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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

26–28

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Uta

Titel/Untertitel:

Zentrale Randfiguren. Strukturen der Darstellung von Frauen in den Erzählungen der Königebücher.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2003. 268 S. 8°. Kart. € 34,95. ISBN 3-579-05409-0.

Rezensent:

Antje Labahn

Die von Uta Schmidt vorgelegte Marburger Dissertation von 2002 untersucht Frauengestalten aus dem Deuteronomistischen
Geschichtswerk anhand einer narratologischen Methodik. Auf Grund der von Sch. gewählten Methodik werden frühere feministische Untersuchungen (vgl. etwa die im »Feminist Compendium« von A. Benner zusammengestellten Ergebnisse) vertieft, indem in differenzierter Weise nach patriarchalen Gesellschaftsstrukturen
gefragt wird.
Der narratologische Ansatz von Sch., der an die Texttheorie von Mieke Bal anschließt, unterscheidet drei Erzählebenen in
einem Text: die Ebene der Fabel, der Fokussierung und der Narration.
Auf der Ebene der Fabel fragt Sch. nach dem Plot der Erzählung, nach Ereignissen im narrativen Zyklus und nach »Akto-ren«, die in Raum und Zeit der Erzählung als handelnde Subjekte agieren. Auf der Ebene der Fokussierung werden Techniken
der Präsentation einer Figur betrachtet; hier entwickelt Sch. soziale und narrative Rollen, die sie als ›Silhouetten‹ bestimmter
Charaktere versteht. In dem untersuchten Textkorpus unterscheidet sie drei ›Silhouetten‹: »die Frau als Mutter«, »die Frau in Not« und »die mächtige Frau«. Auf der Ebene der Narration geht sie Dialogstrukturen der Erzählung nach, um unter Verwendung
von Sprechakttheorien die erzählenden und linguistischen Subjekte auf Machtstrukturen hin zu analysieren. Bei dieser
Fragestellung kommen die feministisch-hermeneutischen Voraussetzungen deutlich zum Tragen. Soziologische Ansätze
werden nicht diskutiert.
Auf den theoretisch-methodischen Einleitungsabschnitt folgt die exegetische Untersuchung der Frauengestalten (57–196).
Sch. wählt als Textkorpus 1Kön 14–2Kön 25 aus. Die Beschränkung ist verständlich, da nicht alle Frauengestalten des DtrG im
Rahmen einer solchen Untersuchung vorgestellt werden können.
Zugleich ist die Auswahl im Blick auf ein mögliches Gesamtporträt problematisch, da für die story des DtrG bedeutende
Frauengestalten wie Batseba und Abigail unberücksichtigt bleiben. Die »Silhouetten« geben die Gliederung der Untersuchung
vor.

Als Paradigma für die »Frau als Mutter« wird die »große Frau von Schunem« (2Kön 4,18–37 [!]) vorgestellt; als weitere Mütter folgen die Frau Jerobeams (1Kön 14), die Witwe in Zarpat (1Kön 17), die Witwe des Prophetenschülers (2Kön 4) und die beiden namenlosen Frauen in Hungersnot (2Kön 6).
Die Mütter sind auf ihre Söhne, die Sch. als »das Attribut der Frauen« bewertet (99), bezogen dargestellt, da auf der Ebene der Fabel die Zukunft der Mütter mit dem Schicksal der Söhne verbunden ist. Auf der Ebene der Fokussierung treten die Mütter als Versorgende hervor, die zielstrebig und energisch ihre Ziele verfolgen. In der Narration wird die klassische und gesellschaftlich akzeptierte Rolle der Frau als Mutter vorgeführt. Die Erzählzüge dienen dazu, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu stabilisieren.
Als Paradigma für die »Frau in Not« dient die in 2Kön 6,24–31 auftretende Frau in Samaria; ihre Darstellung wird mit den Darstellungen der
anderen Frauen (s. o.) verglichen. Auf der Ebene der Fabel ist die Hilflosigkeit der Frau kennzeichnend. Die Ebene der Fokussierung entfällt hier.
In der Narration wird die Frau als in ihrer Not isoliert geschildert; sie hat keine eigene Stimme. Da die Narration auf den Gottesmann, von dem Hilfe
erwartet wird (Elischa), ausgerichtet ist, wird die Frau an den Rand der Geschichte gedrängt. Die narrative Welt wird von Sch. auf die textexterne
Wirklichkeit bezogen. Ohne dass sie nähere Angaben zu ihren hermeneutischen Voraussetzungen macht, erhebt Sch. einen Gegensatz zwischen der Rolle der Frau in der narrativen Welt und in der Umwelt der Texte.
Die dritte »Silhouette der mächtigen Frau« fällt inhomogener aus, da Sch. verschiedene Formen von Herrschaftsausübung hierunter subsumiert,
indem sie die Geschichten der Prophetin Hulda (2Kön 22,8–20), der Königinnen Isebel (1Kön 21; 2Kön 9,30–37) und Atalja (2Kön 11) sowie der
namenlosen Schunemiterin analysiert. Typisch für diese »Silhouette« ist, dass sich die Darstellungsstränge mit den beiden vorherigen überschneiden.
Auf der Ebene der Fabel haben die Frauen Macht im öffentlichen Bereich inne. Da sie in der Darstellung als isolierte Charaktere erscheinen, folgert
Sch., dass die Frauen in den Szenen im Machtkampf mit den Männern unterliegen. Die Isolation wird durch die räumlichen Strukturen, in
denen die Charaktere platziert werden, unterstützt. Auf der Ebene der Narration zeigt Sch. auf, wie das Redeverhalten der Aktoren deren Einfluss
und Geschick spiegelt. Von hier aus zieht Sch. Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Position der Frauen in der textexternen Umwelt der Texte: Sie treten in untypischen und gesellschaftlich nicht akzeptierten Rollen auf.
Da diese Frauen die patriarchale Ordnung in Frage stellen und starke sowie selbstbewusste Frauen (textintern wie textextern) repräsentieren, werden sie in der Erzählung abgelehnt.



Im Bild mächtiger Frauen erkennt Sch. Ambivalenzen hinsichtlich der Bewertung ihrer Rolle, da Frauen in öffentlichen Rollen
zumeist kritisiert werden (Ausnahme: Hulda), doch in den zugleich wahrgenommenen typischen Frauenrollen (Mutter; zu
ergänzen wäre: Ehefrau) akzeptiert sind. Die Kritik des (textinternen) narratologischen Bildes entspricht nach Sch. der gesellschaftlichen Position der Frauen in der (textexternen) Antike. In Sch.s antikem Gesellschaftsbild wirken sich die hermeneutischfeministischen Voraussetzungen der Analyse aus, näher erläutert oder belegt werden sie nicht.
Auf der Ebene der Narration spielt sich auch die Gottesbeziehung der Frauen ab (197–239). Gott begegnet als Aktor gegenüber
den helfenden Propheten (einschließlich Hulda), für die (anderen) Frauen ist er ausschließlich in den Reden präsent.
Daraus folgert Sch., dass die Gottesbeziehung der Frauen in Not und der Mütter nur indirekt ist. Gott ergreift für einsame und
hilflose Frauen Partei gegen eine Bedrohung des Volkes in nationalen Untergangssituationen.
Eine kurze Zusammenfassung bündelt die Ergebnisse (241–249) und spitzt sie auf die These zu, dass Frauen als »zentrale
Randfiguren« begegnen. Randfiguren sind sie insofern, als die Geschichten der Frauen in größere Erzählzyklen eingebunden
sind, die männliche Prototypen in den Vordergrund stellen (z. B. Elischa). Doch obwohl »mit den Maßstäben und Idealen einer
patriarchalen Gesellschaft erzählt« wird (239), nehmen Frauen in den Episoden wie auch in der antiken Wirklichkeit einen wichtigen Platz ein. Die Rolle von Frauen als narrative Charaktere im DtrG wird von Sch. sorgfältig und anschaulich herausgearbeitet.
Die These, dass Frauen an zentraler Stelle in Szenen am Rande der Weltpolitik begegnen, überzeugt, wenngleich Fragen an den
methodisch etwas unkontrollierten Wechsel der argumentativen Ebene in die textexterne gesellschaftliche Wirklichkeit der Antike
zu stellen sind. Trotz der bisweilen nicht hinreichend berücksichtigten einschlägigen Fachliteratur (z. B. Levin, Der Sturz der Königin Atalja, 1982), ist die Untersuchung eine gewinnbringende Studie zur Frauenforschung am Alten Testament.