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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

48 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Leppin, Hartmut

Titel/Untertitel:

Theodosius der Große.

Verlag:

Darmstadt: Primus 2003. 280 S. m. Abb. 8° = Gestalten der Antike. Geb. € 29,90. ISBN 3-89678-471-4.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Nach einer Untersuchung über »Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret«,
seiner Berliner althistorischen Habilitationsschrift (im Druck erschienen unter dem Titel »Von Constantin dem Großen bis
Theodosius II.« [Hypomnemata 110], Göttingen 1996) und einem Bändchen über »Die Kirchenväter und ihre Zeit« (innerhalb
der »Beck’sche[n] Reihe Wissen«, München 2000; porträtiert werden je vier Griechen und Lateiner, von »Athanasius bis
Gregor dem Großen«) hat sich H. Leppin, jetzt Ordinarius für Alte Geschichte in Frankfurt a. M., erneut eines Themas angenommen, das über sein Fach hinaus auch die Kirchengeschichte, ja die Theologie insgesamt, in eminentem Maße interessieren muss, weil es darüber Klarheit zu gewinnen gilt, wie nach dem »Ende des konstantinischen Zeitalters« mit dessen Erbe verantwortlich umzugehen ist. Dass dem Kaisertum Theodosius’ des Großen (379–95), dem Gegenstand des hier vorzustellenden Buches, eine Schlüsselstellung auf dem Weg zur antiken »Reichskirche«, mit anderen Worten zum »christlichen Imperium« zukommt, ist seit langem unumstritten. Doch sind der bis vor kurzem vorherrschenden, hierzulande seit Kriegsende besonders von W. Enßlin und dessen Schüler A. Lippold nachhaltig geprägten Auffassung, wonach Theododius mit präzisen politischen Vorstellungen und rigorosen Maßnahmen den Katholizismus, die nizänische Orthodoxie, als »Staatsreligion« etabliert habe, inzwischen empfindliche Stöße versetzt worden. Grund genug für den mit der Zeit und ihren Problemen wohl vertrauten Vf., zur »Feder« zu greifen und ein den uns erkennbaren Realitäten eher entsprechendes Bild zu entwerfen.

Das Buch ist angelegt als wissenschaftlich fundierte, wenn auch für einen weiteren Leserkreis gedachte Biographie. In einem einleitenden ersten Kapitel (»Ein Reich der Vielfalt«) wird eine Einführung in die Lage des römischen Reichs im 4. Jh. nach innen und außen gegeben (15–28), in Kapitel II (»Die Jugend eines Militärs«) der Aufstieg des einer regionalen Elite in Spanien entstammenden, auf dem gleichen Weg wie sein gleichnamiger Vater, nämlich im Militär, den weiteren sozialen Aufstieg erreichenden Theodosius beschrieben (29–33); es folgen Kapitel über die weiteren Etappen der Karriere als Kaiser: III. »Die ersten Jahre« als »fremder Kaiser im Osten (379–382)« (35–86); IV. »Sicherung des Erreichten (383–388)«; V. »Die Fremdheit des Vertrauten: Theodosius im Westen (388–391)«; VI. »Rückkehr nach Konstantinopel (391–394)«; VII. »Wieder im Westen« (205–228), ein Kapitel, in dem die Entwicklung von der Usurpation des Arbogast und des Eugenius und der Entscheidungsschlacht am Frigidus (Vipava, einem Nebenfluss des Isonzo) zu Füßen der Alpen (6.9.394) bis zur Reichsteilung nach dem Tode des Kaisers nachgezeichnet wird, ehe das Schlusskapitel (229–239) darüber räsonniert, ob Theodosius den Beinamen, der ihm in der Kirche, auf dem vom Mailänder Residenzbischof Ambrosius gebahnten Weg, alsbald zufiel: »der Große«, verdient habe oder nicht. Das Fazit lautet: »Theodosius reagierte auf anstehende Probleme und versuchte sie so zu lösen, dass er möglichst viele Reichsangehörige und potenzielle Feinde zu integrieren vermochte. Er war kein Gestalter der Geschichte, kein Beweger, nichts Brillantes haftet ihm an; was er tat, hätten andere ebenso vollbringen können. Als groß im Sinne Jacob Burckhardts kann er also tatsächlich nicht gelten. Vielmehr hatte er genug daran zu arbeiten, sich mit den Umständen zu arrangieren, die Eliten des Reichs an sich zu binden, die Usurpatoren zu zügeln und die neue Macht der Kirchen zu kanalisieren.
Und dabei blieb ihm die Fortüne treu. … kontingente Ereignisse … halfen Theodosius über Schwierigkeiten hinweg; dafür bildet die Schlacht am Frigidus mit ihrem Sieg bringenden Wind das prägnanteste Beispiel. – Für seine christlichen Zeitgenossen war das aber eben kein Zufall, sondern ein unwiderlegliches Zeichen der Gnade Gottes, die Theodosius durch seine Frömmigkeit erworben hatte … Theodosius wurde wirkungsmächtig, weil die nizänische Kirche so stark geworden war und weil er erkannte, wie er sie für seine Interessen nutzen konnte: Er gewann aus ihr Gesinnungsgenossen und mithilfe der jungen Religion neue Handlungsspielräume …
Und zugleich gewannen die Christen trotz der Vorsicht des Kaisers im Alltag wie in der Regierungspraxis an Einfluss. Insofern hat die Kirche Recht daran getan, Theodosius den Titel eines Großen zu verleihen, und die Geschichtsschreibung darf ihr im Bewusstsein dieser Tradition folgen« (239).



Ich halte dieses Fazit für wohlbegründet und kann nur hoffen, dass es alsbald auch im eigenen Fach wie in der Theologie überhaupt zur Kenntnis genommen wird; kräftige Abstriche an dem traditionellen Theodosiusbild waren längst überfällig. Auch in
vielen Einzelheiten wie der Deutung des berühmten Bußaktes von Mailand (153 ff.) oder der Warnung, mit Blick auf die Verhältnisse unter Theodosius von »Staatskirche« zu sprechen (238; vgl. auch 84: »Es gab erheblichen Druck auf die Glaubensabweichler, aber keinen Glaubenszwang«), kann ich dem Vf. nur uneingeschränkt folgen, während meine Vorbehalte diesmal derart geringfügig sind, dass sie ganz übergangen werden können, mit Ausnahme von Kleinigkeiten, meist Druckfehlern, die sich bei einer Neuauflage wohl korrigieren lassen und bei dem Rezensenten abgefragt werden können.