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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

57 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Padberg, Lutz E. von

Titel/Untertitel:

Die Inszenierung religiöser Konfrontationen. Theorie und Praxis der Missionspredigt im frühen Mittelalter.

Verlag:

Stuttgart: Hiersemann 2003. XII, 528 S. gr.8° = Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 51. Lw. € 184,00. ISBN 3-7772-0324-6.

Rezensent:

Volker Leppin

Der Historiker Lutz von Padberg, der als einer der besten Kenner des frühmittelalterlichen Christentums gelten kann, geht in
diesem Werk an eine Aufgabe, der sich bislang schon allein auf Grund einer äußerst mageren Quellensituation die Forschung
kaum gestellt hat: die Rekonstruktion der Missionspredigt im frühen Mittelalter.
Angesichts der im ersten Kapitel vorgetragenen »Problemskizze« (1–36), die sowohl eine weitgehend auf Feststellung entsprechender Lücken hinauslaufende Forschungsgeschichte als auch eine Vorstellung der schwierigen Quellensituation bietet, ist es beeindruckend, welche Menge an Material P. auf Grund seiner umfassenden Quellenkenntnis doch zusammentragen kann.
Freilich handelt es sich nicht um Überreste tatsächlicher Missionspredigten, sondern um idealtypische Schilderungen oder
normative Vorgaben. Dies wirft ganz nahe liegende Quellenprobleme auf, die P. bei Gelegenheit auch einmal in die Darstellung
einfließen lässt (s. z. B. 299.341), insgesamt aber in seiner Arbeit nicht ausreichend berücksichtigt: Was uns in diesen Quellen
entgegentritt, ist ja nicht mehr als die Missionspredigt, wie bestimmte Autoren sie vorschreibend oder rückschauend haben
wollten. Wer ihnen wie P. unkritisch folgt, kommt gerade nicht an die Praxis der Missionspredigt, sondern an deren oft aus langer
zeitlicher Distanz formuliertes Ideal.
Die Orientierung historischer Thesen an normativen Vorgaben prägt aber nicht nur die Quellen, die P. benutzt, sondern
auch sein eigenes Arbeiten, wenn er nicht nur Röm 10,17 als Motto über seine Arbeit stellt (XI), sondern hieraus auch ein
historisches Argument macht: »Es muss aber gepredigt worden sein, denn die Ausbreitung des Christentums ist eine unbezweifelbare Tatsache, die nicht nur auf politisch motivierte Zwangsmaßnahmen zurückgeführt werden kann« (ebd.). Auch wenn das tatsächliche Vorkommen von Missionspredigten sinnvollerweise kaum zu bestreiten ist: Die in diesem Satz aufgemachte Alternative greift zu kurz, weil sie die Vielfalt möglicher kultureller Interferenzen und missionarischer Strategien unangemessen reduziert; der Rückschluss aus dem Erfolg auf stattgehabte Predigt ist zu schlicht.
Und diese Vorannahmen haben Folgen: Mit der Formulierung »Predigt ohne Worte« subsumiert P. in einem – angesichts der Bedeutung dieser Symbolhandlungen viel zu knappen – Abschnitt (244–315) Zerstörung von Kultstätten, Wunder, Zweikämpfe, Amulette, exemplarische gute Werke und Ähnliches unter den Predigtbegriff, obwohl hier doch wohl der Glaube weit eher aus dem Schauen und Berühren als aus dem Hören kommt. Noch problematischer ist es, dass P. aus seinem im Untertitel sehr allgemein auf das frühe Mittelalter bezogenen Untersuchungszeitraum die iroschottische Mission schlicht hinaus definiert, weil hier »die Glaubensverkündigung gewissermaßen eine Nebenfrucht« des Strebens nach dem eigenen Seelenheil darstellte (29). Nun liegt hier aber eine Mission vor, die jedenfalls nicht erfolgloser als der von P. immer wieder herangezogene Bonifatius war – und in der doch die Predigt keineswegs im Mittelpunkt stand, wie es doch nach P.s Vorannahme zu erwarten wäre, wenn er, siehe oben, den Erfolg des Christentums zum Argument für die Tatsächlichkeit von missionarischer Predigt
macht.
P.s Schilderung missionarischer Tätigkeit beginnt mit dem »Vorfeld des Predigteinsatzes« im zweiten Kapitel (37–104).
Nicht nur hier erinnert die Sprache an moderne Evangelisationen: Auch die Rede von einer »inneren Berufung« (59) entstammt wohl mehr der Vorstellungswelt der Neuzeit als der des frühen Mittelalters, zumal die Authentizität der angeführten Berufungsberichte mehr behauptet als belegt wird (45). Aufschlussreich für das tatsächliche Missionsgeschehen ist die Zusammenstellung der Nachrichten über Absprachen mit kirchlichen und weltlichen Autoritäten (72–86).
Das eigentliche Kernstück des Werkes ist das dritte Kapitel über »Praxis und Inhalte der Missionspredigten« (105–315). Die
Rekonstruktion von sieben »Predigttypen« (144–218) aus dem oft überaus knappen Material ist sicher gewagt. In jedem Falle aber sind die gründlich erhobenen Aussagen über Differenzpunkte zwischen Christentum und paganer Religiosität (188–192) bedeutsam, selbst wenn man sie »nur« auf das Konto der sekundären Berichterstatter schreibt.
Gleichwohl wird man sich fragen müssen, ob die nicht nur bei der »konfrontativen Predigt« sondern durchweg – bis in den Titel
des Buches hinein – vorausgesetzte Gegenüberstellung von »den« Polytheisten und christlichen Predigern wirklich der realen Situation frühmittelalterlicher Mission entspricht, ob nicht die Hinweise auf religiöse Mischformen, die archäologisch nachweisbar sind (301 f.), eine stärkere konstitutive Berücksichtigung für das Verständnis des Gesamtvorganges der Mission verdienten. Hier die Rede von Synkretismus als »ohnehin problematisch« abzuweisen (301) und christliches Verständnis solcher »Kontaminationsformen« auszuschließen (302), sie nur als missionstaktisches Manöver zu deuten (ebd.), greift entschieden zu kurz, reduziert die Vielfalt der Mischformen zu Gunsten einer schlichten binären
Gegenüberstellung von Christen und Heiden.
Dem entsprechen dann auch die auf zwei knappere Kapitel über »Theorie und Politik der Missionspredigt« (317–390) und »Folgen der Missionspredigt« (391–412) folgenden steilen Formulierungen der Zusammenfassung, die in der offenkundig Anleihen an der martialischen Sprache Samuel Huntingtons nehmenden Rede von einem »Kampf der Kulturen« (425) ihren
bedauerlichen Höhepunkt finden.
Leider überwiegen die methodischen Unzulänglichkeiten die offenkundigen Vorzüge dieses gelehrten Buches so sehr, dass seine Benutzbarkeit erheblich eingeschränkt ist.