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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

62–64

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

McKim, Donald K. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Cambridge Companion to Luther.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2003. XVIII, 320 S. gr.8°. Kart. £ 16,99. ISBN 0-521-01673-8.

Rezensent:

Matthias Gockel

In der Reihe der Cambridge Companions sind bisher ca. 60 Bände zu philosophischen und ca. 20 Bände zu religiösen Autoren
oder Themen erschienen. Die Absicht des Verlags ist es, sowohl einen vertieften Überblick für Neulinge als auch eine
Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes für Spezialisten zu bieten. Das Ziel der philosophischen Companions besteht ferner darin, Berührungsängste vor schwierigen oder als schwierig empfundenen Texten und Autoren abzubauen.
1. Im Vorwort zum Band über Abaelard bemerken die Herausgeber, dass die bisherige Forschung zu stark an Details orientiert
gewesen ist, ohne Querverbindungen innerhalb seiner Schriften zu beachten. Sie plädieren für einen systematisch-analytischen
Zugang, in Abgrenzung zu einem Zugang, der von historischen Fragestellungen ausgeht. Die zehn Kapitel des Bandes lassen sich in fünf Teile untergliedern: Milieu, Kontext und literarische Werke; Philosophie (Metaphysik; Semantik; Logik; Erkenntnistheorie); Theologie (Trinität; Sünde, Gnade und Versöhnung); Ethik; Einfluss.
Bei thematischen Überschneidungen sticht die Konsistenz der Autoren hervor, z. B. in der Diskussion des Universalienproblems.
Abaelard vertrete eine »irrealistische« (66) und beinahe atomistisch-materialistische Position: »We can talk as though there are events or states of affairs, but they are nothing apart from the concrete individuals that make up Abelard’s world. … In modern terms, Abelard denies the existence of propositions; he refuses to reify what sentences say« (105 f.). Für J. Brower sind Abaelards Texte zur Trinitätslehre ein Beispiel dafür, dass theologische Erwägungen viele mittelalterliche Denker zu wichtigen
philosophischen Beiträgen anregten. Sie sind auch heute noch lesenswert. T. Williams legt dar, dass der Vorwurf des Pelagianismus, der beim zweiten Häresieprozess gegen Abaelard eine Rolle spielte, stets der Näherbestimmung bedarf. Wie Augustin betont auch Abaelard, dass ein Mensch ohne die Gnade das Gute nicht tun kann. Gleichzeitig meint er, dass ein Mensch das Gute durch den Gebrauch seiner Wahlfreiheit wollen kann. Ist diese Position nur pelagianisch vorstellbar?
Die Stärken des Bandes liegen im philosophischen Bereich.
Hermeneutisch-theologische Fragen, insbesondere zur Bibelauslegung, werden nicht erörtert. Auch ein Vergleich von Abaelards
Ethik mit Entwürfen der Hochscholastik wäre instruktiv gewesen.
2. Der Companion zu Luther ist als Einführung konzipiert. In vier Teilen (Leben und Kontext; Werke; Wirkungen; Luther heute) werden 18 Artikel dargeboten. Generell gilt: »Repeated reading of Luther provides delights, disappointments, and deeper
understanding« (59).
H. Junghans befasst sich mit »Luthers Wittenberg«: Bis 1520 gab es dort jährlich über 1000 gesungene und 7500 gelesene Messen, bei 2000 Einwohnern. Luthers Theologie führte innerhalb weniger Jahre zu einer erheblichen Verringerung und Umgestaltung der gottesdienstlichen Praxis. Gleichzeitig blieb Luther ein Kind des Spätmittelalters und stark von dessen Frömmigkeit geprägt, wie M. Wriedt bemerkt, der bei der »reformatorischen Entdeckung« einsetzt und von daher die Ausformung
von Luthers Theologie im Kontext verschiedener theologischer Kontroversen darstellt. Zum Schluss plädiert er dafür, sie in ihrem
eigenen geschichtlichen Kontext zu deuten und stets zu prüfen, »whether it stands up to the test of our modern time« (114).
O. Bayer betont dagegen die Notwendigkeit einer grundsätzlich affirmativen Rezeption der Theologie Luthers auf Grund ihres
modernitätskritischen Potenzials. C. Lindberg erörtert sozialethische Positionen Luthers mit Hilfe kommunitaristischer Begriffe:
Luther rief dazu auf, »to work … for the well-being of the neighbor and the common good« (174). Diese Deutung könnte durch eine Ausleuchtung der Unterschiede zwischen den ständischen Gesellschaften im 16. Jh. und den bürgerlichen Gesellschaften
nach 1800 noch präzisiert werden.
Umstritten bleibt Luthers Gesetzesverständnis, das laut B. Wannenwetsch nicht nur vor dem Hintergrund des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium adäquat gewürdigt werden kann (124). Die finnische These von der »Vergöttlichung« des Menschen im Rechtfertigungsgeschehen wird von R. Jenson positiv aufgenommen (281), während sie für J. Kittelson auf tönernen
Füßen steht (261). Dass es, anders als bei Calvin, kein einzelnes Hauptwerk Luthers gibt, ist bekannt und wird mehrfach vermerkt.
Anzumerken ist leider, dass das schöne Bild auf dem Einband, das Luther als Prediger zeigt, spiegelverkehrt abgedruckt
ist.
3. Auch der Band über postmoderne Theologie ist als Einführung konzipiert. Im ersten Teil werden sieben theologische Bereiche, in denen postmodernes Denken eine Rolle spielt, skizziert: »eine Theologie gemeinsamer Praxis«, postliberale, postmetaphysische, dekonstruktive, rekonstruktive, feministische Theologie und die Bewegung »Radical Orthodoxy«. Dieser Darstellung neuerer Entwicklungen (hauptsächlich) im nordamerikanischen Bereich geht ein Überblick des Herausgebers voraus, der teilweise inkonsistent ist. So wird die moderne Architektur zugleich als funktional und als am Ideal universaler Formen orientiert beschrieben. Lyotards Ablehnung »großer Erzählungen« wird erwähnt, doch kurz darauf lesen wir von einem »Theodrama,das den Menschen innerhalb der Erzählung von Gottes schöpferischem und erlösendem Handeln situiert« (21). Führt dies nicht auch zu einer »großen« (Neu-)Erzählung?
Fruchtbare Ansätze bietet die Prozessphilosophie Whiteheads, an die D. R. Griffin anknüpft. Sie reagiert kritisch auf bestimmte
philosophische Ansätze wie Empirismus und Naturalismus, die ihrerseits eine Abwendung von transzendentalphilosophischen
Traditionen des 19. Jh.s darstellten. So wird die Postmoderne zur Fortführung einer Debatte innerhalb der Moderne.
Als Aufgabengebiet gegenwärtiger politischer Theologie erwähnt Griffin die Kritik der seit 350 Jahren gewachsenen »globalen
politischen Ordnung«, die Militarismus und Imperialismus befördere und genuine Formen der Demokratie untergrabe (108).
Den zweiten Teil des Bandes bilden acht Beiträge, in denen theologische Themen postmodern beleuchtet oder zur Korrektur
postmoderner Modelle benutzt werden. Einige von ihnen können der Diskussion im deutschsprachigen Bereich neue Impulse
geben. Als Beispiel nenne ich den Artikel P. Claytons. Er skizziert eine panentheistische Gotteslehre, die den traditionellen Dualismus von Gott und Welt überwinden will. Eine zentrale Metapher ist die von Gott als »the mind of the world« (210), ohne dass dabei die Endlichkeit der Welt und die Idee der Schöpfung als freier Akt Gottes verneint werden. Erlösung wird dementsprechend als »Verwandlung von Individuen und Gesellschaften, nicht als ontologische Trennung und Wiedervereinigung« gedacht (215).
4. Die Moralphilosophie des 20. Jh.s ist undenkbar ohne das Werk von John Rawls (1921–2002). Seine Vielfalt und Originalität kommt in den Beiträgen des Companion gut zur Geltung.
In der Einführung fasst der Herausgeber die zentralen Aspekte zusammen. Es folgen zwei historische Erörterungen, neun Beiträge zu Einzelproblemen und drei Artikel, in denen jeweils grundsätzliche Anfragen an Rawls aus der Sicht von Utilitarismus,
Kommunitarismus und Feminismus erörtert werden.
In seinem Hauptwerk »A Theory of Justice« entwickelt Rawls eine neue Konzeption des Gesellschaftsvertrags, mit der er die Entwürfe von Locke, Rousseau und Kant überbieten will. Liberalismus wird dabei nicht nur im Sinn persönlich-individueller
Freiheiten, sondern als politischer oder sozialer Liberalismus verstanden.
Der Ausgangspunkt ist die Intuition der Gesellschaft als faires, generationenübergreifendes »System der Kooperation« (335). Die Aufgabe politischer Philosophie bestehe darin, die Fairness näher zu bestimmen, wobei die Festlegung gleicher Rechte eine zentrale Rolle spielt.
In seinen späteren Werken widmet Rawls sich der Aufgabe, die Bedingungen gesellschaftlicher Kooperation genauer zu untersuchen.
Die Grundlage von Gerechtigkeitsprinzipien wird dabei nicht durch vorgängige Regeln festgelegt, sondern durch vorhandene Überzeugungen, die vernünftigerweise nicht abgelehnt werden können, gebildet. Über die Wahrheit verschiedener
Weltanschauungen wird dabei nicht geurteilt. Das Modell der »Gerechtigkeit als Fairness« wird jetzt explizit als neutrale
»politische Konzeption« (33) verstanden.
Der politische Liberalismus von Rawls ist für das Christentum eine Herausforderung. Grundlegend ist die Frage, ob, wie und
warum die evangelischen Kirchen den »Geist der Reziprozität [als] Grundlage einer demokratischen Gesellschaft« (368) praktisch anerkennen sollten. Zu klären ist außerdem die Frage, ob das Grundrecht der Religionsfreiheit eher die Freiheit von der Religion oder die Freiheit zur Religionsausübung betonen soll.
Dass diese Frage nicht nur in den USA virulent ist, zeigt der so genannte Kopftuchstreit.