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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

160 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frolov, Serge

Titel/Untertitel:

The Turn of the Cycle. 1 Samuel 1–8 in Synchronic and Diachronic Perspectives.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. XIV, 275 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 342. Lw. € 84,00. ISBN 3-11-018123-1.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Diachrone und synchrone Lesungen biblischer Texte werden gegenwärtig gelegentlich als methodische Alternativen verstanden. Legen diachrone Auslegungen die Komplexität biblischer Texte als Traditionsliteratur in ihrer Entwicklung dar, weisen synchrone Analysen quer zu literarischen Schichten Bezüge auf. Synchrone Analysen des so genannten »Literary Criticism« sind im englischsprachigen Bereich seit Robert Alters Buch The Art of Biblical Narrative von 1981 gerade bei der Auslegung von Erzähltexten weit verbreitet. Gelegentlich glaubt man einen gewissen Reiz darin zu spüren, vorgegebene (häufig diachrone) Analysemuster grundsätzlich zu hinterfragen und diese durch »einfachere« oder »durchschaubarere« synchrone ersetzen zu wollen. Die Dissertation von Serge Frolov zu 1Sam 1–7 (tatsächlich zu 1Sam 1–8, vgl. 52), betreut von M. Sweeney, nimmt die Methodendiskussion als Ausgangspunkt und will ausdrücklich synchrone und diachrone Analyseschritte verbinden.
F. präsentiert im Abschnitt Definitions (1–36), geordnet nach »synchronem« und »diachronem« Ansatz, zunächst die Ergebnisse der Forschung. Die kategoriale Gegenüberstellung der beiden methodischen Zugänge zum Text dient als Ausgangspunkt der eigenen Analyse. F. resümiert bezüglich diachroner (Quellenkritik, Form-/Überlieferungsgeschichte, Redaktionsgeschichte) und synchroner Methodik, dass mit einer synchronen Lektüre einzusetzen sei (34), wobei er sich methodisch an der Formgeschichte nach R. Knierim und M. Sweeney orientiert (35).
Wird bereits eingangs (5–6) festgestellt, dass 1Sam 1–7 sich weder ausdrücklich mit dem Ursprung und der Bedeutung des Königtums noch mit dem Thema der Kultorganisation auseinander setzten, so erbringt ein synchroner Überblick über die Einheit 1Sam 1–7 zwei gewichtige Ergebnisse: zum einen, dass 1Sam 1–7 keine isolierte literarische Einheit (literary entity, 52) sei, sondern Teil des philistäischen Zyklus von Abfall, Bedrängnis, Buße und Befreiung (Ri 13,1–1Sam 7,17) sowie der Quasi-Biographie Samuels, die wiederum in eine Reihe von sechs Biographien innerhalb von Ri 13,2–1Sam 12,25 zu stellen sei: die Biographie Simsons Ri 13–16; Michas Ri 17,1–6; eines Leviten aus Bethlehem 17,7–18,31; eines Leviten vom Gebirge Ephraim Ri 19,1–21,25. Zum anderen ergibt sich, dass Elemente aus 1Sam 1–7 die literarische Makrostruktur von Genesis bis zum Königebuch deutlich störten (52). Darüber hinaus griffen 1Sam 1–8 das Thema des zunehmenden Abfalls Israels und der Verfehlung im versprochenen Land auf, das sich von Ri 1,27 bis 2Kön 25,30 ziehe (203). Auf Grund der syntaktischen Struktur ergebe sich ein symmetrischer Aufbau von 1Sam 1–8 in drei Teilen: Auf den Prolog 1,1–3 folgten 1,4–2,11a; 2,11b–6,18; 6,19–8,22. Innerhalb der Einheit weist F. konzentrische Strukturen nach (Appendizes: 5.7.8.10.12).
Bei der diachronen Analyse nach Themen hält F. fest: Über das Königtum, das Heiligtum in Schilo und die elidischen Priester sowie über die Lade werde aus stark antiköniglicher Perspektive geurteilt (152–160). Dadurch ergäben sich Gegensätze dieser Konzeption zur Monopolisierung des Jahwismus bei Ezechiel und zur Ziontheologie mit der Betonung von Lade und Gottesgegenwart (171). Eine Weichenstellung der Interpretation von 1Sam 1–8 liegt darin, dass F. sie von genuin dtr Themen abheben will und sie als postdtr Reaktion auf diese plausibel zu machen versucht: Die Biographie Samuels sei ausgehend von späteren Erwähnungen Elis in 1Sam 14,3 bzw. 1Kön 2,27 her zu erklären. Denn 1Sam 1–8 lasse sich nicht mit dem in 1Sam 9,16 genannten Notschrei (s`kh) eines Wunsches nach einem König verbinden, vielmehr begründe 1Sam 8 den Wunsch nach einem König lediglich im Zusammenhang mit dem Fehlverhalten der Söhne Samuels (181–183). Ebenso seien Spannungen zum unmittelbaren Kontext zu beobachten, wie z. B. zur Chronologie der philistäischen Beherrschung, zur Kultzentralisation und zu Samuels Willen zur Einrichtung des Kultes (204). Bezüglich der literarischen Struktur kommt F. zu dem Schluss, 1Sam 1–8 biete eine zwar komplexe, aber einheitliche und kohärente Erzählung. Aller Wahrscheinlichkeit nach habe ein Autor sie geschaffen, gleichwohl seien mehrere Erzähler der Einzelepisoden denkbar (200–202).
Gliederungen des Textbereiches unter verschiedenen Aspekten finden sich im Anhang (205–232). Ein Bibelstellen- und ein Autorenregister beschließen die Untersuchung.
An einigen Stellen fällt F. sehr weit reichende Urteile über große Textbereiche. So will er die Vorderen Propheten insgesamt im Wesentlichen als einen »Bericht über Israels (anfängliches) Versagen darin, die göttliche Landzusage recht umzusetzen« verstehen (5). Als zentrales Thema des gesamten Alten Testamentes nennt F. die »Kultorganisation« (6). Diese generellen Festlegungen bilden den weiteren Hintergrund der Einordnung des untersuchten Textbereiches 1Sam 1–8; sie bedürften mindestens einer Begründung.
Neue, im Einzelnen zu diskutierende Perspektiven eröffnet F.s These, die Samuelüberlieferung sei als Biographie in einer weiteren Folge von Biographien zu verstehen (Appendizes 2 und 3), sowie seine Folgerung, die Einheit 1Sam 1–8 sei als Biographie Samuels einer älteren Textform nach der dtr Redaktion vorangestellt worden. Die Biographie Samuels zeige Züge einer »Idealbiographie« (197, Anm. 132 mit Verweis auf K. Baltzer). Es könnte weiterführend sein, andere solcher biographischer Konzeptionen im DtrG vergleichend zu untersuchen. Biographische Überlieferungen finden sich in der Literatur aus der Umwelt des Alten Testaments (vgl. nur Idrimi von Alalah) und in der griechischen historiographischen Überlieferung (vgl. z. B. Herodot). Hinsichtlich der Funktion und Einordnung von Biographien in ein historiographisches Werk wäre eine systematische Reflexion hilfreich.
Insgesamt diskutiert die Monographie viele Fragen zum Textbereich und leistet einen anregenden Beitrag zur Klärung der Struktur und Entstehung von 1Sam 1–8.