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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

158 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lattke, Michael

Titel/Untertitel:

Oden Salomos. Text, Übersetzung, Kommentar. Teil 3: Oden 29–42. Transkription des Syrischen von K. Beyer. Fribourg: Academic Press Fribourg;

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. XXXVIII, 422 S. gr.8° = No vum Testamentum et Orbis Antiquus, 41/3. Geb. € 84,00. ISBN 3-7278-1513-2 (Academic Press); 3-525-53957-6 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Jörg Frey

Mit dem vorliegenden dritten Band ist Lattkes opus magnum, der erste große historisch-kritische Kommentar zu den Oden Salomos, nun vollständig. Das zu den Bänden I (1999) und II (2001) Gesagte (dazu J. Frey, ThLZ 127 [2002], 1052–1054) braucht hier nicht wiederholt zu werden. Der abschließende Band enthält nun die Kommentierung der Oden 29–42 in dem bereits eingeführten Schema: den Text in der überlieferten Sprache und poetischer Gliederung, Erläuterungen zur Überlieferungssituation, abschnittsweise die Transkription mit deutscher Übersetzung und die ausführliche philologisch-religions- geschichtliche Kommentierung sowie wieder zu jeder Ode einen übergreifenden Exkurs. Im Anhang (283–422) folgen ein Abkürzungsverzeichnis, eine Gesamtbibliographie zu den Bänden 1–3, eine Konkordanz der griechischen und lateinischen Wörter sowie der Wörter aus dem Syrischen und Koptischen nach der deutschen Übersetzung sowie schließlich ein Stellen- und Autorenregister und zwei Seiten Corrigenda zu Teil I–II.
Besonders hinzuweisen ist darauf, dass L. auf Anraten des Heidelberger Semitisten Klaus Beyer seine Transkription des Syrischen noch einmal modifiziert hat. Daher wird im ›Vorspann‹ auf S. XIII–XIV die neue, von Klaus Beyer zusammengestellte Transkription des Syrischen und auf S. XV–XXXVII der syrische Text der Oden 3–28 in der neuen Transkription Beyers dargeboten. Diese Vorschläge zur Transkription des Syrischen sind über die Spezialdiskussion zu den Oden hinaus von Bedeutung und sollten nicht übersehen werden.
Die äußerst gründliche philologische und religionsgeschichtliche Interpretation kann hier nicht im Detail besprochen werden. Sie wird auf lange Zeit für jede weitere Arbeit an den Oden Salomos grundlegend bleiben. Sein Gesamtverständnis hat L. zuletzt in seinem Artikel (Salomoschriften III. Oden Salomos) der neuen RGG4 (VII, 808 f.) zusammengefasst: Die Oden wurden nach L. wohl im 1. Viertel des 2. Jh.s ursprünglich in griechischer (nicht syrischer!) Sprache verfasst. Neben alttestamentlichen Einflüssen und weisheitlichen Einschlägen finden sich auch (einige) qumranische und natürlich neutestamentliche Parallelen (aber nicht nur Joh, sondern auch Mt und Corpus Paulinum), so dass die Texte »in die Epoche früher Überschneidung jüdischer, christlicher und gnostischer Tradition« (ebd., 808) einzuordnen sind, ohne dass dies geographisch spezifiziert werden könnte. Eine Entstehung in Syrien ist daher positiv kaum begründbar. Ebenso ist eine einseitige Zuordnung zur johanneischen Traditionslinie nicht nachzuweisen. Mit dieser Einordnung der Oden in ein gnostisierendes (aber noch nicht von ausgebildeten gnostischen Systemen geprägtes) Milieu ist L. sicher mehr im Recht als Charlesworth, der die Oden in eine Linie mit dem Schrifttum von Qumran und dem Johannesevangelium stellen wollte (s. dazu J. H. Charlesworth, Qumran, John, and the Odes of Solomon, in: Ders. [Hrsg.], John and the Dead Sea Scrolls, New York 1990, 107–136; ders., Critical Reflections on the Odes of Solomon 1: Literary Setting, Textual Studies, Gnosticism, the Dead Sea Scrolls and the Gospel of John, JSPE.S 22, Sheffield 1998).
Zwischen diesen beiden Textkomplexen ist jedoch sehr viel deutlicher zu differenzieren – eine unmittelbare Abhängigkeit des Johannesevangeliums von Qumrantexten ist m. E. äußerst zweifelhaft (s. dazu J. Frey, Licht aus den Höhlen? Der ›johanneische Dualismus‹ und die Texte von Qumran, in: J. Frey/U. Schnelle [Hrsg., unter Mitarb. von J. Schlegel], Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT 175, Tübingen 2004, 117–203). Des Weiteren bieten die Oden Salomos eine breitere Rezeption neutestamentlicher Texte über den johanneischen Schriftenkreis hinaus, und in ihren alttestamentlichen Anspielungen zeigen sie ganz andere Schwerpunkte, als sie in der Bibliothek von Qumran belegt sind. Im Stellenregister bei L. sind gerade zwei Leviticus-Stellen belegt. Zentral sind – neben den Psalmen – vor allem weisheitliche Texte (Prov 1,20–26 und 8–9 in der Rede von der personifizierten Gnade in Ode 33; weiter Sirach und vor allem die Sapientia Salomonis).
Charakteristisch für L.s Arbeit ist ein Interesse an der Sachinterpretation, die sich des Öfteren von den quellensprachlichen Begriffen löst und existenzialtheologische Kategorien aufnimmt, so etwa wenn Ode 34 mit ihren mittelplatonisch inspirierten Aussagen über »oben« und »unten« mit den Begriffen »Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit« überschrieben wird (91). Solche ›Bultmannianismen‹ klingen in der heutigen Diskussion etwas anachronistisch, doch mindern sie den hohen Wert der philologischen und religionsgeschichtlichen Erhellung keineswegs.
Das nun vorliegende Gesamtwerk L.s, das – von den ersten monographischen Studien aus dem Jahr 1979 bis zum jetzt vorliegenden Kommentar – einen ›Lebensweg‹ mit den Oden dokumentiert und forschungsgeschichtlich (M. Lattke, Die Oden Salomos in ihrer Bedeutung für Neues Testament und Gnosis III: Forschungsgeschichtliche Bibliographie 1799–1984 mit kritischen Anmerkungen. Mit einem Beitrag von Majella Franzmann, OBO 25/3, Freiburg (Schweiz)-Göttingen 1986) wie auch philologisch-religionsgeschichtlich größtmögliche Vollständigkeit bietet, verdient allergrößten Respekt. Insbesondere durch die ausführlichen Stellenregister und den nun gebotenen ausführlichen Index der Sachbegriffe in deutscher Übersetzung (die Wortkonkordanz zu den Überlieferungssprachen findet sich in M. Lattke, Die Oden Salomos in ihrer Bedeutung für Neues Testament und Gnosis II: Vollständige Wortkonkordanz zur handschriftlichen griechischen, koptischen, lateinischen und syrischen Überlieferung der Oden Salomos. Mit einem Faksimile des Kodex N, OBO 25/2, Freiburg [Schweiz]-Göttingen 1979) liegt mit dem letzten Band des Kommentars ein (auch für Exegeten ohne Syrisch- und Koptischkenntnisse) benutzerfreundliches und in seiner Gelehrsamkeit alle anderen Arbeiten überragendes Werkzeug zum Um gang mit diesem rätselhaften und oft vernachlässigten frühchristlichen Text vor. Dafür ist dem Autor herzlich zu danken.