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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

94–96

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Liebold, Heike

Titel/Untertitel:

Religions- und Ethiklehrkräfte in Ostdeutschland. Eine empirische Studie zum beruflichen Selbstverständnis.

Verlag:

Münster: LIT 2004. 285 S. gr.8° = Schriften aus dem Comenius-Institut, 9. Kart. € 19,90. ISBN 3-8258- 7123-1.

Rezensent:

Michael Domsgen

Die Leipziger Dissertation von H. Liebold widmet sich zwei Themenfeldern, die in der Religionspädagogik bisher wenig bzw. noch gar nicht bearbeitet wurden: Sie untersucht Berufsbiographien ostdeutscher Religionslehrkräfte und bezieht gleichzeitig auch die Ethiklehrerinnen und -lehrer mit ein. Dazu hat sie 48 sächsische Lehrkräfte interviewt (neun staatlich angestellte Religionslehrer und -lehrerinnen, elf Pfarrer und Pfarrerinnen, neun sonstige kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und 19 Ethiklehrer und -lehrerinnen), die überwiegend an Mittelschulen und Gymnasien unterrichten. Der Grundschulbereich ist nicht Gegenstand der Untersuchung, da zum Zeitpunkt der Datenerhebung die Fächer Religion und Ethik dort gerade erst stufenweise eingeführt wurden.
Mit ihrer Untersuchung will L. einerseits »dem Mangel an empirischen Daten über den Religions- und Ethikunterricht in Ostdeutschland« (260) abhelfen und andererseits »mittels empirischer Forschung Bausteine zu einer integrativen Theorie der Religions- bzw. Ethiklehrkraft« (265) gewinnen.
Dazu legt sie eine »vergleichende Untersuchung zum Religions- und Ethikunterricht aus der Sicht der Unterrichtenden im Freistaat Sachsen und zu deren beruflichem Selbstverständnis bzw. berufsbiografischen Orientierungsmustern« (11) vor.
Im »Theoretischen Teil« (13–43) erläutert sie die Prämissen ihres Arbeitens, indem sie zuerst auf geschichtliche Bezugspunkte verweist, danach einen Forschungsüberblick liefert, um schließlich ihren eigenen Ansatz darzulegen. Der »Empirische Teil« (44–272) beginnt mit methodologischen Ausführungen zu Datenerhebung, Datenaufbereitung und Auswertungsverfahren.
Darauf folgen zwei Kapitel, in denen die Untersuchungsergebnisse dargeboten werden. Das Abschlusskapitel vereint eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zum Selbstverständnis und zur berufsbiographischen Orientierung bei ostdeutschen Religions- und Ethiklehrkräften, die Nennung von Bausteinen zu einer Theorie der Religions- bzw. Ethiklehrkraft sowie Hinweise für die Aus-, Weiter- und Fortbildung, zu schulpolitischen Weichenstellungen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen sowie zu weiterhin notwendigen Forschungen.
Insgesamt gesehen bietet L. eine sehr sorgfältige und detaillierte Auswertung der von ihr geführten Interviews. Daraus gewinnt sie einige interessante Ergebnisse, die im Rahmen einer repräsentativen quantitativen Studie zukünftig genauer untersucht werden sollten. Exemplarisch seien daraus drei Punkte benannt.
1. L. erhebt aus den ihr vorliegenden Äußerungen einen »Trend zu einer zurückhaltenden Didaktik« (272). Im Vergleich mit anderen neueren Religionslehrerstudien zeige sich, dass die bei »den sächsischen Lehrkräften gefundenen Zielpräferenzen vergleichsweise vorsichtig und allgemein formuliert« (88) sind.
Vor allem im Hinblick auf die Umsetzung von Zielen auf praktischer Ebene »wie etwa die Ermutigung der Heranwachsenden, hinsichtlich gesellschaftlicher Probleme auf der Grundlage des im Religions- bzw. Ethikunterricht Gelernten selbst initiativ zu werden« (262), fällt eine große Zurückhaltung von Unterrichtenden beider Fächer auf. Dabei interpretiert L. differenziert: Einerseits könnte darin »eine vielleicht spezifisch ostdeutsche Didaktik zum Ausdruck« (89) kommen; andererseits wäre aber auch möglich, dass »die befragten Lehrkräfte aufgrund der mangelhaften didaktischen Ausbildung in der Zeit der DDR nicht über zureichende didaktische Kenntnisse verfügen« (90).
2. Interessant sind auch die Befunde zu Einstellungen zur Kirche.
Auffällig ist dabei, dass sich die staatlich angestellten Lehrkräfte »in hohem Maße« (170) mit der evangelischen Kirche verbunden fühlen. Kirchliche Lehrkräfte »differenzieren in Erfahrungen mit Kirche im Sinne von Kirchenleitung bzw.
Landeskirche und Kirche im Sinne von örtlicher Kirchgemeinde.
Dabei deutet eine Reihe von Lehrkräften an, ihr Verhältnis zur Kirchenleitung sei derzeit eher gespannt« (177). Unter den Ethiklehrkräften betonten ein Drittel der Befragten, dass sie sich selbst nicht als religiös bzw. ausdrücklich als Atheisten verstünden (zwei von 19 sind evangelisch). »Interessant ist dabei, dass einige die Erzählung von ihrem Kirchenaustritt kombinieren mit der Andeutung, in religiöser Hinsicht auf der Suche zu sein.
Neben wenigen polemischen Äußerungen bestimmt eine kritische Würdigung ihrer Leistungen und Aufgaben das Kirchenbild der Ethiklehrkräfte.« (189) 3. Ebenso sollten die Befunde zur Kooperation zwischen dem Religions- und Ethikunterricht sehr genau zur Kenntnis genommen werden. Beinahe die Hälfte der Befragten gab an, über die Inhalte, Lehrkräfte und konkreten Vollzüge des anderen Faches keine oder nur sehr beschränkte Kenntnisse zu besitzen. Dabei stehen der Kooperation zwischen den Fächern viele Hemmnisse im Weg. Hier sind zwischenmenschliche Probleme genauso zu nennen wie äußere Bedingungen (vor allem die mangelnde Integration kirchlicher Lehrkräfte im Kollegium).
L. hat mit ihrer Untersuchung ein wichtiges Aufgabenfeld näher untersucht. Dabei überzeugen die wissenschaftstheoretische Ausrichtung und die angewandte Methodik. Nicht immer leicht gemacht wird einem die Lektüre durch das wenig strukturierte Druckbild sowie die ausführlichen, teilweise redundanten einleitenden und zusammenfassenden Erläuterungen in den einzelnen Abschnitten.
Aber in der Summe bietet dieses Buch viele anregende und klärende Impulse, die in der religionspädagogischen Forschung unbedingt Beachtung finden sollten.