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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

161–163

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gilders, William K.

Titel/Untertitel:

Blood Ritual in the Hebrew Bible. Mean ing and Power.

Verlag:

Baltimore-London: John Hopkins University Press 2004. X, 260 S. gr.8° Lw. US$ 55,00. ISBN 0-8018-7993-0.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Die im Alten Testament erwähnten Blutriten beim Opfer sind Gegenstand dieser Dissertation. Das Erscheinen zahlreicher einschlägiger Titel (u. a. C. Eberhart, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen. Neukirchen-Vluyn 2002: vgl. ThLZ 128 [2003], 591–593) zeigt das neuerdings gesteigerte Interesse an Kultfragen im Alten Testament.
Der Vf. betont eingangs (VII f.) seine Absicht, eine nach seiner Ansicht verkannte Wissenslücke zu identifizieren. Vielfach würden anthropologische Erkenntnisse über die Vieldeutigkeit der Symbolik ritueller Akte nicht berücksichtigt und eindeutige Erklärungen angestrebt. Das gelte u. a. für den Sinngehalt von Blutriten. Zu Unrecht werde aus Lev 17,11 ein eindeutiger Sinn gefolgert. Rituale seien (nach C. Bell und Jonathan Smith) funktional zu verstehen. Zudem müsse man zwischen der »Welt des Textes« und ihrem ursprünglichen Ort unterscheiden (11). »Postmoderne« Hermeneutik (S. Fish: »interpretive community«) führt zu der überraschenden Festlegung des Vf.s auf Anliegen und Methoden (!) der »guild of modern, academic scholars of biblical literature and early Judaism« (10).
Sogleich in Kapitel 1 (12–32) bekennt sich der Vf. kurzerhand als Anhänger von J. Milgrom (H jünger als P) und besonders I. Knohl (The Sanctuary of Silence, 1995: die »Holiness School« als H übergreifende Redaktionsschicht von P). Ob der Vf. recht daran tat, seine gesamte Argumentation an diese schwache These (vgl. die Rez. von R. Gnuse, CBQ 59, 1997, 740 f.) zu hängen (»a key role in my arguments about the interpretive relevance of Lev 17:11«, 13), ist zu bezweifeln. Mehr noch: die gegensätzlichen Positionen in der relativen zeitlichen Ansetzung von P und H (meist: H vor P, Milgrom und Knohl: H nach P) wecken Zweifel an der Relevanz üblicher Quellenkritik zu einem adäquaten Urteil bei derartigem Traditionsmaterial.
Zu Dtn 12,16 (keine nähere Erklärung des Blutritus); Dtn 12,20–25 (Begründung V. 23: k`hdm hw`hnps) und Gen 9,4 (beide Stellen identifizieren Blut mit Leben!, 18) betont der Vf., der Grund für das Verbot des Blutgenusses sei an beiden Stellen mehr implizit. Dass er verboten werde, weil das Blut Gottes exklusiver Besitz sei, sei schon eine Deutung (19).
Die weiteren Kapitel besprechen die Stellen, an denen von Blutmanipulationen die Rede ist: Kapitel 2 »Cultic Blood Manipulation« (33–60) behandelt Ex 23,18a; 34,25a (die Wendung vereinigt elliptisch Schlachten und Blutopfer; 34–37); Ex 24,3–8 (das Sprengen von Blut auf Altar und Volk als Bundesschlussritus); Ex 12 (ein Passah-Blutritual; P, bearbeitet von H; ein eigentlich priesterlicher Status-Ritus, von Laien vollzogen, bevor das »Zelt der Begegnung« existierte), Dtn 12,27: die Praxis wird nicht begründet. Ebensowenig 2Kön 16,10–18. Die Wendung`l hdm (1Sam 14,32; Lev 19,26; Ez 33,25) bleibt unklar (54–58).
Kapitel 3–5 (61–141) besprechen Blutmanipulationen bei den verschiedenen Opferarten in P. Kapitel 3: Zum Brandopfer (`lh): Lev 1 beschreibt die Praxis, bietet keine inhaltliche Begründung des Blutritus, ebenso wenig der Handaufstützung. Auf Lev 17,11 wird nicht angespielt. Auch von Sühne speziell durch das Blut ist nicht die Rede. Stattdessen soll die Blutmanipulation eine Anzeige (»indexing«) der Beziehung zwischen Opfertier und Opferer sein (81): ein Gedanke, der Beachtung verdient! Erklärt wird der Blutritus beim Brandopfer in keinem P-Text. Das Gleiche gilt für die übrigen Opferarten (Kapitel 4; 85–108). Die Zuweisung der Opferhandlungen an Priester drückt ihre privilegierte soziale Position aus: »In the world of the Priestly texts, the manipulation of blood is socially potent activity« (108). Auch beim Schuldopfer (Kapitel 5; 108–141) gilt das Gleiche. Hier allerdings wird wieder von einem modernen Blickwinkel aus argumentiert.
Kap. 7: »Leviticus 17:11 and the Power of Blood« (158–180) behandelt diesen Text, im Kontext des Kapitels, als einzigen, der eine Erklärung für den Blutritus biete. Im Einzelnen ist die Exegese etwas defizient: Der formgeschichtliche Aspekt des Rahmens (`js … `js; V. 3.10.13) wird nicht beachtet. Wichtig wäre eine Differenzierung zwischen den so geformten strikten Gebotsbestimmungen und den offensichtlich allmählich zugewachsenen Erklärungen, zu denen auch V. 11 im seinem Kontext mit V. 12 gehört. Wenn man das beachtet, ist über das Alter der Grundschicht des Kapitels noch nichts entschieden! Weiter müsste über das Verhältnis von Kapitel 17 zu den folgenden Kapiteln 18–26 nachgedacht werden. Formgeschichtliche Erwägungen raten nicht dazu, H über Lev 17–26 hin auszudehnen. Hier sind viele Fragen offen.
Vor allem aber: Es gibt ja, wie der Vf. selbst aufzeigt, verschiedene Belege für die Verbindung von Blut und »Leben« außerhalb von Lev 17. Mit dem erklärenden Charakter von Lev 17,11 hängt zusammen, dass hier ausgeführt wird, was anderenorts durchaus vorausgesetzt wird. Der Vf. rechnet selbst mit solchen unausgesprochenen Bezügen, wenn er häufig von »gaps« in den Texten spricht, die von der Exegese ausgefüllt werden müssten. Dass es sich bei dem Verständnis von Blut als Leben um eine allgemeiner überlieferte Tradition handelt, ohne dass literarische Abhängigkeiten vorausgesetzt werden müssten, ist eine durchaus einleuchtende Alternative.