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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

86–89

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schärtl, Thomas

Titel/Untertitel:

Theo-Grammatik. Zur Logik der Rede vom trinitarischen Gott.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2003. XII, 626 S. gr.8° = ratio fidei, 18. Kart. € 49,90. ISBN 3-7917-1838-X.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Eine dem reformatorischen solo verbo verpflichtete postmetaphysische evangelische Theologie hat schon seit längerem den grundsätzlichen Wechsel der analytischen Philosophie von der klassischen Metaphysik ins Paradigma der Sprache mit besonderem Interesse rezipiert. Nun lässt sich in den letzten Jahren auch in der römisch-katholischen Theologie eine neue und intensive Rezeption sprachphilosophischer Diskussionen, insbesondere der Wittgensteinschen Philosophie, beobachten. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür ist die umfangreiche Untersuchung von Thomas Schärtl, die als Dissertation unter der Betreuung von Peter Hünermann an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen entstanden ist. Wie andere theologische Arbeiten zuvor, in denen die sprachanalytische Philosophie rezipiert wurde, ist auch Sch.s Untersuchung eine »experimentelle wissenschaftliche Studie« (IX), die sich durch ihr hohes Niveau des theologischen Denkens auszeichnet. Entsprechend wird ihren Lesern einiges an intellektueller Anstrengung abverlangt.
Sch. versteht seine Studie als eine lange Antwort auf die alte Frage, wie wir sinnvoll von einem trinitarischen Gott sprechen können. Dazu werden vor allem die Einsichten der Sprachphilosophie des 20. Jh.s fruchtbar gemacht und in ein konstruktives Verhältnis zur theologischen Tradition gesetzt. Es zeichnet Sch.s Studie aus, dass in ihr nicht – wie häufig in der analytischen Religionsphilosophie – von der Trinitätslehre abgesehen wird, sondern vorausgesetzt wird, dass christliche Rede von Gott von vornherein Rede vom dreieinigen Gott ist.
Das Buch besteht aus fünf Teilen. In Teil 1 werden »Theologisch- methodische Leitlinien« entfaltet. Von allgemeinen Überlegungen zum Verhältnis von »Gott und Sprache« ausgehend wird das Konzept einer transzendental-dialogischen Hermeneutik entfaltet, mit dem die Voraussetzungen des Sprechens vom trinitarischen Gott präzisiert werden. Ein Überblick über die bisherige theologische Rezeption analytischer Sprachphilosophie macht deutlich, inwiefern die sprachanalytische Philosophie für die Rekonstruktion der Möglichkeit der Rede von Gott von höchster Bedeutung ist. Insbesondere wird durch sie ein pragmatisch orientierter Sinnbegriff ermöglicht, mit dem »sinnvolle « und »sinnlose« bzw. »unsinnige« Rede von Gott unterschieden werden können. Entscheidend für Sch.s Ansatz ist, dass der Unterschied zwischen rationaler Theologie einerseits und sich auf Offenbarung berufender Theologie andererseits nicht nivelliert wird. Vielmehr geht Sch. von einer »Konvenienz« zwischen der »Rede von Gott, wie er sozusagen vor und außerhalb von Offenbarung gedacht wird, und der Rede von Gott, wie er als trinitarisch im Kontext christlicher Glaubenssprache verkündet und bedacht wird« (52), aus. Dazu zeigt er die »Querverstrebungen « zwischen den Traktaten de deo uno und de deo trino »vor dem Hintergrund einer sprachlogischen Perspektive« auf.
»Wer im Kontext der christlichen Gotteslehre nach der Logik der Rede von Gott fragt, der muß im selben Atemzug auch nach der Logik der Rede vom trinitarischen Gott fragen« (62). Daraus folgt dann die starke »Kernthese« von Sch.s Studie: »Von Gott kann nur gesprochen werden – er kann als Gegenstand in den Rahmen unserer menschlichen Sprache und unseres menschlichen Kommunizierens nur dann Eingang finden, wenn wir ihn als trinitarischen Gott ansprechen. Die Trinitätslehre ist der einzige Schlüssel, um die Aporien, in die unser menschliches Von- Gott-sprechen-Wollen immer wieder zu geraten scheint, zu überwinden« (62). Ein eigentliches, treffendes und normatives Reden von Gott ist nach Sch. nicht möglich, wenn Gott nicht trinitarisch gedacht wird (vgl. 570 u. ö.). Eine Trinitätstheologie ist zudem der einzige Weg, die Wechselverweisung von Gottesstandpunkt und menschlichem Standpunkt in der Rede von Gott theoretisch einzulösen: Die Reflexion auf das Christusgeschehen schreibt die Relevanz und Unaustauschbarkeit des menschlichen Sprecherstandpunktes in die Frage nach den Bedingungen und den Formen der Rede von Gott bleibend ein.
In den für die Studie zentralen umfangreichen Teilen 2 bis 4 wird die »Logik der Rede von Gott« auf drei Ebenen rekonstruiert.
In Teil 2 geht es um »Reflexionen auf der Ebene der Sprache «; in Teil 3 um die »Reflexion auf der Ebene der Sprecherwirklichkeit « und in Teil 4 um Reflexionen auf der Ebene der Regulierung der Rede vom dreieinigen Gott durch deren Grammatik.
Im zweiten Teil markiert der Untertitel die Aufgabe: »Die Diastase von eigentlicher und uneigentlicher Prädikation und ihre Aufhebung in einer trinitarischen Semiose«. Vor allem anhand der semiotischen Theorie von Charles S. Peirce entwickelt Sch.den Gedanken einer trinitarischen Semiose, mit dem er die Rede von Gott unter dem »Begriff des Selbst-zum-Zeichen-Werdens Gottes« (565) zu denken versucht. Das trinitarische Sein wird als zeichenhaftes Sein rekonstruiert, dem es eigen ist, sich Zeichen und Interpretationen als ihm eigene anzuverwandeln.
Im dritten Teil formuliert wiederum der Untertitel die Aufgabe: »Negation als (An)weisung – oder: Die Operationalisierung negativer Theologie in der trinitarischen Selbstvermitteltheit Gottes«. Die Auseinandersetzung mit der negativen Theologie ist der Motor von Sch.s Studie. Einerseits versucht er in der Perspektive des von Gott redenden Menschen zum Schutz der Rede von Gott die radikale Andersheit Gottes zu würdigen; andererseits entfaltet er mittels der trinitarischen Gotteslehre und der Christologie ein vermitteltes Verständnis der Gott-Mensch- Begegnung und der göttlich-menschlichen Kommunikation.
Mit dem Begriff der Selbstvermittlung Gottes wird die Negation als »bestimmte Negation« gedacht, die konsequent in die via eminentiae führt und positive Aussagen von Gott erlaubt, in denen von der aktualen Welt her analogisch der eschatologische Raum der Wirklichkeit Gottes antizipiert wird.
Im vierten Teil wird die Logik der Rede von Gott unter dem Gesichtspunkt der »Vermittlung von Sprache und Bezeichnerstandpunkten als Grammatik« erörtert. In dieser »letzten Metamorphose « der traditionellen Rede von Gott werden die Ebenen der Sprache und der Sprecherwirklichkeit unter dem Begriff der Grammatik vermittelt. Die Rede vom trinitarischen Gott wird dabei diskurstheoretisch grundiert und ihre regulativen Momente werden aufgezeigt. Soll gelingende Rede von Gott, die »auf eine schon angebrochene, aber noch ausstehende Wirklichkeit ausgreift«, möglich sein, dann bedarf es dazu eines »regulativen Geschehens, welches das Sprechen und den Ort, an dem dieses Sprechen manifest ist (die Lebensform), reguliert« (568), eben einer Grammatik. Sch. stellt dabei wiederum den Begriff der Selbstvermittlung Gottes als die zentrale grammatische Regel zur Generierung der christlichen Rede von Gott heraus, durch die der Raum sinnvoller und wahrheitsfähiger Rede von Gott überhaupt erst abgesteckt wird.
Der fünfte Teil der Studie bietet eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse, deren Lektüre einen ersten Überblick über das dicke Buch verschaffen mag. Allerdings sind diese »Ergebnisse« ohne die Lektüre der vorangegangenen Teile nicht wirklich verstehbar.
Denn Sch. präsentiert einen einzigen weit angelegten Gedankengang, den er im Dialog mit vielen theologischen und philosophischen Klassikern und wenigen theologischen und philosophischen Zeitgenossen durchschreitet. Wer diesen inspirierenden intellektuellen Weg nicht mitgegangen ist, dem mögen die »Ergebnisse« dann auch etwas unvermittelt erscheinen.
Für die in den von Sch. souverän präsentierten klassischen und modernen Textwelten beheimateten Leser ist seine Studie ein höchst beachtenswerter Beitrag zum Verständnis der Bedingungen sinnvoller Rede von Gott. Die Nähe zu Untersuchungen in der evangelischen Theologie, die der Einsicht folgen, dass Gott auch in die Sprache und zur Sprache kam, als er in die Welt kam, ist bei dieser anspruchsvollen katholischen Studie erstaunlich.
Nach Sch. kann die traditionellerweise von den Einsichten der negativen Theologie bestimmte Problematik der Rede von Gott auch durch die klassische Analogie-Lehre nicht gelöst werden.
Die grundlegende Situation der Rede von Gott verändere sich jedoch, »wenn der inkarnationstheologische Grundgedanke, der besagt, daß Gott sich in seinem logos ausspricht und daß dieser logos sich in die menschliche Wirklichkeit hineinbegibt, semantisch gedeutet wird: als Selbstvermittlung Gottes in eine Zeichenhaftigkeit, die als Entzifferbarkeit sub specie humanitatis gedeutet werden kann. Der Begriff der Selbstvermittlung Gottes ruft trinitätstheologische Konnotationen wach: Gott, der sich in einer Selbstvermittlung selbst kundgibt im Sohn und der im Geist als der sich vermittelnde Kundgebende präsent bleibt.« Dieser Gedanke wird von Sch. fundamentalsemiotisch transformiert: »Gott setzt ›sich‹ (seine differenziert und selbstvermittelt zu denkende Subjekthaftigkeit) im logos als Zeichen, im Geist ist dieses Zeichen entzifferbar und bleibt bedeutungstragend in der Zeit. Vor diesem Hintergrund läßt sich der durch scheinbar metaphorische Rede umgrenzte Raum der Rede von Gott als Ort eigentlicher Rede und treffender Prädikation deuten« (569 f.).
Dieser gemeinsame inkarnationstheologische Ausgangspunkt stimmt optimistisch, dass der von Sch. u. a. aufgenommene interkonfessionelle Diskurs über die Bedingungen sinnvoller Rede vom dreieinigen Gott eine fruchtbare Fortsetzung findet. So wäre z. B. zu diskutieren, ob die von Sch. herangezogene Auswahl an von ihm so genannten »klassischen« theologischen Texten, mittels derer er die Rede von Gott topologisch konkretisieren und auf den Begriff bringen will, nicht eine typisch römisch- katholische Zeichnung zu erkennen gibt. Angesichts des inkarnationstheologischen Ansatzes von Sch. stellt sich zudem die Frage, warum mit den »klassischen« theologischen Texten neben den biblischen Texten eine weitere Textmenge eingeführt wird, die für die Begriffsbildung in der Rede von Gott prägend sein soll.
Zu diskutieren wäre z. B. auch, ob Sch.s Argumentation tatsächlich – wie von ihm in Absetzung zur evangelischen Rezeption sprachanalytischer Philosophie beabsichtigt – »die Semantik der christlichen Gottesrede universalistisch [zu] öffnen« (30) vermag oder ob die Begründung der starken These, dass sinnvolle Rede von Gott nur Rede vom dreieinigen Gott sein könne, sich letztlich nur aus Einsichten des christlichen Glaubens speist, auch wenn diese rational rekonstruierbar sind.
Sch. hat große Teile der für das Verständnis der christlichen Rede von Gott relevanten theologischen und philosophischen Tradition einer spannenden sprachanalytischen Relecture unterzogen, um zu zeigen, inwiefern die sprachanalytische Reflexion sich in diese Tradition einfügt und sie weiter zu entwickeln vermag.
Das Resultat ist ein Buch, das zwar auch über vielerlei theologische und philosophische Positionen in Geschichte und Gegenwart gründlich informiert, dessen Stärke jedoch vor allem darin besteht, dass es eine starke fundamentaltheologische These mit Argumenten zu begründen sucht und seine Leser auf einen herausfordernden intellektuellen Denkweg mitnimmt.