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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

141 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bongardt, Michael, Kampling, Rainer, u. Markus Wörner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Verstehen an der Grenze. Beiträge zur Hermeneutik interkultureller und interreligiöser Kommunikation.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2003. 236 S. gr.8° = Jerusalemer Theologisches Forum, 4. Kart. € 37,00. ISBN 3-402-07503-2.

Rezensent:

Philipp Hauenstein

Die vorgelegten Beiträge sind in der Mehrzahl die Ergebnisse eines von der deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zur Hermeneutik interreligiöser Kommunikation am Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 1999. Das informative Vorwort der Herausgeber führt gut in die Thematik ein und ist ein hilfreicher Wegweiser durch die zum Teil auf hohem Abstraktionsniveau gehaltenen Beiträge. Letztlich geht es um zwei Thesen, die diskutiert werden.
1. Interreligiöse Kommunikation geschieht »im Interesse der Offenlegung der Wahrheit der Religionen« (8) und wird nicht durch den Homogenisierungsprozess der Globalisierung begründet.
2. Um Verständigung an der Grenze zu erreichen, ist nur partielles Verstehen nötig. Ein zu genaues Verstehen des Fremden kann der Verständigung sogar im Weg sein. Dem steht das Ideal philosophischer Hermeneutik nach möglichst umfassendem Verstehen der jeweils Anderen gegenüber. Beides, so die zweite These, muss kein Widerspruch sein, sondern befindet sich in einer konstruktiven Spannung, die es zu zeigen gilt.
In einem ersten Schritt bemühen sich die Beiträge von Markus H. Wörner, von Ricca Edmondson und von Sebastian Lalla um »philosophisch-sozialwissenschaftliche Vorklärungen«. An geregt durch Gadamer entwickelt Wörner im Rückgriff auf ein Gedicht von Rainer Maria Rilke eine Grundstruktur einer möglichst gelingenden interreligiösen Kommunikation. Ricca Edmondson hebt hervor, dass, um den Alltag zu meistern, Verstehen nur sehr begrenzt nötig ist. Meist regeln unbewusst verinnerlichte Muster und Konventionen die Lösung von Problemen. Verstehen ist nie eindeutig. Zwölf verschiedene Methoden des Verstehens werden von Edmondson indentifiziert und analysiert. Sebastian Lalla kommt ausgehend von Wittgensteins Sprachspielen zu dem ernüchternden Ergebnis, dass interreligiöses Verstehen eigentlich nicht möglich ist. Damit unterzieht er den herrschenden Verstehenspositivismus einer radikalen Kritik. Bestenfalls jenseits des Sprachlichen, wo es um die Begegnung mit der Unmittelbarkeit des letztlich Relevanten geht, ist ein Einsehen des Anderen möglich. In einem zweiten Schritt suchen Michael Bongardt, Silvia Pellegrini und Rainer Kampling nach »christlich – theologischen Orientierungsmarken«.
Im Gespräch mit Nikolaus von Cues und Cassirer kommt Bongardt zu dem Ergebnis, dass »wo sich selbstbewusste Überzeugung von der menschlichen Wahrheitsfähigkeit und die bescheidene Einsicht in die Bedingtheit allen Begreifens verbinden, (da) ist das Tor zu einer Achtung des und der Fremden aufgestoßen« (137). Silvia Pellegrini arbeitet in ihrer Untersuchung aus dem Neuen Testament wichtige Anregungen zur Fragestellung einer interkulturellen und interreligiösen Hermeneutik heraus. »Die Wahrnehmung der Fremden … (Eph 2,13) lasse die Kirche die ›Länge und die Breite, die Höhe und die Tiefe‹ (Eph 3,18 f.) Gottes erfahren; das ist die Erkenntnis und der Gewinn des interkulturellen und -religiösen Kontaktes« (156). Rainer Kampling geht in seinem Beitrag auf Besonderheiten des jüdisch-christlichen Dialogs ein. Bei allen Fortschritten und bei allem Erreichten bleibt die Christologie ein Konfliktbereich. Aber gerade die Christologie ermöglicht erst einen Dialog mit Israel. »Ohne Jesus Christus ist diese Rede nicht möglich und zugleich ist die Christologie ohne diese Rede nicht möglich« (176). In einem dritten Schritt geben Anand Amaladas aus indischer Perspektive, Matthias Blum aus der Perspektive jüdisch-christlicher Begegnungen und Bernhard Cullen vor dem nordirischem Hintergrund Beispiele aus der hermeneutischen Praxis interreligiöser Verständigung.
Als wichtiges Fazit lässt sich festhalten, nichts steht der Verständigung, aber auch dem Verstehen mehr im Weg als die naive Annahme der selbstverständlichen Möglichkeit des Verstehens. Erst die Berührung und Anerkennung der Grenzen gegenseitigen Verstehens ermöglicht einen fruchtbaren, lebensförderlichen Umgang mit ihnen.
Das Buch zeichnet sich durch einen interdisziplinären Zu gang (von Theologie, Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft, Philologie) aus. Das ist seine Besonderheit, aber auch seine Herausforderung. Das Verstehen über die Grenze der eigenen Disziplin hinaus unterliegt dem gleichen hermeneutischen Grundsatz, wie interkulturelle und religiöse Kommunikation überhaupt. Es ist deswegen eine (manchmal) anstrengende, aber ebenso anregende Lektüre für alle, die das Verstehen über Kultur- und Religionsgrenzen hinweg verstehen wollen.