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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

199 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

King, Ursula, and Tina Beattie [Eds.]

Titel/Untertitel:

Gender, Religion, and Diversity. Cross-Cultural Perspectives.

Verlag:

London-New York: Continuum 2004. XIV, 269 S. gr.8°. Geb. £ 14,99. ISBN 0-8264-6934-5.

Rezensent:

Heike Springhart

Seit 20 Jahren eröffnet die Genderforschung als Weiterentwicklung der feministischen Forschung neue Perspektiven, die im Gegenüber zu Letzterer stärker distinktive und inklusive Deutungskategorien zur Verfügung stellen. War schon die feministische Forschung eine analytische und stärker theoretisch ausgerichtete Weiterentwicklung der deskriptiv und historisch orientierten Frauenforschung, so verbindet sich nun mit der Genderforschung ein »doppelter Paradigmenwechsel«. Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie deren soziale und kulturelle Wechselbeziehungen werden dabei mittels pluralistischer Methodologie und multidisziplinärer Ansätze analysiert.
Zentrale Herausforderung der Genderforschung im theologischen und religionswissenschaftlichen Bereich bleibt es, dafür zu sensibilisieren, dass jedes religiöse Phänomen (mindestens) zwei Erzählungen beinhaltet.
Dem gegenwärtigen Genderdiskurs attestiert U. King eine doppelte Blindheit: So sind die meisten Ansätze der Genderforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften blind für religiöse Fragen und Implikationen, die meisten theologischen und religionswissenschaftlichen Ansätze bleiben ihrerseits blind für die Genderthematik. Die vorliegenden Aufsätze verstehen sich als Teil eines »gender-critical turn«, dem eine gesteigerte Sensibilität für »Andersheit« als differenzierende Grundkategorie dient.
Die Autorinnen und Autoren legen den Fokus auf theoretische und methodologische Fragen, ohne dabei die konkreten Anwendungsfelder aus dem Blick zu verlieren.
Der erste Teil entfaltet theoretische Perspektiven und fragt nach den Grenzen des eigenen Ansatzes sowie der möglichen Transzendierung derselben. Dabei geht es sowohl um die Kritik an androzentrischer Forschung als auch um die Kritik an genderorientierten Ansätzen, die ihre eigene Limitierung auf den westlichen Kulturkreis, die feministische Fragestellung oder die Beschränkung auf klassische Forschungsziele nicht deutlich genug machen. Dazu gehört auch ein deutliches Plädoyer für die epistemologische Bedeutung der eigenen religiösen Identität.
Im zweiten Teil, der historische und textliche Perspektiven zum Gegenstand hat, wird die Bedeutung der Genderthematik bei der Analyse religiöser Texte und historischer Kontexte anhand von Fallstudien aus dem historischen und exegetischen Bereich entfaltet.
Der dritte Teil widmet sich anhand kultureller und kontextueller Perspektiven der Applikation der theoretischen Erkenntnisse auf gegenwärtige interkulturelle ethische und politische Herausforderungen. Der interkulturelle Anspruch des Bandes kommt hier dadurch zum Tragen, dass ethische und soziale Konsequenzen aus der Perspektive von Frauen und Männern aus verschiedenen Kontexten zur Sprache kommen.
Die in diesem Band versammelten Aufsätze verbindet bei aller Unterschiedlichkeit die Intention, Limitierungen der Forschungsansätze zu erkennen und zu benennen und Transzendierungen bestehender Grenzen einzufordern – auch und in besonderer Weise die der Genderforschung. Dadurch, dass Differenzierung nicht nur theoretisch eingefordert wird, sondern in der Zusammenstellung der Beiträge auch praktiziert wird, liegt mit diesem Band keine Programmschrift der Genderforschung vor, sondern ein Panoptikum der aktuellen Debatte. Dem Anliegen der Genderforschung, für Differenzen sensibel zu machen und differenzorientiert theologisch zu arbeiten, kann man möglicherweise gar nicht anders nachkommen. Gerade so kommt dem Band dann doch programmatische Bedeutung zu.