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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

150 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Haag, Ernst

Titel/Untertitel:

Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2003. 271 S. m. Ktn. gr.8° = Biblische Enzyklopädie, 9. Kart. € 25,00. ISBN 3-17-012338-6.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der jüngst erschienene Band der in ihrer alttestamentlichen Abteilung von Walter Dietrich in Bern betreuten Biblischen Enzyklopädie aus der Feder des Trierer Alttestamentlers Ernst Haag ist der Darstellung des hellenistischen Zeitalters gewidmet. Er gliedert sich in vier Teile, von denen der 1. »Das biblische Bild von Israel und seiner Geschichte in der hellenistischen Epoche« (17–32), der 2. »Die historische Rekonstruktion der Geschichte Israels in der hellenistischen Epoche« (33–111), der 3. »Die biblische Literatur in der Epoche« (112–226) und der 4.den »Theologischen Ertrag« behandelt (227–263). Der Darstellung vorangestellt sind eine Zeittafel (9–10), ein Verzeichnis der Dynastien der drei hellenistischen Großreiche (11–12) sowie vier der »Griechischen Geschichte« von Hermann Bengtson entnommene Karten (13–16).
Der 1. Teil setzt mit Inhaltsangaben der biblischen Geschichtsquellen in Gestalt des 1. und 2. Makkabäerbuches und des ihr Geschichtskonzept beeinflussenden Danielbuches ein. Anschließend wird die sich aus ihren Darstellungen ergebende Problematik über den Zusammenhang zwischen den innerjüdischen Hellenisierungsbestrebungen und dem Religionsedikt Antiochos IV. Epiphanes im Anschluss an die grundlegende Neuuntersuchung von Karl Bringmann (1983) dargelegt, welche die einschlägigen Vorarbeiten von Elias Bickerman(n) (1937) und Martin Hengel (1969) weiterführen konnte. Sie erweist sich als geeignet, die überspannten historischen Schuldzuweisungen an den Seleukiden in Frage zu stellen (30–32). Die Antwort wird dann in II.2. 3.2 und 3 im engen Anschluss an Bringmann gegeben (56–73): Die hellenistische Reform Jasons sei zwiespältig gewesen, weil sie die neu gegründete Polis dem bestehenden Regiment des Hohenpriesters und der Gerousie eingefügt, die Polis damit um ihre demokratische Grundstruktur gebracht und so von Anfang an zum Scheitern verurteilt habe (61–62). Die biblische Sicht, nach der das Religionsedikt des Jahres 168 dem grundsätzlichen Willen zur Hellenisierung des Königs und des Hohenpriesters Menelaos entsprochen habe, erweist sich schon angesichts der mit jenem verbundenen »Syrisierung« des Jerusalemer Kultes als fragwürdig: Als entscheidender auslösender Faktor erweist sich vielmehr die rein pragmatische Absicht des Menelaos, seine angefochtene Herrschaft mittels der synkretistisch gesinnten Garnison der Akra zu sichern. Das zeige sich daran, dass Menelaos, als sich das Edikt als Fehlschlag erwies, dem König 165 ungeniert seine Aufhebung empfehlen konnte. All das wird jedoch erst verständlich, wenn man mit E. Baltrusch (2002) die gegenüber der Perserzeit veränderte Bedeutung des jüdischen Gemein wesens ins Auge fasst, dem im Rahmen der hellenistischen Reiche keine Stabilisierungsfunktion mehr zukam, so dass das Verhältnis zwischen beiden auf Dauer labil blieb (72–73).
Auch in den übrigen, dem historischen Verlauf von Alexander dem Großen bis zum Ende des hasmonäischen Königsreiches gewidmeten Kapiteln wird der Leser mit dem aktuellen Forschungsstand vertraut gemacht. Wer an die klassischen Darstellungen Alexanders von Droysen bis zu Tarn gewohnt ist, dem wird besonders die Bestreitung der Bedeutung seines Eroberungskrieges für die Entstehung der hellenistischen Kultur auffallen, wie sie E. Will in den späten 70er und frühen 80er Jahren des letzten Jh.s vertreten hat, der in dem Makedonen einen brutalen Machtmenschen gesehen hat (42). Generell vertraut sich H. aber sowohl in seiner Darstellung Alexanders wie der weiteren hellenistischen Geschichte mit guten Gründen den Arbeiten von H.-J. Gehrke (1986 und 19952) an, der Alexanders Verhalten von seinen mythischen Identifikationen her deutet (34–42). (Auf die erst 2005 erschienene Monographie über Alexander den Großen von Hans-Ulrich Wiemer sei ergänzend hingewiesen [C. H. Beck. Studium]: In ihr werden ebenso die klassischen Kontroversen einer umsichtigen Lösung zugeführt wie die Wirkungsgeschichte von der Antike bis heute behandelt.) So kann sich der Leser mit gutem Gewissen auch der hier vorgelegten Darstellung des weiteren Gangs der Geschichte Israels bis zur Eroberung Jerusalems durch Pompejus 63 v. Chr. anschließen (43–94), die durch je ein Unterkapitel über die wirtschaftliche und die kulturelle Lage Israels in dieser Zeit abgerundet wird (95–111).
Im 3. Teil behandelt H. die aus der Epoche stammenden proto- und deuterokanonischen Schriften. Da er angesichts der kanonischen Vorgabe hier auch die »Weisheit Salomos« behandeln musste, wäre ein Hinweis auf ihre kontroverse Datierung zwischen 200 v. und 50 n. Chr. angebracht gewesen, zumal sie deutlich gemacht hätte, dass der Hellenismus als geistesgeschichtliches Phänomen auch noch die römische Epoche umfasst. Die in diesem Abschnitt vermissten Hinweise auf die derzeit diskutierten Spätdatierungen des Esra-Nehemiabuches und der Chronik finden sich im Schlussabschnitt des 3. Kapitels (III.2), in dem H. unter »Der Abschluß älterer biblischer Literatur« grundlegende Ergebnisse und Kontroversen der einschlägigen redaktionskritischen Untersuchungen referiert, die sich z. B. im Fall des Hiobbuches um die von M. Witte (1994) (und inzwischen auch W.-D. Syring [2004]) hätten vermehren lassen (112–221).
In seinem Schlusskapitel stellt H. das theologische Erbe der Epoche in Gestalt der Botschaft von der Königsherrschaft Jahwes, den Engeln als Gottes Boten in der Welt, der satanischen Gegenmacht, der Auferweckung der Toten, der Rolle des Menschensohns im Reiche Gottes und der Weisheit Gottes in Schöpfung und Geschichte dar (227–263). So ist es H. gelungen, hoffentlich nicht nur den Studenten, sondern auch den Religionslehrern und Pfarrern einen Leitfaden zur Verfügung zu stellen, der sie insgesamt auf der Höhe des gegenwärtigen Forschungsstandes umfassend in die Geschichte und Literatur des Judentums im hellenistischen Zeitalter einführt.