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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

15–17

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kreuzer, Siegfried, u. Jürgen Lesch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Brennpunkt: Die Septuaginta Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel. Bd. 2: M. Beiträgen v. A. Aejmelaeus, R. Brucker, J. M. S. Cowey, K. De Troyer, C. G. den Hertog, N. Fernández Marcos, H.-J. Gehrke, A. van der Kooij, S. Kreuzer, M. Pfrommer, A. Schenker, A. von Stockhausen u. K. Usener.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2004. 287 S. m. Abb. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 161. Kart. € 40,00. ISBN 3-17-017960-8.

Rezensent:

Mogens Müller

Ohne Kenntnis sowohl der geschichtlichen und kulturellen Kontexte als auch sprachlicher Voraussetzungen und Möglichkeiten
wird die Arbeit an einer wissenschaftlichen Übersetzung der Septuaginta unhistorisch. Deshalb hat das deutsche Projekt
zur Übersetzung der Septuaginta als notwendiges Nebenprodukt eine Reihe von Studien ins Leben gerufen, die sehr verschiedene verschiedene Aspekte beleuchten. Dieser zweite Band enthält 14 Beiträge, die unter vier Überschriften gestellt sind. In der ersten Abteilung, Hellenismus und Judentum in Ägypten, steht zuerst eine Studie von Michael Pfrommer über Alexandria in hellenistischer Zeit (10–23). Literarische Quellen geben hier gute Informationen über einige relevante Gebäude und ihre Funktionenund damit wertvolle Einblicke in den ptolemäischen Baustil.
Abbildungen zeigen einige Rekonstruktionen – doch eine Karte von Alexandria ist so klein gedruckt, überdies werden Zahlen
nicht erklärt, dass sie nahezu nutzlos ist. James M. S. Cowey (24–43) schließt aus neuesten Papyrusfunden, dass die Juden in
Ägypten weithin das Recht des Landes übernahmen. Wesentlichauf denselben Quellen fußend entwirft Hans-Joachim Gehrke
ein Bild vom dem ›sozial- und religionsgeschichtlichen Umfeldder Septuaginta‹ (44–60) und zeigt: »die Juden im hellenistischen
Ägypten hatten sich mithin der griechischen Lebenswelt weitgehend assimiliert« (52). Es war nicht ein »Entweder-Oder«,
sondern ein »Sowohl-Als auch«. Siegfried Kreuzer diskutiert ›Entstehung und Publikation der Septuaginta im Horizont
frühptolemäischer Bildungs- und Kulturpolitik‹ (61–75) und meint, dass der pseudepigraphe Aristeasbrief so weit im Recht
ist, dass die königliche Verwaltung Partner in einem Übersetzungsprojekt war, das ursprünglich nur die Tora umfasste.
Die zweite Abteilung beschäftigt sich mit Eigenart und Übersetzung der Septuaginta. Klaus Usener charakterisiert gründlich
und instruktiv Koine-Griechisch als Sprache des Hellenismus (78–118) und gibt durch Beispiele einen Eindruck von dieser
Entwicklungsstufe der griechischen Sprache, auch von Fällen, in denen die Übersetzung spezifisch jüdische Terminologie etabliert (z. B. bei kultischen Dingen). Leider haben sich einige Druckfehler in das Griechische eingeschlichen. Für die deutsche
Übersetzung bedeutet das als Konsequenz: »So textnah wie möglich, so frei wie nötig« (115). Arie van der Kooij behandelt die
Problematik der Septuaginta-Lexikographie mit dem schwierigen Gleichgewicht zwischen dem Wissen um die Bedeutung des
hebräischen Originals und der unmittelbaren Verständlichkeit des griechischen Textes (119–132).
Anneli Aejmelaeus (133–150) macht darauf aufmerksam,dass das Septuaginta-Übersetzungsprojekt keine Bibelübersetzung
im strengen Sinne ist, weil es grundlegend die Leser zum Text leiten will, nicht den Text zu den Lesern. Die Alternative
lautet: »Entweder wird die Botschaft, der Inhalt des Originals an den Leser herangetragen, oder der Leser wird zum Original hingeführt« (134). Das Projekt ist primär wissenschaftlich motiviert, um ein Hilfsmittel für Bibelforscher zu liefern. Das ist umso
interessanter, als die Septuaginta Aejmelaeus zufolge nicht alsVerstehenshilfe für den hebräischen Text fungierte, sondern als
Ersatz. So erhielt die LXX ein Eigenleben. Das Hebräische (der MT) ist lediglich der Ausgangspunkt der Rezeptionsgeschichte,
er kann bei der Bestimmung des ursprünglichen griechischen Wortlautes nur als negatives Kriterium fungieren.
Wo wortwörtliche Übersetzung vorhanden ist, wie z. B. in den Samuel- und Königebüchern, ist diese nach Adrian Schenker
Zeichen eines besonderen Status des hebräischen Textes (151–162). Das wird »am Beispiel hebräischer nicht paronomastisch
verwendeter absoluter Infinitive« – wie der Untertitel des Beitrags lautet – gezeigt. Daraus ergibt sich natürlich für den
modernen Septuaginta-Übersetzer die Frage, wie weit er dieses Phänomen nachbilden soll.
Die dritte Abteilung besteht aus nur zwei Beiträgen von Natalio Fernández Marcos zum Antiochenischen Text der Septuaginta
(164–176). Der Erste, auf Englisch, führt in die Septuaginta-Forschung in Spanien ein, die tiefe Wurzeln bis zurück in
das 16. Jh. hat. Heutzutage widmet sie sich insbesondere der Rekonstruktion der lukianischen Rezension. Das lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass der Septuaginta-Text selbst eine verwickelte Geschichte hat, dessen verschiedene Gestalten auch ein selbständiges Interesse verdient haben, so dass sie nicht nur als mögliche Quellen eines Urtextes in Betracht gezogen werden sollten. Der zweite Beitrag (177–213) thematisiert den variantenreichen Antiochenischen Text der Samuel- und Königebücher (1–4Kön LXX). Er zeigt, dass die ›lukianische‹ Fassung vor Lukian zurückreicht und – wo sie existiert – eine alternative alte Übersetzung bezeugt, die z. B. auch bei Josephus belegt ist. Auf S. 208, Anm. 135, finden wir zum zweiten Mal (siehe auch 165) ein längeres Zitat von S. P. Brock zur Relevanz der Erforschung späterer Textfassungen.
Die letzte Abteilung enthält vier Beiträge mit Beobachtungen zu einzelnen Büchern. Cornelis G. den Hertog unternimmt den
Versuch zu zeigen, dass das Dtn früher als Lev übersetzt worden ist, dass die Übersetzer wohl das erstgenannte Buch als wesentlicher eingeschätzt haben als das letztgenannte (216–228). Es wird mit der These gekoppelt, »dass es im 3. Jh. v. Chr. nicht ein umfassendes ›Projekt‹ einer Übersetzung des Pentateuchs, als jüdisches ›Nationalgesetz‹, gegeben hat, sondern dass die Übersetzung in einzelnen Schritten, und das heißt doch wohl: für den eigenen Bedarf der griechischsprachigen jüdischen Gemeinschaft erfolgte« (227). Der Verfasser verhält sich auch deshalb dem Bild des Aristeasbriefes gegenüber kritisch und geht »davon aus, dass die Septuaginta eine Übersetzung von Juden für Juden war, und dass die ptolemäischen Machthaber an diesem Projekt nicht oder nicht entscheidend beteiligt waren« (217, Anm. 3).
Kristin De Troyer diskutiert den lukianischen Text, insbesondere die längere Fassung (A-Text) des Estherbuches (229–246),
und schließt, dass sie nicht auf einen alternativen hebräischen Text zurückgeht, sondern eine Neugestaltung des griechischen
Estherbuches bietet. Ralph Brucker bietet in »Schritte auf dem Weg zu einer dokumentierten Übersetzung der Septuaginta. Ein
Werkstattbericht am Beispiel des Psalters« einen instruktiven Einblick in die hinter dem Projekt stehenden Überlegungen
(247–258). Schließlich gibt Annette von Stockhausen Auskunft »über die Übersetzungstechnik der Joel-Septuaginta und ihre
Konsequenzen für die Übersetzung des Joel-Buches im Rahmen der Septuaginta-Deutsch« (259–268). Hier wird Luthers »Sendbrief vom Dolmetschen« zitiert und mit der nahezu direkt entgegengesetzten Position konfrontiert, die hinter der griechischen Übersetzung des Joel-Buches steht, die Wort für Wort vorgeht und wegen dieser Treue fast unverständlich ist.
Register erhöhen den Gebrauchswert. Alles in allem liegt ein gehaltvoller Band zur einem wichtigen Thema vor.