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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

148–150

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wohlleben, Ekkehard

Titel/Untertitel:

Die Kirchen und die Religionen. Perspektiven einer ökumenischen Religionstheologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 457 S. m. 2 Abb. gr.8° = Kirche – Konfession – Religion, 48. Geb. € 69,00. ISBN 3-525-56551-8.

Rezensent:

Vasile Hristea

Das Thema der Erlangener Dissertation von Ekkehard Wohlleben ist die Verhältnisbestimmung des Christentums zu den nichtchristlichen Religionen. Es soll damit der schon in der Sendung der Kirche in die Welt mitgegebenen Notwendigkeit einer in ökumenischer Sichtweite unternommenen Betrachtung der Religionen gedient werden.
Dieses Verhältnis ist aus der Sicht des Vf.s vor allem ein hermeneutisches: Es bestimmen zu wollen, bedeutet die eigene christliche Tradition tiefer zu verstehen. Der Weg zum Anderen beginnt somit bei sich selbst. Diese grundlegende Ansicht, wie sie im einführenden Teil (Kapitel I) hervorgehoben wird, legt auch den gedanklichen Weg der Arbeit fest. Dementsprechend ist der Verhältnisbestimmung der christlichen Kirchen zu den Religionen im Zuge eines tieferen Hineingehens in das Geheimnis des dreieinigen Gottes nachzugehen.
Unter dem Hinweis auf den Glauben an den dreieinigen Gott als den christlich verbindenden verschafft sich der Vf. zunächst eine legitime Basis, auf der er die drei großen christlichen Konfessionen Katholizismus, Protestantismus und Orthodoxie ins Gespräch bringt. Diese Betrachtungen werden jeweils in zweifacher Brechung vollzogen; es werden sowohl geschichtlich-traditionelle als auch theologisch-moderne Lehrpositionen dargestellt.
Die Besprechung der römisch-katholischen Religionstheologie (Kapitel II) beginnt bei dem Axiom der Heilsnotwendigkeit der Kirche, extra ecclesiam nulla salus. Unter diesem Problemhorizont, der die ekklesiologische Begründung des Heils oder des Unheils des Menschen umspannt, werden unterschiedliche Auffassungen erörtert: Augustinus, Thomas von Aquin, dann das Vatikanum II und, im Anschluss daran, die profiliertesten Positionen der römisch-katholischen Religionstheologie im 20.Jh.– K. Rahner, J. Ratzinger und H. Küng. Neben dem diachronen Gesichtspunkt, der einen Entwicklungsfaden der römisch-katholischen Religionstheologie skizzieren will, wird diese Betrachtung durch einen Systematisierungsversuch abgerundet: Die römisch-katholische Religionstheologie wird im Spannungsfeld von ekklesiozentrischem Heilsexklusivismus und -inklusivismus wahrgenommen.
Anders als im Katholizismus hat die Frage nach dem Heil in den anderen Religionen in der reformatorischen Theologie eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Dies wird darauf zurückgeführt, dass im Lichte der reformatorischen Rechtfertigungslehre mit den Exklusivpartikeln sola gratia, solus Christus, sola fide eine deutliche christologisch-soteriologische Zuspitzung des Heilsgeschehens gegeben ist. Diese Zuspitzung hat sich dann exklusivistisch auf die Wahrnehmung der anderen Religionen ausgewirkt. Sind deswegen in der Reformation kaum handfeste Konzepte der Theologie der Religionen gegeben worden, so zielt die Betrachtung der evangelischen Theologie der Religionen (Kapitel III) vor allem darauf, ihre Grundlagen in der reformatorischen Theologie herauszufinden. Zu diesem Zweck wird die Stellungnahme der Reformatoren M. Luther, J. Calvin, und U. Zwingli zu den Religionen untersucht. Diese Betrachtung wird auf dem Feld der modernen Theologie mit der Besprechung der Entwürfe von K. Barth, P. Althaus, C. H. Ratschow als drei wichtigen offenbarungstheologischen Positionen um eine differenziertere Darstellung ergänzt.
Als dritte konfessionelle Position wird die der orthodoxen Theologie erörtert (Kapitel IV). Da auf dem Gebiet der orthodoxen Theologie eine zusammenhängende Theologie der Religionen noch fehlt, ist die diesbezügliche Leistung dieser Arbeit besonders hoch zu schätzen. Durch einen Überblick über die morgenländische Patristik, der die Zeit von Justin dem Märtyrer, Klemens von Alexandrien, Origenes und den Kappadozischen Kirchenvätern umspannt, wird der Versuch gemacht, die prägenden Traditionen der orthodoxen Theologie zu identifizieren. In einem weiterem Schritt, der eine gewisse Vertrautheit des Vf.s mit der Welt der Orthodoxie erkennen lässt, werden drei orthodoxe Positionen der Gegenwart erörtert: G. Khodr, D. J. Constantelos und A. Yanoulatos. Ohne den trinitarischen und christologischen Charakter der orthodoxen Theologie relativieren zu wollen, sieht der Vf. in der »kosmischen Weite« der orthodoxen Theologie – die besonders durch die stoisch-patristische Lehre vom logos spermatikos und als unterschwelliges Vorhandensein der origenistischen apokatastasis ton panton geprägt ist – eine vorwiegend inklusivistische religionstheologische Position.
Nach der Darstellung der drei konfessionellen Lehrpositionen, an denen der Vf. die als Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus bekannten Varianten des christlichen Verständnisses der Religionen aufzeigt, werden dann im Kapitel V diese konfessionellen Entwürfe miteinander verglichen. Unter Berücksichtigung der bereits herausgearbeiteten konfessionstypischen Grundtendenzen wird die Feststellung getroffen, dass die konkrete Frage nach der Heilsmöglichkeit eines Nichtchristen im Lichte der verschiedenen Konfessionen unterschiedlich von exklusivistisch bis inklusivistisch beantwortet werden kann.
In Anbetracht der Unterschiede und der Gemeinsamkeiten dieser konfessionellen Perspektiven bietet sich die Möglichkeit einer Systematisierung an. Das versucht der Vf. in einem weiteren Durchgang in Kapitel V auf Grund der konfessionell übergreifenden Gemeinsamkeiten der religionstheologischen Lehrauffassungen. Hierzu leitet er einen Perspektivenwechsel ein, in dem er von einer traditionsorientierten zu einer problemorientierten Sichtweise wechselt.
Diese neue Akzentsetzung trägt zu einer systematischen Vertiefung des Themas bei. Von nun an wird das Verhältnis zu den Religionen anhand der in der christlichen Theologie gemachten Unterscheidung zwischen dem Welthandeln und dem Heilshandeln Gottes mit der Begründung bestimmt, dass dies ein Merkmal ist, das quer durch die drei christlichen Konfessionen begegnet. Da der Vf. darunter die Dialektik der Seins- und Erkenntnisordnung von Natur und Gnade (katholisch), Gesetz und Evangelium (evangelisch), trinitarischer Christologie und trinitarischer Pneumatologie (orthodox) ordnet, weist er auf diese Unterscheidungsmöglichkeit im Handeln Gottes als auf ein wesentliches Merkmal der christlichen Theologie hin.
In diesem Merkmal sieht der Vf. den Schlüssel zum theologischen Verständnis der nichtchristlichen Religionen, die er alle dem Welthandeln Gottes zuschreibt, während er die Selbstmitteilung Gottes durch Christus als spezielles Heilshandeln Gottes sieht. Denkt man aber daran, dass das Welthandeln und das Heilshandeln zwei Aspekte der Wirksamkeit des trinitarischen Gottes sind, durch die Gott seinen Heilswillen durchsetzt, so dürfen sie aus konsequenter christlicher Sicht nicht auseinander genommen werden (Kapitel VI). Dies lässt wiederum die Möglichkeit offen, die Religionen als Wahrheitsmomente auf dem Hintergrund der christlichen Wahrheit erscheinen zu lassen. Doch bereits hier stellt sich die Frage: Sind die anderen Religionen nur als schwächere Spiegelungen des Christentums anzusehen? Müsste man stattdessen nicht jede Religion in der ihr eigentümlichen Würde betrachten?
Im Lichte des trinitarischen Handelns Gottes in der Welt kann das Verhältnis der Religionen zueinander gleichzeitig als exklusivistisch – unter dem Hinweis auf die existentielle Dimension des christlichen Bekenntnisses –, inklusivistisch kraft der Wahrheitswahrnehmung auch in den anderen Religionen und pluralistisch, wo die Spannungen unter konkurrierenden Wahrheitsansprüchen ungelöst bleiben, bestimmt und so auch der Würde der jeweiligen Religion entsprochen werden. An Stelle der bisherigen alternativen Redeweise über die Religionen gewinnt das christliche Verhältnis zu den Religionen in ökumenischer Perspektive – und darauf zielt das plausible Ergebnis dieser reichen Arbeit – seine Bestimmung als Exklusivismus – Inklusivismus– Pluralismus. Das Verhältnis zu den Religionen wird zwar komplexer, es besteht dadurch aber immer wieder die Möglichkeit einer Begegnung. – Somit liegt eine Arbeit vor, deren Lektüre zwar auf Grund ihres sprachlichen Stils Mühe bereitet, die jedoch dem christlich-ökumenischen Gespräch über die Religionen zu Klarheit und Konsens verhilft.