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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

85 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Miggelbrink, Ralf

Titel/Untertitel:

Einführung in die Lehre von der Kirche.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. 200 S. gr.8° = Theologie. Kart. € 19,90. ISBN 3-534-16321-4.

Rezensent:

Siegfried Wiedenhofer

Diese Einführung in die Lehre von der Kirche beansprucht, in einer katholischen Grundperspektive und zugleich in deutlicher ökumenischer Absicht verfasst zu sein und nicht nur die entsprechenden Basisinformationen zu vermitteln, sondern zum eigenen systematischen Denken anzuleiten (7). Dieses Vorhaben ist in unterschiedlichem Maß gelungen. Die ausgeführten Teile des katholischen Kirchenverständnisses sind zuverlässig und auf hohem argumentativen Niveau präsentiert. Sie führen durchweg geschickt in ekklesiologische Argumentationsweisen ein. Problematisch sind dagegen die strukturelle Anordnung und die damit verbundene Schwerpunktsetzung.
Der Stoff ist in drei Teile eingeteilt. Der erste beschäftigt sich mit der Wesensbestimmung der Kirche (9–76), der zweite mit den wesentlichen Eigenschaften und Vollzügen der Kirche (77– 141), der dritte mit den konkreten Realisationsformen von Kirche (142–186). Dies ist für eine katholische Ekklesiologie zunächst eine durchaus sinnvolle Gliederung. Dass der Wandel der Kirche und des Kirchenverständnisses nicht in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst, sondern in die jeweiligen systematischen Teilfragen einbezogen wird, hat den Vorteil, dass dadurch die dogmatischen Aussagen und Entscheidungen von vornherein in einem geschichtlichen Aggregatzustand erscheinen.
Der Nachteil ist, dass dadurch der geschichtliche Zusammenhang segmentiert und die Unübersichtlichkeit weiter verstärkt wird. Diese wird nämlich im ersten Teil bereits durch eine unglückliche Gliederung erzeugt. Es geht hier um die Wesensbestimmung der Kirche. Dies geschieht in zwei Unterabschnitten: Der erste behandelt das Phänomen Kirche (9–28). Damit ist gemeint: die Kirche als Größe der Geschichte, als Institution und als Kommunikationsgemeinschaft (hier ist auch die Bestimmung der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, als communio einbezogen). Der zweite behandelt die »Wesensbegriffe von Kirche« (28–76). Damit sind neben »funktionalen Kirchenmodellen « (31–35; was immer die Alternative dazu sein mag) Bestimmungen wie Volk Gottes, Leib Christi, signum levatum in nationes, Sakrament, aber auch Kirchenmetaphern gemeint. Hier wäre gerade in einer Einführung eine Komplexitätsreduktion angebracht gewesen. Denn so scheint diese katholisch- dogmatische Wesensbestimmung der Kirche doch einen etwas chaotischen Eindruck zu hinterlassen.
Die vermutlich durchgängigste Wesensbestimmung des abendländischen Kirchenverständnisses, Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, begegnet unter dem Übertitel Kirche als Kommunikationsgemeinschaft und im Abschnitt »Das Phänomen Kirche«. Kirche als Sakrament begegnet unter verschiedenem Titel gleich zweimal, und wie sich das alles zu den anderen Bestimmungen verhält, zu Volk Gottes und Leib Christi – vom Tempel des Heiligen Geistes, d. h. einer pneumatologischen Wesensbestimmung ist gar nicht erst die Rede (ein paar punktuelle Hinweise, z. B. 51.68.74, fangen dies nicht auf ) –, bleibt offen. Wenn eine solche Einführung den Anspruch erhebt, zum eigenen theologischen Reflexionsprozess anzuleiten, dann würde man erwarten, dass der Rekonstruktionsvorgang doch etwas transparenter vorgedacht wird: Von welchen Voraussetzungen, Ausgangspunkten, Grundgegebenheiten des Glaubens, Strukturen christlichen Gottesverständnisses, von welcher Glaubensregel gesteuert kommt man zu welchen theologischen Vorstellungen und Begriffen? Auf dieser strukturellen Ebene entscheidet sich im Übrigen auch der ökumenische Charakter der Darstellung.
Wenn z. B. im zweiten Teil bei der Frage der kirchlichen Grundvollzüge die Martyria vor allem unter dem Gesichtspunkt des kirchlichen Lehramtes erläutert wird und diese Darstellung (125–136) die Hälfte des Umfangs einnimmt, der für alle Wesensvollzüge der Kirche zur Verfügung steht (122–141), dann signalisiert das – ob gewollt oder ungewollt – eine dogmatische Schieflage, die nicht einmal durch korrigierende Sachhinweise aufzufangen versucht wird. Dieser Trend findet seinen Höhepunkt im dritten Teil, der konkrete Realisationsformen von Kirche darzustellen verspricht (142–186), den allergrößten Teil davon jedoch der Ämterstruktur widmet (144–180). Das dürfte ungefähr den Proportionen entsprechen, die für die neuscholastische Ekklesiologie charakteristisch waren.
Sieht man von diesen Disproportionalitäten ab, die – eher ungewollt – in eine falsche Richtung zu weisen drohen, handelt es sich um eine durchweg empfehlenswerte Einführung in die katholische Ekklesiologie auf dem heutigen Stand ökumenischer Entwicklung (dass die orthodoxe Tradition dabei nur eine marginale Rolle spielt, entspricht einer leider immer noch herrschenden Gewohnheit).