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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

168–170

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fotopoulos, John

Titel/Untertitel:

Food Offered to Idols in Roman Corinth. A Social-Rhetorical Reconsideration of 1 Corinthians 8:1–11:1.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XIII, 298 S. m. Abb. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 151. Kart. € 54,00. ISBN 3-16-147850-9.

Rezensent:

Dietrich-Alex Koch

Diese bei D. E. Aune angefertigte Dissertation wählt einen als ›socio-rhetorical‹ bezeichneten Zugang, um die Probleme von 1Kor 8,1–11,1 zu behandeln, d. h. sie will die sich aus der Textanalyse ergebenden Probleme in die sozialen Bezüge einzeichnen, die sich für die frühchristliche Gemeinde in Korinth und ihre einzelnen Mitglieder aus dem archäologischen Befund er heben lassen. Dabei geht der Vf. davon aus, dass das Hauptinteresse des Paulus dem Verzehr von Götzenopferfleisch im Rahmen von Tempelmählern galt, ein Verhalten, das Paulus uneingeschränkt ablehne.
Der Vf. stellt den gesamten archäologischen Befund der Ausgrabungen von Korinth dar, um zu klären, wo mit derartigen Tempelmählern zu rechnen ist (49–157), d. h. wo Banketträume nachweisbar sind, die den Hintergrund für 1Kor 8,10 abgeben können. Diese Übersicht, die auch das Isisheiligtum von Kenchreai und die Frage der Lokalisierung des macellum einschließt, ist sehr verdienstvoll. Der Vf. kommt, in kritischer Aufnahme der Fundberichte, zu dem gut begründeten Ergebnis, dass hierfür nur das Asklepieion am Nordrand des Stadtbereichs in Frage kommt. Die dort gefundenen, auch zur Zeit des Paulus benutzten Banketträume passen in der Tat ausgesprochen gut zu der von Paulus vorausgesetzten Situation. Dem Vf. ist auch da rin Recht zu geben, dass diese Banketträume (jedenfalls im weiteren Sinne) zum Tempelbereich gehörten, obwohl er die Bedeutung des vom Tempel selbst getrennten Zugangs (über die Rampe an der Südseite) herunterspielt, und zwar um unkultische Mähler in diesen Räumen auf jeden Fall auszuschließen.
Auf der historischen Ebene bestreitet der Vf. überzeugend die zum Teil erwogene Einwirkung des Aposteldekrets (Apg 15,20. 29; 21,25), postuliert dann jedoch: »it is hard to imagine that Paul did not instruct the Corinthians to cease their involvement with sacrifices and idol-food during his founding mission to Corinth« (187). Möglicherweise durch den in 1Kor 5,9 er wähnten Vorbrief veranlasst, erhob sich hiergegen in Korinth Widerspruch, dem Paulus mit 8,1–11,1 begegnen muss. Dabei macht Paulus in der Sicht des Vf.s nur geringfügige Konzessionen: Paulus erlaube auch jetzt nirgends den Verzehr von ausdrücklich so gekennzeichnetem Götzenopferfleisch, »allowing idol-food consumption from the macellum or at meals hosted by pagans only if it was not clear that such food was indeed idol-food« (187).
Damit verschiebt der Vf. erheblich die Gewichte. Aus der grundsätzlichen Freigabe (10,25!) wird ein begrenztes Zugeständnis. Dass Paulus dabei sozialen Interessen auf Seiten der Korinther nachgibt, lässt sich zwar für den Fall der Privateinladung (10,27–) behaupten, für den Fall des Fleischkaufs im macellum muss der Vf. jedoch eine abenteuerliche Theorie entwickeln: Der oikonomos Erastus von Röm 16,23 ist identisch mit dem für das 1. Jh. n. Chr. inschriftlich belegten Ädil Erastus, dieser war bereits zur Zeit des 1Kor Ädil, hatte als solcher die Aufsicht auch über das macellum – und hätte soziale Schwierigkeiten bekommen, wenn seine Glaubensgenossen sich dem Fleischeinkauf im macellum verweigert hätten (156 f.240 f.250). Flankiert wird dies durch die Erwägung: »It is quite possible that there was no definitive way to ascertain if what was being sold in the macellum was formerly sacrificed to an idol or not« (188, ebenso 262). Doch ist das eine recht hilflose Erklärung, denn wie sollte dann z. B. das Aposteldekret je funktioniert haben? Opferfleisch zu vermeiden, war durchaus möglich und auch gar nicht schwierig: Man kaufte bei einem Schlachter, den man kannte; und einen sozialen Zwang zum Einkauf im macellum zu postulieren, ist abwegig. Unklar bleibt überdies, wo her ›non-sacrificial food‹ stammt, da der Vf. mehr fach den Eindruck erweckt, im Grunde stamme alles Fleisch aus kultischen Schlachtungen (162 f.177).
Auch einige andere Annahmen des Vf.s sind fraglich, so vor allem seine Interpretation von 1Kor 10,21: Die Teilhabe an der trapeza ton daimonion setzt er mit dem Liegen im eidoleion von 8,10 gleich, geht also als Ort hierfür ebenfalls von den Banketträumen des Asklepieion aus. Dabei verweist er auf zwei Reliefs, die Asklepios beim Mahl zeigen. »Both of these relief plaques may indicate that suppliants believed that they dined in Asklepios’s presence on the couches of the dining rooms« (64). Doch ist diese direkte Zuordnung zu den Banketträumen des Asklepieion problematisch. Jedenfalls gibt es hier (anders als in dem sog. Podiensaal in Pergamon, dem Vereinslokal des dortigen Dionysosvereins) keine Kultnische zur Aufstellung einer Statue, eines Reliefs oder dergleichen, die auf ein gemeinsames Mahl mit einer Gottheit hinweisen würde. Fraglich ist auch die Gleichsetzung der Libation im Rahmen eines Gastmahls mit dem »Trinken« (!) des »Bechers der Dämonen«.
Abgesehen davon, dass es bei der Libation nicht um das Trinken (durch die einzelnen Mahlteilnehmer) geht, besteht eine andere Schwierigkeit, die der Vf. durchaus sieht: »For the Corinthian Christians, the avoidance of libations offered to the daimon/demon Dionysos and other deities would have been even more difficult than the avoidance of sacrificial food in Roman Corinth, necessitating the refusal of practically all invitations to meals extended by pagans« (177, ebenso 235). Da Paulus aber doch die Teilnahme am Mahl auch bei Nichtchristen grundsätzlich freigibt, bleibt ein nicht geklärter Widerspruch zurück, den auch der Vf. selbst sieht: In der endgültigen Zusammenfassung spricht er von »Paul’s apparent shift« (262) in Bezug auf die Freigabe des Einkaufs im macellum und der Teilnahme an Privateinladungen. Dies als »rhetorical strategy« (ebd.) zu erklären, erklärt nichts. Dabei trifft der Vf. m. E. in doppelter Weise nicht die theologisch reflektierte Lösung des Paulus: Einerseits spielt der Vf. die Freigabe der Materie in 10,25 herunter, andererseits geht er auch fehl, wenn er schreibt: »The Corinthians were instructed not to raise questions on the grounds of moral consciousness about the cultic origin of un known food« (262). Genau das tut Paulus nicht. Paulus zwingt die ›Schwachen‹ keineswegs, die Freigabe, die er den ›Starken‹ mit theologischen Gründen eröffnet, auch selbst zu praktizieren. – So bietet diese materialreiche Darstellung hinreichend An lass, über die komplexe religiöse und soziale Situation in einer antiken Stadt wie Korinth nachzudenken und gleichzeitig die Argumentation des Paulus möglichst präzise zu erfassen.