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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

28–30

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Andreas

Titel/Untertitel:

Prophetie als Theologie. Die so spricht Jahwe-Formel und das Grundverständnis alttestamentlicher Prophetie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 379 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 207. Lw. € 72,00. ISBN 3-525-53071-4.

Rezensent:

Stefan Beyerle

Ist eine Beschreibung der Prophetie als »Theologie« in Orientierung am Formelgut, gar im Besonderen orientiert an der so
genannten »Botenformel«, möglich? W. bejaht diese Frage in seiner 2002 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz als Habilitationsschrift angenommenen und für den Druck gekürzten Studie. W. untersucht alle
kô ’ ¯amar-Formeln des Alten Testaments, in der erzählenden (143–204) wie im engeren Sinne prophetischen Literatur (205–296). Außerdem finden verwandte formelartige Wendungen aus der Umwelt Altisraels Berücksichtigung (93–142). Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei der Beobachtung, dass die Prophetenforschung in der so genannten »Botenformel« ein formatives Element prophetischen Wirkens analysiert, das bis heute das Prophetenbild im Alten Testament bestimmt: Propheten sind als »Boten« zumeist passive Mittler des Gotteswortes. Das Ziel der Studie ist die Infragestellung einer Theologie, die Propheten als »Boten« versteht.
Nach einer detaillierten Forschungsgeschichte sowie einer erfreulich fundierten und dennoch nicht zu ausladenden methodischen Problematisierung der Fragestellung (63–92) folgen die Analysen der außeralttestamentlichen Belege. Zunächst werden grundsätzlich formelhafte Wendungen mit ’mr (»sprechen«) und verwandter Terminologie untersucht (Kuntillet ‘Ajrud, Wadi Murabba‘at, Deir ‘Alla, Sefire etc.), bevor dann die »klassischen« prophetischen Vergleichstexte aus Mari und Assyrien Berücksichtigung finden. Zusammenfassungen und übersichtliche Tabellen geben den Befund wieder: Lexematisch begegnet die kô ’ ¯amar-Formel außerbiblisch nur in einem Papyrus (7./6. Jh. v. Chr.) und, auffällig, im aramäischen Sprachumfeld der Sefire-Inschriften.
Sonst ist lediglich die Wortverbindung mit nachgestelltem kh in der Deir ‘Alla-Inschrift zu beachten. – Zu ergänzen wäre ein
Beleg aus der Mescha-Inschrift (KAI 181, Z. 6). – Zwar werden auch Botenvorgänge beschrieben, sie bilden jedoch nur einen
Teilbereich des Funktions- und Anwendungsspektrums (129).
Die Ableitung der kô ’ ¯amar-Formel aus der Diplomatensprache der Umwelt fällt damit dahin. Insbesondere für Mari zeigt W.,
dass die Redeeinleitungsformeln eher der bezeichneten Kommunikationssituation entsprechen und nicht das »Sendungsbewusstsein« (140) der alttestamentlichen Propheten ausdrücken.
Die im Vergleich mit der Umwelt diagnostizierte Häufigkeit und Vielgestaltigkeit der Formel im Alten Testament bildet den
Ausgangspunkt der Analysen. Wie schon die ältere Forschung setzt auch W. mit der Untersuchung der Erzähl-»Kotexte« – als
»sprachliche Umgebung« von dem »alle Elemente der Kommunikationssituation« erfassenden »Kontext« unterschieden (mit
D. Wunderlich: 83 f.) – ein und würdigt zunächst Gen 32,4–6.
Da bei der Botensendung Jakobs zu Esau die Ausrichtung der Botschaft mit einleitender kô ’ ¯amar-Formel fehlt, sei mit der
Formel kein Botenvorgang angesprochen. Ein anderes Bild bieten 2Kön 9,17 f. und V. 3.6.12: Die auffällige Einzigartigkeit der
nur in 2Kön 9 begegnenden drei Komplexe von Beauftragung, Ausführung und Bericht im Zusammenhang der Botenfunktion
hatte C. Westermann mit dem möglichen Ausfall der Ausführung erklärt. Hier setzt W. an, wenn er im Folgenden zeigt, dass
die Formel- und Funktionsvielfalt der kô ’ ¯amar-Formel gegen die bei Westermann implizierte Einförmigkeit im Formelverständnis spricht. Bei seinen Exegesen unterscheidet W. grob erweiterte ([we] kô’¯amar-Formel und kî kô ’ ¯amar-Formel) und unerweiterte kô ’ ¯amar-Formeln (»Formelfeld«: 86 f.). Schließlich arbeitet W. ein Erzählmuster heraus, in dem zwei Formeltypen (»Ausrichtungsformel« und »Formeln freien Gebrauchs«) begegnen (177–194). Gegenüber einem einheitlichen Verständnis als »Botenformel« lassen sich Untertypen wie die nur »menschenbezogene« (we) kô’ ¯amar-Formel neben der »jahwebezogenen« kî kô ’ ¯amar- und l¯aken kô ’ ¯amar-Formel benennen.
Insbesondere seien aber die je »menschen-« und »jahwebezogenen« Ausrichtungsformeln und jene »freien
Gebrauchs« zu unterscheiden (199 f.).
Die Analyse der so genannten Schriftprophetie diskutiert u. a. Am 5: Die beiden kî kô ’ ¯amar-Formeln in Am 5,3 f. folgen auf
einen »indirekten Direktiv« (210 f.), der mit dem Verweis auf Israels hoffnungslose Lage aufrütteln will (V. 2). Während V. 3
einen sekundären Nachtrag als Begründung zu V. 2 darstellt, bieten V. 4 und 5 in ihrer Abfolge von »Zitatformel« (V. 4) und
»Direktiv« (V. 5) amosisches Gut. Als Amoswort greift diese zweiteilige Spruchkomposition dann mit V. 4 auf ein weisheitliches
Mahnwort zurück, das als prophetisches Zitat erscheint. Als »Theologe« greift Amos also »zitierte Gottesworte« auf. An diesem
Textbeispiel wird die hermeneutische Breite und zugleich die theologische Dimension der kô ’ ¯amar-Formel deutlich:
kompositorische Fragen (vgl. zu Amos auch: 287–292), das Verhältnis von schriftlicher und mündlicher Überlieferung und
nicht zuletzt redaktionskritische, die Fortschreibung betreffende Probleme sind hier angesprochen. Weitere Analysen führen zu
folgenden Ergebnissen: Während die l¯aken kô ’ ¯amar-Formel zur Autorisation eines Gotteswortes diene, seien die (kî) kô
’ ¯amar ’ ¯elay
-Formeln keine »Botenformeln«, sondern das Kommunikationsgeschehen betonende, auf das in ’ ¯elay angesprochene Objekt (Prophet) zielende »Offenbarungsformeln«.
Schließlich wird nach W. auch in den so genannten Schriftpropheten bei der »unerweiterten Formel« ein Erzählmuster
deutlich (für Jer, Ez, Sach: 270–274), das etwa durch Symbolhandlungen modifiziert erscheint und den Propheten durchaus
in die Nähe eines »Boten« rückt. In der älteren Prophetie (8. Jh. v. Chr.: Am, Mi, Proto-Jes) begegnen nur wenige »unerweiterte
Formeln«, die keine »Boten-«, sondern »Legitimationsfunktion« besitzen. Verstärkt treten »unerweiterte Formeln« dann in späteren Prophetenbüchern und in redaktionellen Klammern auf – hier deute sich eine geschichtliche Entwicklung im Prophetenverständnis an. Nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse schließen Literaturverzeichnis sowie Stellen- und Sachregister die Monographie ab.

Zuletzt bleiben auch Fragen: Wie steht es um die Vergleichbarkeit mit Belegen aus der Umwelt, wenn als Gegenüber der

kô ’ ¯amar-

Formel lediglich »solche Formeln herangezogen [werden können], die mit dem Verb

’mr/reden, sprechen

bzw. äquivalenten Verben/Nomen als Kernelement gestaltet sind« (94)? Dann bleibt m. E. fraglich, ob die Untersuchung der

kô ’ ¯amar-

Formel zur Erfassung der »Prophetie als Theologie« genügt. Etwa die schon literarisch eng verknüpfte

ne’um jhwh

-Formel findet nur ganz
am Rande Berücksichtigung. Belege wie 1Sam 2,30; 1Kön 21,21 oder Jes 3,16; 14,24; 17,3.6; 22,25; 30,1 aber zeigen, dass die LXX offenbar die
Redeeinleitungsformel ohne Pendant bzw. als Übersetzung der Schwuroder der

ne’um jhwh-

Formel im MT liest. Schließlich wird W.s Studie stets
an den Stellen »theologisch«, wo sie die kritischen Fragen über das Formelgut hinaus zur Geltung bringt (s. o., zu Am 5). Angesichts dessen fragt
man sich, wie hoch die »Theologizität« des Formelgutes selbst veranschlagt werden darf.



Dennoch: W. ist es gelungen, in entsagungsvoller Detailarbeit einen verständlichen, bisweilen gar spannend geschriebenen
Überblick über die unterschiedlichen »Kotexte« und Funktionen der kô ’ ¯amar-Formel im alten Israel und seiner Umwelt vorzulegen.