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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

208–210

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ankermann, Ernst

Titel/Untertitel:

Sterben zulassen. Selbstbestimmung und ärztliche Hilfe am Ende des Lebens. M. e. Geleitwort v. E. G. Mahrenholz.

Verlag:

München-Basel: Reinhardt 2004. 188 S. Kart. € 14,90. ISBN 3-497-01693-4.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe (passiv, indirekt-aktiv, aktiv) sowie das Anliegen der humanen Sterbebegleitung und palliativen Medizin finden in der Rechts- und Ethikdiskussion immer größere Aufmerksamkeit. Zwiespältig blieb das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.03.2003, das Patientenverfügungen einerseits für statthaft hielt, einem Behandlungsabbruch bei Schwerkranken andererseits aber enge Grenze zog. In letzterer Hinsicht kritisiert der Vf. des vorliegenden Buches das Urteil: »Die Verlängerung des vom Patienten nicht mehr gewünschten Komazustandes ist eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und eine Körperverletzung« (67).
Seine Kritik steht im Einklang mit den Voten anderer Juristen und Ethiker. Den Leitgedanken seines Buches bildet das Recht auf Selbstbestimmung, das aus der Menschenwürde selbst abzuleiten sei und das sich – wie er plausibel darlegt – konsequenterweise auch auf einen hypothetischen künftigen Krankheits- und Sterbeprozess erstreckt. Hieraus erwächst die Legitimität vorsorglicher Patientenverfügungen. Letztlich ist die Perspektive jedes einzelnen Menschen selbst dafür maßgebend, was unter einem seiner Würde gemäßen Sterben zu verstehen ist (20). Paternalistische Überformungen oder heteronome Eingrenzungen des individuellen Selbstbestimmungsrechtes durch Dritte, sei es durch Ärzte oder durch den Staat, werden vom Vf. mit Recht zurückgewiesen (23.67 u. ö.). In dieselbe Richtung weist das vom früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Ernst Gottfried Mahrenholz verfasste Geleitwort des Buches. Mahrenholz befasst sich ebenfalls mit dem Wertkonflikt Lebensschutz bzw. Lebenserhaltung versus Selbstbestimmung, der aufbrechen kann, wenn es um die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen geht, und hebt hervor: »Zu achten ist vor allem das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das es zuschützen gilt auch gegen fürsorgliche Bevormundung« (13).
Der Vf., dessen theologische Kompetenz beeindruckt, legt als Jurist dar, dass eine medizinische Behandlung, die gegen den Willen des Patienten erfolgt – einschließlich einer künstlichen Lebensverlängerung mit Hilfe einer PEG-Sonde –, sowohl straf- als auch zivilrechtlich sanktioniert werden kann (59). Strafrechtlich handelt es sich um eine Körperverletzung. Sachgemäßer als dieser im deutschen Recht verwendete Begriff ist dem Vf. zufolge aber der in der österreichischen Rechtsordnung anzutreffende Terminus, der von strafbarer »eigenmächtiger Heilbehandlung« durch den Arzt spricht (§ 110 öSTGB) und hiermit den entscheidenden Punkt, nämlich »die Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten«, präzis zum Ausdruck bringt (54). Die Beachtung des Patientenwillens ist ebenfalls bei Arzt haftungsfragen zentral (76). Hierauf weist der Vf. auch vor dem Hintergrund hin, dass er bis 1990 als Richter am BGH für das Arzthaftungsrecht zuständig war. Im Blick auf Patienten, die bei schwerer Krankheit und im Sterbeprozess nicht mehr ansprechbar und äußerungsfähig sind, unterstreicht er die fortwirkende Autonomie (72). Konkret erörtert er auch das fortwirkende Selbstbestimmungsrecht in Anbetracht nachlassender aktualer Entscheidungskompetenz bei an Demenz erkrankten Menschen (51 ff.61). Zu vorsorglichen Patientenverfügungen für den Fall der Demenz – einem zweifellos besonders problembeladenen Thema – hat sich im Juni 2005 nun ebenfalls der Nationale Ethikrat geäußert.

Der Vf. betont, auch die philosophische und die theologische Tradition bestätigen den Autonomiegedanken. Aufs Ganze gesehen trifft diese Einschätzung sicherlich zu. Was die theologische Überlieferung anbelangt, sind freilich Einschränkungen vorhanden, die die Theologie ihrerseits selbstkritisch aufarbeiten sollte. Dass die »religiöse, insbesondere die christliche Ethik … mit dem Postulat der Autonomie keine Schwierigkeiten« habe (49), lässt sich angesichts der Forderung nach »Gehorsam« gegen Gott, der Betonung des gebietenden Willens Gottes und der schroffen Autonomiekritik in Teilen der evangelischen Theologie, z. B. bei Karl Barth, oder in Anbetracht der hierarchisch-autoritativen Lehramtsbindung des katholischen Christentums so pauschal nicht sagen. Stattdessen ist hervorzuheben, dass das Christentum unterschiedliche Traditionslinien besitzt und dass heutzutage diejenigen theologischen Impulse durchdacht und bekräftigt werden sollten, die das Selbstbestimmungsrecht stützen.

Im Schlusskapitel seines Buches widmet sich der Vf. Grenzfragen im Umgang mit dem Lebensende, nämlich dem ärztlich assistierten Suizid sowie der Tötung auf Verlangen in extremen Situationen, in denen Patienten eine künstliche Lebensverlängerung als für sie unwürdig empfinden und schweres subjektives Leiden oder schwere Schmerzen nicht mehr gelindert werden können. Hierbei handelt es sich um Ausnahmefälle (169). Der Vf. knüpft an den Vorstoß namhafter Juristen zur Novellierung des § 216 StGB aus dem Jahr 1986 an (152). Der am 23.04. 2004 erschienene Bericht der beim Mainzer Justizministerium angesiedelten Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz »Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung des Patienten« (online unter www.justiz.rlp.de), der diese Problematik ebenfalls aufgriff, lag ihm bei der Niederschrift seines Buches noch nicht vor. Seine Überlegungen überschneiden sich in manchem mit den Mainzer Gesichtspunkten. Er befürwortet den flächendeckenden Ausbau der palliativen Medizin. Anders als es häufig der Fall ist, verschweigt er aber nicht, dass medizinische Schmerztherapie und palliative Behandlung bei manchen Krankheitsverläufen auf Grenzen stoßen (173). Darüber hinaus problematisiert er die Neigung von Vertretern der Hospizbewegung, »das Ende ihrer Patienten im Hospiz zu verklären« (174).

Mit Patientenverfügungen, in denen Menschen vorsorgliche Therapiebegrenzungen festlegen und für bestimmte Krankheitsverläufe vorab einen Behandlungsabbruch verlangen (passive Sterbehilfe), befasst sich das Buch ausführlich (81–123). Mit gutem Grund plädiert es dafür, dass valide Patientenverfügungen als rechtsverbindlich betrachtet werden sollten. Die Christliche Patientenverfügung der beiden großen Kirchen bleibt freilich zu unpräzis und ist daher im Zweifel nicht aussagekräftig und daher auch nicht rechtswirksam (109 ff.). Die Kirchen sollten diese Einwände beachten und die von ihnen verantwortete Patientenverfügung substantiell verbessern. Sehr wichtig ist die Kritik, die der Vf. an der Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts von Patienten durch Heimverträge (102 ff.) oder durch das Pflegepersonal übt. Ethisch und grundrechtlich ist es in der Tat problematisch, wenn Pflegeeinrichtungen oder das Pflegepersonal Willensbekundungen von Patienten übergehen, die die künstliche Lebensverlängerung durch eine PEG-Sonde abgelehnt haben (100 ff.). Im Juli 2005 hat der Bundesgerichtshof (Az. XII ZR 177/03) in dieser Frage nun zu Gunsten des Patientenselbstbestimmungsrechtes entschieden, so dass der Leitidee des vorliegenden Buches, dem Selbstbestimmungsrecht, im Richterrecht inzwischen Rechnung getragen wurde. Hinsichtlich der Bereitschaft des Deutschen Bundestages, auf gesetzlichem Niveau Regelungen über Patientenverfügungen zu schaffen, die das Patientenrecht auf Selbstbestimmung schützen und stärken, äußerte der Vf. in seinem im August 2003 abgeschlossenen Buch Skepsis (71.83). Diese Skepsis hat sich bislang bestätigt. Die an der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht orientierten Argumente, die der Vf. ins Licht gerückt hat, bleiben für die künftigen Debatten über den Um gang mit dem Ende des Lebens theologisch, ethisch und rechtspolitisch unverändert bedeutsam.