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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

155–158

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Laato, Antti, and Johannes C. de Moor [Eds.]

Titel/Untertitel:

Theodicy in the World of the Bible.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. LIV, 830 S. gr.8°. Lw. € 119,00. ISBN 90-04-13275-9.

Rezensent:

Konrad Schmid

Der umfangreiche Band unternimmt es, »to trace back the theod icy problem to its earliest roots in the polytheistic religions of the ancient Near East and pursue its further development through the Bible and ancient Judaism« (xi). Er gliedert sich in sechs Großabschnitte (vii–26: »General«; 27–150: »Ancient Near East«; 151–469: »The Hebrew Bible«; 470–604: »Early Jewish Writings«; 605–684: »The New Testament«; 685–752: »Rabbinic Judaism«).
Die zentrale Frage, ob die neuzeitliche Kategorie der »Theodizee« überhaupt geeignet sei, um entsprechende antike Problemstellungen anzugehen, wird in den beiden einleitenden Artikeln der Sektion »General« thematisiert. Die »Introduction« (vii–lix) von Antti Laato und Johannes C. de Moor möchte »Theodizee« in einem weiteren Sinne als in dem von G. W. Leibniz geprägten verstehen, der ihn auf »attempts to justify the ways of the one God with human beings« (x) beschränkte. »Following Max Weber we can state that the term ›theodicy‹ can be and has been used for any attempt to render suffering and evil intelligible« (x). Und in diesem weiteren Sinn gefasst halten es die Herausgeber für möglich und sinnvoll, den Begriff auch an vorneuzeitliche Texte heranzutragen. Ihr Zugang (sowie der jenige der weiteren Beiträge) ist im Wesentlichen »descriptive« (xvii), »to elucidate the multifaceted historical origins of the theodicy problem« (liv). Auch der philosophisch ausgerichtete Beitrag von Marcel Sarot, »Theodicy and Modernity« (1–26), stellt sich auf den Standpunkt, dass »while remarkable changes in our way of thinking about God and evil took place simultaneously with the introduction of the term ›theodicy‹, this does not warrant the setting apart of this term for Enlightenment and post-Enlightenment thinking about God and evil« (22).
Die Sektion »Ancient Near East« wird eröffnet durch Antonio Loprienos Darstellung zu »Theodicy in Ancient Egyptian Texts« (27–56). Loprieno unterscheidet zunächst grundsätzlich zwei altägyptische Diskurse zur Theodizee-Problematik, die er als »mythological« und »philosophical« apostrophiert (40), und bietet anschließend einen diachronen Überblick zu den unterschiedlichen Positionen a ltägyptischer Theologie in Bezug auf die Theodizee-Frage. Karel van der Toorn (»Theodicy in Akkadian Literature«, 57–89) entwickelt ein textorientiertes Panorama zum Thema, mit einer gewissen Betonung auf der »Babylonischen Theodizee«. Ebenfalls an bestimmten Texten arbeiten die Beiträge von Harry A. Hoffner zur hethitischen (»Theodicy in Hittite Texts«, 90–107) und Johannes C. de Moor zur ugaritischen Literatur (»Theodicy in the Texts of Ugarit«, 108–150).
Den meisten Raum des Bandes beanspruchen die Beiträge zur »Hebrew Bible«, deren Bücher entweder blockweise oder einzeln besprochen werden.

Cornelis Houtman (»Theodicy in the Pentateuch«, 151–182) unternimmt den Versuch, verschiedene Umgangsweisen mit dem Theodizee-Problem im Pentateuch idealtypisch voneinander zu unterscheiden. Entsprechend isoliert Antti Laato unterschiedliche Formen von »Theodicy in the Deuter onomistic History« (183–235). James L. Crenshaw behandelt Texte wie die Konfessionen Jeremias innerhalb seines Beitrags »Theodicy and Prophetic Literature« (236–255), fragt aber auch nach Reflexionen über die Eigenschaften Gottes, den Lauf der Geschichte und die Ordnung der Natur in der prophetischen Literatur. Für die Psalmen bietet Fredrik Lindström (»Theodicy in the Psalms«, 256–303) einen Überblick nach Gattungen. Karl-Johan Illman (»Theodicy in Job«, 304–333), der in diachroner Hinsicht für eine Entstehung der Dialoge vor dem Rahmen eintritt (314), präsentiert die unterschiedlichen sachrelevanten Perspektiven des Buches Hiob. Für Ruth geht Marjo C. A. Korpel (»Theodicy in the Book of Ruth«, 334–350) dem Buch kapitelweise entlang; für Esther (»Theodicy in the Book of Esther«, 351–374) schließt sie auch die Besprechung der Zusätze in der LXX mit ein. Das Buch Qohelet – nach Anton Schoors (»Theodicy in Qohelet«, 375–409) – »simply does not have a theodicy« (403). »Qohelet does not accuse God, neither does he defend him. And the reason is that this is beyond his capacities, for man cannot fathom God« (407). Johan Renkema stellt für die Threni fest (»Theodicy in Lamentations?«, 410–428), »that while the poets of Lamentations may have been aware of sin and guilt, they did not consider YHWH to be responsible for the disaster facing the people« (427), sie sind »far removed from any form of theodicy« (428), ihr Sprachmodus ist der der Klage, nicht der der Erklärung. Sara Japhet hebt für ihr Thema, »Theodicy in Ezra-Nehemiah and Chronicles« (429–469), die Gerechtigkeit Gottes als Grundaxiom der Geschichtsschreibung in den Bü chern Chronik, Esra und Nehemia hervor.

Der Großabschnitt »Early Jewish Writings« beginnt mit James H. Charlesworths Beitrag »Theodicy in Early Jewish Writings« (470–508). Er erkennt acht unterschiedliche Optionen »to solve the problem of theodicy« (471 f.) und exemplifiziert sie – in weitgehend chronologischer Ordnung – an den Makkabäerbüchern, Texten aus Qumran, den Psalmen Salomos, dem syrischen Baruch oder dem 4. Esra. Pancratius C. Beentjes’ Behandlung von »Theodicy in the Wisdom of Ben Sira« (509–524) bedenkt das Buch bewusst im Rahmen von Israels Theologie geschichte. David Winston bespricht die »Theodicy in the Wisdom of Solomon« (525–545) und Kenneth Atkinson die »Theodicy in the Psalms of Solomon« (546–575). David T. Runia hebt den Einfluss philosophischen Denkens bei Philos Zugangsweisen zu theodizeerelevanten Problemlagen hervor (»Theodicy in Philo of Alexandria«, 576–604).
Die Beiträge zum Neuen Testament umfassen die Texte von Tom Holmén (»Theodicean Motifs in the New Testament«, 605–651), der besonders Deutungen des Todes Jesu thematisiert, und Anssi Simojoki (»The Book of Revelation«, 652–684). Hier wird in besonderer Weise deutlich, dass die Fragestellung nach der Theodizee nur als Aufhänger dienen kann, aber nicht als solche bedient wird; die Frage nach der »justification of God before the suffering that appears in the world« (650) transformiert sich namentlich bei Paulus dezidiert zur Frage nach »the justification of man before the righteous God« (650).
Jacob Neusners Aufsatz »Theodicy in Judaism« (685–727) setzt programatisch ein: »The theodicy of Judaism is Judaism«. »That issue is, how can one, all-powerful God be deemed just, given the state of Israel, his people in the world?« (685) Diese Fragestellung wird an rabbinischen Texten des 1. bis 7. Jh.s n. Chr. durchgearbeitet. Der Beitrag von Bruce Chilton zu »Theodicy in the Targumim« (728–752) beschließt den Band. Umfangreiche Autoren-, Text- und Sachregister erschließen das Werk (757–830).
Die Fülle des auf über 800 Seiten gebotenen Materials zur Frage ist beeindruckend, doch der kursorische Durchgang vom Alten Ägypten bis zur rabbinischen Literatur bleibt in vieler Hinsicht disparat.
Verantwortlich dafür dürfte erstens die globalisierte, deshalb auch unscharfe Bestimmung von Theodizee (»any attempt to render suffering and evil intelligible«, x) sein, die von den Autorinnen und Autoren des Bandes unterschiedlich verstanden und in unterschiedlicher Weise auf ihre Arbeitsbereiche appliziert worden ist. Besonders deutlich wird dies bei Anton Schoors’ und Johan Renkemas Behandlungen der Bücher Qohelet und Threni, die das Vorhandensein eines Theodizee-Bewusstseins überhaupt in Abrede stellen, was weniger mit dem jeweils behandelten Gegenstand als mit der konkreten Formulierung ihrer Fragestellung zusammenhängt. Zweitens ist gerade für die in der Theodizee-Problematik implizierte Vorstellung von »Gerechtigkeit« von erheblicher Bedeutung, dass sich die neuzeitlichen Bestimmungen dieses Begriffs zu den jeweils herangezogenen antiken »Äquivalenten« in verschiedener Hinsicht diskontinuierlich verhalten. In den alttestamentlichen Beiträgen etwa wird bisweilen ein Verständnis von »Gerechtigkeit« an die biblischen Texte herangetragen, das wohl für die Theodizee-Frage hilfreich, aber in Bezug auf das Alte Testament wenig angemessen ist, jedenfalls nicht hinreichend unterschieden wird (vgl. z. B. die Ausführungen von James L. Crenshaw, 255). Drittens stellen sich erhebliche Probleme bezüglich der Vermittelbarkeit der aufklärerischen Gott-Welt-Matrix, innerhalb derer die Theodizee-Problematik philosophiegeschichtlich entwickelt worden ist, mit antiken Verhältnisbestimmungen von Gott und Welt, die geographisch und historisch sehr stark variieren können. Viertens schließlich stellt sich das Problem einer den Texten selbst fremden Moralisierung, die sich durch ihre Befragung mit Blick auf die Theodizee-Frage ergibt: Der Beitrag von Antti Laato zur »Deuteronomistic History« etwa statuiert – in Anwendung einer von ihm vorgeschlagenen, dreifach aufgegliederten Theodizee-Typologie –, »that the free-will theodicy provides a key explanation for the catastrophe of the exile in the Deuteronomistic History. We have also seen that certain fea tures in the Deuteronomistic History seem to indicate that the catastrophe of the exile has an educative aspect. The fate of Josiah is described as the mystery of theodicy« (235). Dass es in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments Anhaltspunkte für solche Deutungen und Klassifizierungen gibt, soll nicht bestritten werden, doch verwandeln sie sich – unter der Fragestellung nach der Theodizee gelesen – unter der Hand und ungefragt in moralische Texte. Inwieweit sie dies wirklich sind oder ob hier nicht vielmehr doch die aufklärerisch geprägte Fragehinsicht die Interpretation bestimmt, lässt sich immerhin fragen. Insofern muss vorerst offen bleiben, ob man den Optimismus des Einleitungsabschnittes »General« zur Anwendbarkeit der Theodizee-Frage auf antike Texte teilen kann.