll nur das gelten, darf aber auch alles gelten, "was sich als Auslegung der Heiligen Schrift darstellen läßt" (270). Da das Verhältnis zwischen Text und Leser bei keiner bestimmten Auslegung stillgelegt werden kann (272), läßt sich auch das Christentum nicht im Sinne einer statischen Systemidentität fassen, sondern nur in ständiger Veränderung und in der Pluralität von Resultaten solcher Veränderungen. In diesem Zusammenhang taucht die Rede von Synkretismus auf als Sorge um die Gefährdung christlicher Identität. Wo diese Sorge berechtigt ist und wo sie ein "Selbstmißverständnis" (279) darstellt, versucht Sparn am Begriff der Häresie festzumachen (vgl. die dem teilweise widersprechenden Bedenken gegen die Zusammenstellung von "Synkretismus" und "Häresie" bei Hanns Christof Brennecke, 122). Sparn will Häresie am Umgang mit dem Bekenntnis "Herr ist Jesus" (1Kor 12,3) messen. Dabei scheint er allerdings die Tatsache zu unterschätzen, daß auch dieses Bekenntnis gerade nicht aller christlichen Pluralität vorausliegt, sondern mitten in sie hinein verwoben ist: Die Gegenposition dazu findet sich in Mt 7,21.