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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

83–85

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Denker, Jochen

Titel/Untertitel:

Das Wort wurde messianischer Mensch. Die Theologie Karl Barths und die Theologie des Johannesprologs.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. XVI, 348 S. 8°. Kart. € 39,90. ISBN 3-7887-1925-7.

Rezensent:

Wolf Krötke

Die Druckfassung dieser Dissertation an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal zeigt in ihrem ersten Teil überzeugend, dass Joh 1,1–18 ein Schlüsseltext für Barths theologisches Denken gewesen ist (vgl. 1–168). Die Aufmerksamkeit des Vf.s aber gilt der Frage, inwiefern Barth bei der Auslegung dieses Textes Gottes »Kommen … zu seinem Volk Israel« ins Spiel bringt (1). Er pointiert deshalb Barths Betonung, dass das Wort nach Joh 1,14 »jüdisches Fleisch« wurde (vgl. KD IV/1, 181), im Sinne einer »Jude- oder Israelwerdung des Wortes Gottes in Jesus« (2). Zu einer solchen Formulierung sieht er sich durch das »horizontale«, erwählungsgeschichtliche Denken Barths berechtigt. Dieses Denken sei als »Kriterium« des »vertikalen«, »menschheitsgeschichtlichen « Denkens, wie es die altkirchliche und auch noch Barths Christologie kennzeichne, zur Anwendung zu bringen (vgl. 167 u. ö.). Denn der Vf. verfolgt den hermeneutischen Grundsatz, das Neue Testament als »judenchristliches Dokument « allein von seiner Teilnahme »an den jüdischen Interpretationen der Hebräischen Bibel« her zu verstehen (vgl. 61 f.).
Es sind vor allem drei christologische Zuspitzungen, welche Barths Auslegung des Johannesprologs von daher gegeben werden: 1. Das Wort, das im Anfang bei Gott war (Joh 1,1), ist als der »Dabar JHWHs« zu verstehen, durch den »JHWH mit seinem Volk Israel in Verbindung tritt« und die Welt schafft (45).
Dieses Wort ist identisch mit seinem »NAMEN«, durch den der Gott Israels seinem Volk »einwohnt« und der im Juden Jesus »Fleisch« wird (vgl. 49). 2. Das Einwohnen »JHWHs« ist kein abgeschlossener Vorgang (vgl. 90–92). Der Vf. bringt das mit dem Begriff der »antizipatorischen Eschatologie« zum Ausdruck (vgl. 71 f.). »Präsentische Eschatologie« gilt ihm dagegen als »eine entscheidende Wurzel des Antijudaismus, wie sie Wurzel aller Exklusivitätsansprüche des Christentums ist« (72). Nur wenn Jesus Christus der Kommende bleibt, hat er an der Geschichte der Einwohnungen des Gottes Israels teil (vgl. 162– 166). 3. Von der »Gottheit Christi« sollte deshalb besser nicht die Rede sein (vgl. 52). Stattdessen spricht der Vf. (in Vermeidung des Begriffs »Messias«) vom »messianischen Menschen« oder vom »messianischen Menschensohn« (vgl. 141 f.). Derartige, aber auch andere christologische Hoheitsaussagen treten für ihn »in die Stelle des NAMENS JHWHs« ein (vgl. 46–50).
Dem Vf. ist klar, dass er sich mit diesen Zuspitzungen »z. T.
auch gegen Barth« wendet (63). Das wird besonders beim Verständnis der »Zukunft des Gekommenen« sichtbar. Barth hatte dabei die Offenbarung eines vollendeten Geschehens im Auge (vgl. KD I/2, 180; vgl. auch KD IV/2, 309). Für den Vf. aber gilt die Vollendung der Inkarnation mit fragwürdiger Berufung auf KD IV/1, 9 geradezu als eine Behauptung der Sünde.
Darum kann er wohl Barths Verständnis der alttestamentlichen Verheißung zustimmend zitieren, nämlich dass sie »dauernd in Erfüllung geht, um dauernd neue Verheißung zu werden« (71).
Die Fortsetzung dieses Satzes aber wird unterschlagen und die lautet: »… bis die Erfüllung endlich in ihrer Eigentlichkeit dasteht« (KD II/2, 62).
Klärungsbedürftig bleibt auch der Begriff des »messianischen Menschen«, der bei Barth nicht vorkommt. Er steht aber im Zentrum der »bundes- und israeltheologischen« Auslegung des Johannesprologs im zweiten Teil der Arbeit (vgl. 169–312; von 267 ff. an stimmen die Seitenzahlen nicht mit dem Inhaltsverzeichnis überein!). Dieser Prolog wird als eine dreistrophige Erzählung verstanden. Sie handelt von der Schöpfung »durch den Dabar JHWH«, von der Bundesgeschichte und vom »Einwohnen « bzw. »Zelten« dieses »Dabar« im »messianischen Menschensohn Jesus inmitten seines Volkes Israel« (175; vgl. 314 f.).
Alle exegetischen Fragen werden von daher bewusst »dogmatisch « vorentschieden (vgl. 171–176). Im Text selbst hat diese Vorentscheidung zweifellos Anhaltspunkte: Der logos »im Anfang « erinnert an den »Dabar JHWH« von Gen 1,3. Der Täufer und Moses schaffen einen Bezug auf die Bundesgeschichte »JHWHs« mit Israel. Die Parallelität der Vorstellung vom »Zelten « des logos im Fleisch zu Schechina-Vorstellungen ist längst aufgefallen (vgl. 268–272). Christologisch entscheidend aber ist, was daraus für das Verständnis des Fleisch gewordenen logos bei Johannes folgt. Der Vf. versteht den »Dabar JHWH« in modalistischer Weise als eine »Dabeiseinsweise des Gottes Israels« (192) in »steter Anfänglichkeit« (187). Die sarx Jesu aber wird mit dem »messianischen Menschensohn« identifiziert, in dem das »Reich Gottes« Gegenwart sei. Denn in ihm habe der Bund »seine gehorsame Entsprechung auf menschlicher Seite« gefunden (309 f.): Hier ist ein »Repräsentant«, »Künder« und »Exeget« »JHWHs« und ein »Stellvertreter« der Seinen vor ihm auf dem Plan (313).
Ob das alles durch den Text und den Kontext des Johannesevangeliums getragen ist, wird dringlich zu fragen sein. Die »Übersetzung« des Vf.s (313 f.) kommt jedenfalls nicht ohne eine Fülle von Eintragungen aus; allem voran durch die Eintragung der Bundesterminologie, die das Johannesevangelium nicht kennt. Nicht weniger schwerwiegend ist die Verwendung des »Menschensohn«-Titels und damit verbunden der »Reich- Gottes«-Terminologie (vgl. 262–269), die nicht an der johanneischen Sprache ausgewiesen werden. Die Exklusivaussagen über den »Einzig(!)geborenen« (Joh 1,14.18) und seine »Präexistenz « (Joh 1,18; vgl. 311) sind auf diese Weise schwer erklärbar.
Auch das Bekenntnis zu Jesus Christus: »mein Herr und mein Gott« (Joh 20,28) dürfte Schwierigkeiten bereiten. Statt dessen schließt die Arbeit mit dem Satz: »Der Prolog bekennt Jesus Christus als die Ankunft des kommenden messianischen Menschensohnes, die Erfüllung des Bundes und darin die Gegenwart des Reiches Gottes«. Von daher seien auch die »präsentischeschatologischen Aussagen des JohEv zu verstehen« (316). Die Frage, warum und wie es denn zu diesen christologischen Aussagen kommt, wird nicht gestellt. Das wichtige Anliegen, die Beziehung des Christusbekenntnisses zum alttestamentlichen Bundeszeugnis zu befestigen, wird durch einen solchen Umgang mit den Texten wahrscheinlich nicht gerade befördert. Was aber die christologisch-theologische Intention des Vf.s betrifft, so sollte er sich deutlicher erklären als in der zitierten Summa.
Denn die Konsequenzen seines »Versuchs« (169) für das Christusbekenntnis sind schwerwiegend. Er profiliert den »messianischen Menschen« kraft der Gegenwart, ja der »Fülle« der Einwohnung des Gottes Israels in ihm als vollkommenen und dennoch erst in Zukunft zum Ziel kommenden Täter der Tora des Bundes und Künder dieses Gottes. Damit wäre streng genommen nur ein Bekenntnis mit ihm zum Gott Israels und keines zu ihm als Person, mit der sich Gott selbst definitiv verbunden hat, möglich. Da der Vf. außer seinen Abgrenzungen gegen die kirchliche Christologie diese Konsequenz aber selbst nicht ausdrücklich zieht, soll sie ihm hier auch nicht unterstellt, aber doch als Frage, an der die Identität des christlichen Glaubens hängt, wach gehalten werden.