Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

100–102

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Budde, Achim

Titel/Untertitel:

Die Ägyptische Basilios-Anaphora. Text – Kommentar – Geschichte.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2004. 679 S. m. Tab. gr.8° = Jerusalemer Theologisches Forum, 7. Kart. € 59,00. ISBN 3-402-07506-7.

Rezensent:

Martin Illert

Die ›Anaphora des heiligen Basilios‹ ist in allen Liturgiesprachen des christlichen Ostens überliefert. Während die Kirchen der chalkedonensischen Orthodoxie seit dem Hochmittelalter die Eucharistie nur noch an zehn Tagen des Kirchenjahres nach dieser Ordnung feiern, dient die ägyptische Basilios-Anaphora der koptischen Kirche bis heute als Normalformular für die Abendmahlsfeier.
Da die Basilios-Anaphora nicht allein die Eucharistiefeiern der Kirchen des orientalischen und des byzantinischen Ritus geprägt hat, sondern auch bemerkenswerte Parallelen zu westlichen Abendmahlsformularen aufweist, wird sie zuweilen als ökumenischer Konvergenztext ins Gespräch gebracht.

Einen bedeutenden Impuls für die Erforschung der Basilios-Anaphora gab die 1931 veröffentlichte Studie des Baumstark-Schülers Hieronymus Engberding zum »eucharistischen Hochgebet der Basileiosliturgie«. Besondere Aufmerksamkeit widmete Engberding der ägyptischen Fassung, da er davon ausging, dass diese von allen erhaltenen Versionen der verlorenen ›Urgestalt‹ am nächsten käme. Die byzantinisch-griechische, die syrische und die armenische Version waren dagegen nach Meinung Engberdings von einer später durch den Kirchenvater Basilios von Caesarea erfolgten Revision des Textes abhängig.
Die enorme Erweiterung der Textgrundlage durch Sebastian Euringers 1934 erschienene kritische Edition der äthiopischen Rezension, Jean Doresses und Emmanuel Lannes 1960 publizierte Ausgabe des ältesten sahidischen Zeugen und Roshdi Dous’ 1997 erfolgte Sichtung zahlreicher ägyptisch-griechischer Handschriften machte eine Neuedition der Texte der ägyptischen Basilios-Anaphora zu einem Desiderat der Forschung.
Nachdem Gabriele Winkler das von Engberding erstellte literarische Stemma revidierte und Heinzgerd Brakmanns die Bedeutung der regionalen handschriftlichen Untergruppen innerhalb der ägyptischen Tradition herausarbeitete, muss auch die Formulargeschichte der Basilios-Anaphora neu geschrieben werden.



Achim Buddes umfangreiche Bonner Dissertation analysiert erstmals den gesamten Text der ägyptischen Basilios-Anaphora.
Ganz im Sinne seines Lehrers Albert Gerhards strebt B. eine enge Vernetzung der Liturgiewissenschaft mit den übrigen theologischen Disziplinen an und lässt deshalb systematisch-theologische, sozial- und ritualgeschichtliche sowie rezeptionsästhetische und praktisch-liturgische Fragestellungen mit in diese Arbeit einfließen.
B. unterstreicht einleitend den Unterschied zwischen individuellen Schöpfungen der Literatur und anonymen, sich in ihren jeweiligen historischen Kontexten neu aktualisierenden Gebrauchstexten der Liturgie. Da sich liturgische Texte hinsichtlich ihrer Genese, ihrer Form und ihrer Funktion von den Werken der Dichter und Schriftsteller unterscheiden, geht es B. nicht um die Rekonstruktion einer verlorenen ›Urfassung‹, sondern um die möglichst vollständige Dokumentation der Formulargeschichte.
Der editorische Teil bietet daher auch keinen ›kritischen‹, sondern einen ›kumulativen‹ Text und bemüht sich um eine objektive Präsentation der unterschiedlichen Sprachgruppen und ihrer einleitend nach regionalen Traditionsgruppen untergliederten handschriftlichen Zeugen.
Obwohl die Gleichbehandlung sämtlicher Traditionen und Handschriften ein zentrales methodisches Prinzip dieser Arbeit darstellt, zwingt die Masse des vorliegenden Materials B. zu einer einschränkenden Auswahl der zu präsentierenden Texte. Auf Grund der Pluralität der Sprachräume im spätantiken und mittelalterlichen Ägypten ist die ägyptische Basilios-Anaphora nicht allein im griechischen Idiom der byzantinischen Oberschicht und in der sahidischen Volkssprache überliefert, sondern auch in der heutigen koptischen Kirchensprache des Bohairischen, in arabischen Übersetzungen und in einer vom Arabischen abhängigen äthiopischen Version. Indem B. darauf verzichtet, den arabischen und den äthiopischen Text mit in die Synopse einzubeziehen, macht er deutlich, dass das Hauptaugenmerk seiner Untersuchung auf der Erforschung der Frühgeschichte der Basilios-Anaphora liegt.
Da sich eine synoptische Wiedergabe aller Handschriften aus Platzgründen verbietet, werden in der Synopse nur drei Leittexte präsentiert. Diese werden in ihrer Physiognomie nicht angetastet, sondern erfahren Ergänzungen durch die Varianten der übrigen Zeugen im Apparat. Den drei Leittexten ist in einer vierten Spalte eine weitestgehend gut verständliche deutsche Übersetzung der ausführlicheren bohairischen Version zur Seite gestellt.
Auf den Editionsteil folgt ein detaillierter philologischer, historischer und theologischer Kommentar, der nicht allein wichtige Beobachtungen zur Entstehung, Entwicklung und zum theologischen Profil der ägyptischen Basilios-Anaphora enthält, sondern darüber hinaus am Beispiel des Textes der Basilios-Anaphora Konventionen und Improvisationsmöglichkeiten des spätantiken und mittelalterlichen eucharistischen Betens erörtert.
Außer den anderen liturgiesprachlichen Versionen der Basilios- Anaphora werden zahlreiche verwandte liturgische Formulare, Katechesen, Liturgiekommentare und im Fall des Schöpfungslobpreises sogar Werke der frühjüdischen Literatur zum Vergleich herangezogen. Unter den Zeugen für die syrischen Liturgietraditionen hätte auch die »Lehre Addais« auf Grund der in ihr enthaltenen Bekenntnisformeln Erwähnung verdient.
Weil die Geschwindigkeit der Verschriftlichung und textlichen Verfestigung der jeweiligen Abschnitte durchaus unterschiedlich verlief, wie B. mit literarkritischen und archäologischen Argumenten plausibel macht, muss die literarkritische Analyse für jeden Abschnitt des Textes gesondert erfolgen. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens wird sogleich bei der Analyse des liturgischen Eingangsdialoges deutlich, der selbst in der sahidischen und der bohairischen Fassung noch in griechischer Sprache zelebriert wird und daher seine textliche Stabilität wesentlich früher als die übrigen Passagen der Basilios-Anaphora erreicht haben muss.
Theologisch arbeitet B. die innere Verknüpfung von Heilsgedächtnis, Einsetzungsbericht und Epiklese heraus: Die ägyptische Basilios-Anaphora versteht sich unter Aufnahme von 1Tim 3,16 als ein »Mysterium der Frömmigkeit«, das Christus bei seinem Fortgang seiner Gemeinde hinterließ. Der Anaphora kommt demnach eine bis zum Eschaton andauernde heilsökonomische Funktion zu. Es ist daher nur theologisch konsequent, dass der Einsetzungsbericht gegen die historische Chronologie erst nach den übrigen Heilswerken Christi Erwähnung findet.
Anders als in der westlichen Tradition findet der Vollzug des Mysteriums noch nicht mit der Verlesung der Deuteworte des Einsetzungsberichtes, sondern erst in der Epiklese statt.
Mehrfach beobachtet B., wie sich Form und Funktion einzelner Abschnitte im Laufe der Formulargeschichte unter dem Einfluss spezifischer historischer Bedingungen wandeln. Ein besonderes Beispiel für die Inkulturation des Textes in sein ägyptisches Umfeld ist die im Nilland erfolgte Erweiterung des Fürbittengebetes um die Bitte für einen günstigen Gezeitenwechsel.
Auf der Grundlage solcher Einzelbefunde steht der überzeugende Versuch einer Rekonstruktion der Geschichte des Gesamtformulars.
Danach wurde die älteste Form der Basilios-Anaphora spätestens im 4. Jh. im weiteren liturgischen Ausstrahlungsbereich Antiochias zunächst mündlich überliefert. Die bald darauf erfolgte Verfestigung der liturgischen Traditionen führte zu einer stufenweisen Niederschrift der theologisch bedeutsameren Abschnitte der Anaphora. B. kann mit guten Gründen wahrscheinlich machen, dass dieser Prozess unter dem Einfluss der Bischöfe der Metropolen stand. In diesem Zusammenhang könnte Basilios der Große durch das Festhalten der ihm vorliegenden liturgischen Traditionen den »basilianischen Kern« der ägyptischen Basilios- Anaphora gestaltet haben. Als dann die syrischen Diplophysiten das kirchliche Leben der koptischen Kirche reorganisierten, gelangte die Basilios-Anaphora als antichalkedonensischer Import ins Nilland, wo sie alsbald zum Normalformular des koptischen Abendmahlsgottesdienstes avancierte.
Zum Abschluss dieser wichtigen Studie stellt B. die rege Gemeindebeteiligung als einen charakteristischen Zug der ägyptischen Basilios-Anaphora heraus und betont die Relevanz dieses noch heute liturgische Gestaltungsfreiheit gewährenden Formulars für die gegenwärtige ökumenische Diskussion.