Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

89–91

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Groß, Engelbert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Erziehungswissenschaft, Religion und Religionspädagogik. Mit Beiträgen v. D. Benner, H. Peukert, J. Oelkers u. V. Ladenthin.

Verlag:

Münster: LIT 2004. VI, 162 S. m. Abb. gr.8° = Forum Theologie und Pädagogik, 7. Kart. € 14,90. ISBN 3-8258-7170-3.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Für die letzten 30 oder 40 Jahre gilt, was der Herausgeber des Bandes konstatiert: »Die meisten erziehungswissenschaftlichen Positionen haben die hier zitierte Prämisse [dass Religion zum Menschsein gehört; F. S] freilich erst gar nicht zum Inhalt« (3).
Deshalb sollen hier Erziehungswissenschaftler eingeladen werden, ihren »Denkansatz im Hinblick auf Religion, Theologie und Religionspädagogik zu bestimmen« (5). Dafür konnten vier Erziehungswissenschaftler gewonnen werden, die zu den noch immer wenigen gehören, für die Religion eine bleibende Herausforderung darstellt: Dietrich Benner, Helmut Peukert, Jürgen Oelkers und Volker Ladenthin.
Benner (9–50) stützt sich auf seine bekannte Bildungstheorie, wie er sie vor allem in seiner Allgemeinen Pädagogik entwickelt hat, und formuliert Anfragen zum »Verhältnis von Erziehung und Religion sowie Pädagogik und Theologie« (24). Dazu gehört etwa die These, »dass nur einem bildsamen Wesen ein Gott sich offenbaren kann« (25), wobei bildungstheoretische und schöpfungstheologische Perspektiven miteinander ins Gespräch gebracht werden sollen. Weiter wird der Religionspädagogik die These zugespielt, dass es »darauf ankommt, Technologien zu entwickeln, welche die Lernenden als bildsame Wesen ansprechen « – Benner spricht von »negativen Technologien« und knüpft daran die Frage nach Problemstellungen, »die dem pädagogischen und didaktischen Begriff der Negativität der Erfahrung religiöse und theologische Negativitäten zur Seite stellen« (30 f.). Grundlegend bei alldem ist ein Verständnis des Verhältnisses zwischen Religion und Bildung, das keine wechselseitige Vor- oder Unterordnung zulässt. Dies zeigt sich auch im Blick auf die Unterscheidung zwischen dem Religiösen und dem Ethischen, bei der sich Benner auf Schleiermachers Diktum stützt: »alles mit Religion tun, nicht aus Religion« (41). In anderer Weise kommt die genannte Verhältnisbestimmung beim schulischen Religionsunterricht zur Geltung: Um dem Pluralitätsgebot, dem Indoktrinierungsverbot und dem Kontroversitätsgebot »auch in der religiösen Bildung Geltung zu verschaffen, sind die Glaubenslehren der Religionen im öffentlichen Unterricht nicht dogmatisch, sondern so zu vermitteln, dass differente und kontroverse Auslegungen, unterdrückte Deutungen und machtförmige Dogmatisierungen erkennbar und reflektiert werden« (44).
Benner tritt für eine Form der religiösen Bildung ein, die ebenso dem Proprium von Religion gerecht werden soll wie den Ansprüchen von Bildungstheorie. Dies schließe ein missionierendes Vorgehen aus. Allerdings hält Benner schon zu Beginn fest, dass er in einer szientistischen Überbietung von Theologie durch Religionswissenschaft (oder von Pädagogik durch Erziehungswissenschaft) keine Lösung sehen kann, weil »die Wissenschaften von der Erziehung und von der Religion auf eine Reflexion, Aufklärung und Weiterentwicklung von Praktiken zurückbezogen sind, die … niemals vollständig verwissenschaftlicht und durch sozialwissenschaftliche Technologien rationalisiert werden können« (14).
Der Beitrag Benners enthält zahlreiche Impulse. Er belegt, wie fruchtbar eine Intensivierung des Gesprächs zwischen Theologie, Religionspädagogik und Erziehungswissenschaft sein kann. Als Rückfrage wäre – trotz der m. E. großen Zustimmungsfähigkeit aus religionspädagogischer Sicht – aufzunehmen, ob er sich in seinem Religionsverständnis nicht allzu sehr auf die Ausdifferenzierungsthese stützt, derzufolge Religion neben anderen Formen der menschlichen Praxis steht. Dafür beruft er sich zu Recht auf den jungen Schleiermacher, nimmt aber zu wenig wahr, dass sich der späte Schleiermacher von dieser These gelöst und nicht zuletzt für Erziehung und Bildung andere Aspekte zum Tragen gebracht hat – etwa das fundierende Verhältnis von Religion im Blick auf die ethische Erziehung.
Der Beitrag Peukerts (51–91) ist ein Wiederabdruck (Erstdruck 2002), der insofern im vorliegenden Rahmen sinnvoll ist, als hier das Verhältnis von Religion und Pädagogik weit stärker als bei Benner unter dem Aspekt von Zukunftsherausforderungen reflektiert wird. Der Beitrag enthält in konzentrierter Form die ebenfalls bekannten Thesen dieses Autors, der Bildung unter dem Aspekt einer »Ethik intersubjektiver Kreativität im Horizont universaler Solidarität« (72) versteht. Für ihn stellt sich die Frage, »welche Antworten … die religiösen Traditionen angesichts der praktischen Antinomien und Aporien des Versuchs, solidarisch zu leben«, geben können (76). Und weil er die religiösen Traditionen besonders des Judentums und des Christentums als unverzichtbare Quelle für eine solche Ethik versteht, sieht er Religion als ebenso unverzichtbar für die Bildung an (81). Da sich die Religionen in der Gegenwart zugleich mit einem »umfassenden Unsinnigkeitsverdacht« auseinander setzen müssen, plädiert Peukert für die Ausbildung »religiöser Urteilskraft « (82 f.). Diese müsse sich heute vor allem im Blick auf den interreligiösen Dialog bewähren und eine »menschheitlich ›erweiterte‹ Perspektive« einschließen (86).
Eine wiederum veränderte Perspektive bietet Oelkers (93– 124), der enorm kenntnis- und materialreich die bleibende Bedeutung von Religion in der Pädagogik zu belegen versucht, indem er die seit der Mitte des 19. Jh.s nicht zum Zuge gekommenen Versuche, Pädagogik auf eine empirische, tendenziell naturwissenschaftliche Basis zu stellen, diskutiert. Statt einer solchen empirischen Wende sei es in der Pädagogik zur immer stärkeren Übernahme einer religiösen, aber von der traditionellen theologischen Dogmatik abgelösten Sprache gekommen. Daraus folge: »Es gelingt nicht, eine empirische Erziehungstheorie mit eigener Sprache zu entwickeln … Die Erziehungsreflexion blieb gebunden an existentielle Erfahrungen, auf die nur eine letztlich religiöse Sprache reagieren kann« (119 f.).
Schließlich diskutiert Ladenthin (125–152) das Verhältnis von Pädagogik und Religion am Beispiel konfessioneller Schulen.
S. E. ist davon auszugehen, »dass Religion nicht eine Wissenschaft wie die Biologie, die Medizin oder Pädagogik fundieren darf«, dass aber zugleich »der Glaube Konsequenzen für alles Handeln, also auch das biologische, medizinische oder pädagogische Handeln hat« (127). Bei konfessionellen Schulen ist, wie der Autor überzeugend nachweist, die Bildungsbedeutung von Religion in vielen Hinsichten besonders deutlich zu erkennen (Menschenbild, Umgang mit Tradition, Transzendenz, Werte usw.), ohne dass die hier zu gewinnenden Einsichten auf solche Schulen begrenzt wären.
Der Band bietet für den Dialog zwischen Pädagogik und Religion wichtige weiterführende Impulse. Damit ergänzt er die in den letzten Jahren zu diesem Thema vorgelegten, stärker historisch oder anthropologisch ausgerichteten Bände vor allem in bildungstheoretischer Hinsicht. Es bleibt zu wünschen, dass die Beiträge nicht nur in Religionspädagogik und Theologie, sondern auch in der Erziehungswissenschaft Beachtung finden.