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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

338 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Assmann, Jan, u. Theo Sundermeier unter Mitarb. von H. Wrogemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schuld, Gewissen und Person. Studien zur Geschichte des inneren Menschen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1997. 212 S. m. Abb. 8° = Studien zum Verstehen fremder Religionen, 9. Kart. DM 98,­. ISBN 3-579-01791-8.

Rezensent:

Peter Antes

Die neun Beiträge dieses Sammelbandes verstehen sich als Fortsetzung und Komplettierung von Bd. 6 der Reihe "Studien zum Verstehen fremder Religionen", der "Die Erfindung des inneren Menschen" (1993) zum Thema hat. Es geht darum, Kulturen vorzustellen, in denen Schuld eine objektive Angelegenheit, also etwas Äußeres ist, das mit dem inneren Bereich von Gewissen und Person fast nichts zu tun hat.

Nur diese Unterscheidungskategorie von Innen und Außen rechtfertigt es, daß der Beitrag von Richard Burkhart: The Jewellery of the Desireless (14 ff.) in den Band aufgenommen wurde, obwohl er nicht vom Phänomen der Schuld ausgeht, sondern das Begehren als Okkupation des Innen vom Außen dem Schmuck (jewellery) als Sichtbarmachung des Innen im Außen gegenüberstellt.

Zentral geht dagegen auf die Schuldproblematik Jan Assmann ein. Er zeigt anhand der liturgischen Inszenierung des Totengerichts aus dem Mittleren Reich in Ägypten, daß Begriffe wie Gewissen und Reue dort unbekannt sind, da der Einzelne "nichts dazu tun [kann], seine Schuld durch Verarbeitung, Bekenntnis, Geständnis und Buße aus der Welt zu schaffen" (61). William D. Furley beleuchtet an Beispielen aus attischen Gerichtsverfahren die religiöse Schuld und zeigt: "Religiöse Schuld war juristisch zwar eine graue Zone ...; doch war sie scharf umrissen in der Volksmeinung" (80). Die unsichtbare, persönliche Schuld wurde nämlich dann offenbar, wenn äußere Indizien (z. B. eine Reihe von Unglücksfällen) auf sie verwiesen. Beate Pongratz-Leisten untersucht das "negative Schuldbekenntnis" des babylonischen Königs bei den Feiern zum Neujahrsfest. Ihr Ergebnis lautet: Dieser Rechenschaftsbericht ist "eine institutionalisierte Form der Rückbesinnung auf die ethische Selbstverpflichtung des Königs innerhalb des kultischen Kontextes, aber nicht Selbstthematisierung in Form eines Schuldbekenntnisses" (101). Günter Bornkamm untersucht die Klage- und Dankeslieder der Psalmen und zeigt, daß in dieser Confessio der Einzelne die Geschichte des Volkes, des Königs und des Messias für sich übernimmt und dadurch "eine Geschichte sich zu eigen macht, die mehr ist als seine persönliche Lebensgeschichte" (117). In "Reden und Schweigen" vergleicht Alois Hahn Tabuverletzungen in Polynesien mit peinlichen Enthüllungen bei uns. Er kommt zu dem Schluß: "Hier ist es die Stille, die zur Peinlichkeit führt, dort die Peinlichkeit, die Stille erzeugt" (140). Der Reinheit des Körpers und des Sinnes widmet Angelos Chaniotis seine Untersuchung der griechischen Kultgesetze aus sieben Jahrhunderten. Er zeigt das "bunte Nebeneinander der alten Ängste um die äußere Befleckung und der neuen Bemühung um reines Bewußtsein" (173). Ein interessantes Fallbeispiel für das antike Griechenland ist zudem die Frage nach Orests Schuld und Sühne bei Aischylos, der Hubert Petersmann nachgeht. Im letzten Beitrag des Buches zeigt schließlich Theo Sundermeier an Beispielen aus Afrika, daß die in der Ethnologie beliebte Trennung der Kulturen in Scham- und Schuldkulturen nicht rigoros durchführbar ist.

Alle Beiträge liefern so auf ihre Weise den Beweis dafür, daß Schuld und Gewissen keineswegs in allen Kulturen in einem engen Zusammenhang zueinander bzw. zur Person stehen. Dies ist für die Diskussion um die Allgemeingültigkeit ethischer Prinzipien ein sehr wichtiges Ergebnis. Dem Buch sind daher viele Leserinnen und Leser zu wünschen.