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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

197–199

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gäde, Gerhard

Titel/Untertitel:

Christus in den Religionen. Der christliche Glaube und die Wahrheit der Religionen.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2003. 192 S. 8°. Kart. € 24,90. ISBN 3-506-70111-8.

Rezensent:

Henning Wrogemann

Das Buch des an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrenden Dogmatikers G. Gäde versucht einen religionstheologischen Neuzugang, indem die ältere Trias von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus kritisch befragt und für unzureichend erklärt wird. Sodann wird der eigene Lösungsvorschlag unter dem Begriff »Interiorismus« entfaltet und diskutiert.

In der Einführung (11–22) setzt sich der Vf. zunächst mit Grundfragen der Verhältnisbestimmungen von Religionen (z. B. in Theologie, Religionsphilosophie und anderen Disziplinen) auseinander und tastet sich dann in konzentrischen Kreisen in Kapitel 1 »Relativismus und Fundamentalismus: zwei Irrwege« (23–38) sowie Kapitel 2 »Die religionstheologische Sackgasse« (39–82) an das Thema heran. Hier werden bekannte Positionen (die o. g. Trias) skizziert und diskutiert. Das Kapitel 3 »Was ist Religion« leitet zum eigenen Lösungsvorschlag über. Hier wird allgemein mit Bezug auf neuere Arbeiten besonders von Theo Sundermeier und Gerd Theißen das Phänomen der Religionen gedeutet (83–130). Hauptgegenstand des Buches ist jedoch Kapitel 4 mit dem Titel »›Interiorismus‹– eine christliche Verhältnisbestimmung« (131–190). Das Buch en det mit einer »Schlussbilanz« (191 f.)

Dem Vf. geht es zunächst darum, dass die Letztgültigkeitsansprüche der Religionen nicht relativiert werden können. Weder die Bestreitung anderer Wahrheitsansprüche (Exklusivismus) noch auch die Überbietung (Inklusivismus) oder Relativierung (Pluralismus) ist denkbar. Der Vf. sieht in diesen drei Wegen eine logisch zwingende Typologie. Hier wird offensichtlich (jedoch nicht explizit) auf entsprechende Arbeiten von Perry Schmidt-Leukel rekurriert (134), wohingegen im ganzen Buch die philosophische Überwindung dieses Schemas in der Arbeit von Andreas Grünschloss (»Der eigene und der fremde Glaube«, Tübingen 1999, bes. 15–43, Stichwort »Exotismus«) keinerlei Erwähnung findet. Insofern fällt das Buch hinter den heutigen Diskussionsstand zurück.
Der eigene Lösungsvorschlag des Vf.s orientiert sich an der hermeneutischen Frage des Zusammenhanges von Altem und Neuem Testament. Das augustinische Diktum Novum Testamentum in Vetere latet, Vetus in Novo patet wird als Paradigma der Verhältnisbestimmung zwischen christlichem Glauben und anderen Religionen empfohlen. Gegenüber dem Missverständnis, beim Modell des Interiorismus handele es sich um eine Form des Inklusivismus, grenzt sich der Vf. bewusst ab: Es gehe nicht darum, die Religionen nur als inferior wahrzunehmen, sondern deren ganze Wahrheit zu akzeptieren. Die christliche Botschaft »erfüllt« die Religionen insofern, als sie sie in neuer Weise verstehbar macht (138 f.). Für das Alte Testament gelte: »Der Sinn der Schrift geht endgültig, universal und sinnvoll verstehbar nur im Glauben an Christus auf.« (146 f.) Die Wahrheit des Alten Testaments wird nur darin relativiert, dass sie eines hermeneutischen Schlüssels bedarf. Dadurch wird der Wort-Gottes-Charakter bestätigt und bewahrheitet (151), aber auch universalisiert und erfüllt (152).

Zusammenfassend stellt der Vf. fest: »Die christliche Botschaft trifft auf die anderen Religionen immer als eine Botschaft, die sich bereits von Anfang an als neue Lesart und neues Verstehen einer religiösen Botschaft versteht. Im zweigeteilten Kanon der christlichen Bibel ist dieses Verhältnis kirchlich-institutionell greifbar. Die christliche Botschaft beansprucht nicht, in Konkurrenz zu jener Religion zu treten, sondern ihre Wahrheit zu entbergen und damit ihren Wort-Gottes-Charakter definitiv verständlich zu machen. In diesem Verhältnis zu Israel, das die christliche Botschaft zu allen Völkern mitbringt, zeigt sie, wie sie sich auch zu anderen Religionen verhält: nicht sie substituierend, sondern aufdeckend, erschließend und entbergend.« (177)

Der Vf. hält demnach fest, dass ein Verhältnis zu den Religionen nur im Glauben an Christus möglich ist, der in diesen Religionen wirkt. Deren Wahrheit werde nicht durch die Botschaft des christlichen Glaubens ersetzt oder bereichert, sondern eben »erfüllt«. Der Vf. verwendet das Bild eines phosphoreszierenden Steines, von dem man erst erkennt, wie er leuchtet, wenn ein bestimmtes Licht auf ihn fällt. Die Fähigkeit zum Leuchten wohne dem Stein bereits vor dem Lichteinfall inne, diese Fähigkeit bleibe jedoch so lange verborgen, wie kein Licht auf ihn falle. Die Schlussfolgerung lautet: »Wenn das Licht Jesu darauf fällt, kommt an den Tag, dass Christus bereits in ihnen [den Religionen, H. W.] ist, wenn auch in anderen Farben und Gestalten.« (171, vgl. 174) Der Vf. will mit diesem Vorschlag Christus im Verhältnis zu den Religionen nicht als »gegen« die Religionen (Exklusivismus), nicht als »über« den Religionen (Inklusivismus) oder »neben« den Religionen (Pluralismus) verstanden wissen, sondern als »in« den Religionen.
In der Verkündigung der Christusbotschaft erweise das Christentum den Religionen einen Dienst. »Die unüberbietbare Wahrheit der christlichen Botschaft besteht … darin, die unüberbietbare Wahrheit der Religionen verstehbar zu machen.« (173) Der »Zumutungscharakter« der christlichen Botschaft für die Religionen bestehe darin, »dass die christliche Botschaft bereits gegenüber der Schrift Israels bestreitet, dass diese ohne Christus als Wort Gottes verstehbar ist« (183). Entsprechendes gelte für die anderen Religionen. Die »Dienstfunktion« des Christentums an den Religionen besteht demnach darin, dass es »Christus als den [verkündet], in dem die unüberbietbare Wahrheit auch der anderen Religionen ans Licht kommt« (185). Stellvertretend bejaht damit – nach Ansicht des Vf.s – das Christentum in seiner Verkündigung gegenüber den Religionen und seiner Christusdeutung der Religionen deren unüberbietbare Wahrheit.
Dieser Ansatz wirft viele Fragen auf, und der Vf. selbst diskutiert dankenswerterweise einige davon in einem abschließenden Abschnitt (178–190). Es solle dieser Ansatz nicht die besondere Beziehung zwischen Christentum und Israel einebnen, der Interiorismus solle nicht als »Einbahnstrasse« oder als »Inklusivismus« missverstanden werden, auch mache dieser Ansatz Mission nicht überflüssig usw.
Dennoch ergeben sich Rückfragen. Zunächst bleibt schlicht unverständlich, wie andere Religionen durch die Botschaft des Christentums »erfüllt« werden können. Sie werden nach An sicht des Vf.s nicht abgeschafft, nicht ersetzt, nicht überboten, nicht korrigiert, sondern über sich selbst aufgeklärt, indem ihnen (bzw. ihren Anhängern) versichert wird, ihre Wahrheit sei unüberbietbar (was sie in der Regel selbst behaupten und dazu einen Dienst anderer nicht brauchen), aber letztlich sei dies nur deshalb verständlich (auch für die Anhänger und Anhängerinnen der anderen Religionen selbst), weil sich in ihnen (den Religionen) Christus kundtue, und dies gelte es einzusehen. Für den Vf. steht diese Tatsache schon vor der interreligiösen Begegnung felsenfest.

Dass eine solche Dialogbotschaft eine Zumutung mit sich bringt, wird niemanden überraschen, der sich im interreligiösen Dialog engagiert. Dass es solche Zumutungen geben kann und darf, ist zwar unbenommen. a) Was aber bedeutet eine solche Feststellung angesichts von Religionsformationen, die das christlicherseits zu Grunde gelegte Christusverständnis vehement ablehnen? b) Was bedeutet es, wenn sie von ihrem Wirklichkeitsverständnis her Jesus von Nazareth ganz anders interpretieren, als Christen dies tun würden, und damit Jesus Christus quasi buddhistisch, hinduistisch oder islamisch »absorbieren«? Einen »mutualen Inklusivismus« jedenfalls schließt der Vf. kategorisch aus (188). Was aber bleibt dann noch für einen Dialog übrig? c) Kann der christliche Glaube, können Christen und Christinnen oder Kirchen von Angehörigen anderer Religionen etwas lernen, was sie nicht schon längst wüssten? Nach dem hier zu Grunde gelegten Ansatz ist das schwerlich denkbar. d) Welche Wahrheit der Religionen wird christlicherseits anerkannt? Was heißt es, dass ihre Wahrheitsbehauptungen universal verkündbar werden? Wie steht es mit den konkreten Ausformungen dieser Religionen und ihrer Gesetze, Ethiken, Werte, Riten, Ausdrucksformen? Und welcher Wahrheitsbegriff kann hermeneutisch überhaupt zu Grunde gelegt werden? e) Wäre es nicht theologisch redlicher, der Unverfügbarkeit und dem Geheimnis des göttlichen Wirkens in der Welt mehr Raum zuzugestehen, anstatt zu behaupten, alles schon zu wissen?

Auch wenn der Vf. beteuert, es handele sich bei diesem Ansatz nicht um christliche Arroganz, da es ja nicht um die Wahrheit des Christentums, sondern um die Wahrheit Christi gehe (eine Unterscheidung, die bereits in den 50er Jahren diskutiert wurde), auch wenn er versucht, die Letztgültigkeitsansprüche der christlichen Botschaft ebenso wie der Religionen ernst zu nehmen (ein dem Rezensenten durchaus sympathischer Ansatz), so bleibt doch bestehen, dass dieser Versuch mehr Fragen aufwirft als Antworten bereithält. Der Grund liegt nach Ansicht des Rezensenten in zu flächigen und auch zu steilen Behauptungen, die sehr schnell in Dialog-Dilemmata führen werden, sobald Angehörige anderer Religionen ihre faktischen Geltungsansprüche (und nicht die christlich interpretierten) einbringen werden. Dem gegenüber wäre zu fragen, ob nicht das Wirken Gottes vielschichtiger zu denken ist, komplexer, neue und unerwartete Konstellationen eröffnend. Der Ansatz des Vf.s lässt für eine solche Vielschichtigkeit nach Ansicht des Rezensenten wenig Raum.