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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

536 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Albrecht, Rainer

Titel/Untertitel:

Eine Trommel allein singt kein Lied. "Engoma emoi tegamba mulango". Predigt als dialogisches Geschehen in einer Kultur der Oralität. Untersuchungen zu Inhalt und Struktur evangelischer Predigt in Nordwest-Tanzania.

Verlag:

Erlangen: Verlag der Ev.-Luth. Mission 1996. 228 S., 1 Kte, 145 S. Anhang 8 = Missionswissenschaftliche Forschungen, NF 2. Kart. DM 55,-. ISBN 3-87214-332-8.

Rezensent:

Friedrich Wintzer

Rainer Albrecht, der seit 1963 zehn Jahre lang im Dienst der Bethel-Mission in Nordwest-Tanzania tätig war, hat von zahlreichen gesammelten Predigten vier Predigten von afrikanischen Theologen aus dem Jahre 1967 homiletisch und systematisch-theologisch untersucht und acht weitere ebenfalls abgedruckt, jedoch nur kurz analysiert. Diese ,älteren’ Predigten werden durch fünf Predigten aus dem Jahre 1994 vergleichend ergänzt.

Erschienen ist dieser Band in der Reihe der Missionswissenschaftlichen Forschungen, die Aspekte der "Dritte-Welt-Theologie" exemplarisch und kontextuell beschreiben und analysieren. A. untersucht Predigten aus der Nordwest-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tanzania, also aus einem Gebiet, das den Umbruch und den Wandel in Afrika anzeigt. Deutlich wird aber auch der Unterschied zwischen den Generationen der Prediger, Pfarrer, Evangelisten und Kirchenältesten im 20. Jh. Der Vf. stellt fest, daß die Predigt in Nordwest-Tanzania bis heute der Kernpunkt der kirchlichen Tätigkeit sei. Untersucht wird speziell das gottesdienstliche Leben im Gebiet Buhaya-Karagwe. Deutlich ist der lutherische Akzent dieser missionarisch geprägten Gemeindetheologie.

Das Positivum dieser Untersuchung ist, daß die Eigentümlichkeit der afrikanischen Predigt und ihre Differenz zur westeuropäischen Verkündigung verdeutlicht wird. So interpretiert z. B. die Haya-Predigt die neue Gemeinschaft der Christen vom "Wir"-Kontext ihrer Hörer her. Ein weiteres Kennzeichen sei die Oralität der Predigten in dieser oralen Kultur. Das dialogische Kommunizieren sei deshalb für Gemeinden in Nordwest-Tanzania charakteristisch. Das ,Sich-Einlassen auf das Gegenüber’ sei eine selbstverständliche Anforderung, die auch den Gebrauch symbolisch-bildhafter Sprache einschließe. Solche Predigten seien zudem auf das Hören und nicht auf das Lesen ausgerichtet. Die schriftliche Fixierung bedeute eine Verkürzung des mündlichen Predigtaktes. Deshalb gelte, daß sich die Predigtweise in Afrika die Inkulturation der christlichen Botschaft zum Ziel setzen müsse. Impulse seien zudem aus der ostafrikanischen Erweckungsbewegung (40) ausgegangen, die die "Veränderung und Vertiefung des Gewissens durch die Bindung an das Wort der Schrift" (41) bewirkt habe. Hier zeigen sich auch die Auswirkungen der Theologie der Missionsgesellschaften und ihrer Missionare, die der Vf. für die verschiedenen neueren zeitgeschichtlichen Phasen zu beschreiben versucht. Von Interesse ist auch die geschilderte Vielfalt der Predigtsituationen in Afrika im Gegensatz zu der eher festgefügten europäischen gottesdienstlichen Predigt in der Kirche.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen vier Predigten von J. Kibira über das "Heute der Freiheit", von E. Lutashobya über "Jesus - der Lehrer", von N. Lwezaura über "Die Macht des Wortes - die Vollmacht Jesu" und von S. Mukimbili über "Ein liebender und fördernder Gott", die intensiv auf Details eingehen und aufzeigen, daß hier nicht in der Sprache der Bücher, sondern des Lebens - um Claus Harms zu zitieren - gepredigt wurde. Zudem sind diese afrikanischen Predigten evangelistisch ausgerichtet. - In rhetorischer Hinsicht verdeutlicht der Vf., daß diese Predigten die Faszination der Sprache kennen. Sie benutzen rhetorische Fragen und Fragereihen, Assoziationen und Iterationen sowie die direkte oder indirekte Anrede des Hörers. Kontraste wie auch Lautmalereien finden sich in diesen Predigten ebenso wie Metaphern, Redensarten und Beispiele. A. zeigt auf, daß die afrikanischen Predigten weniger der Belehrung als der Möglichkeit der Identifikation dienen sollen und die Unterscheidung von Wir und Ich akzentuieren. Allerdings stellt der Vf. in den zwei Generationen der Prediger auch eine Verengung fest. In der zweiten Generation sei die Predigt von der volkstümlichen Höreranrede zur theologischen Rede, zum reflektierten Vortrag geworden; z. B. hinsichtlich der strikten Christusbezogenheit der Ethik, bei der die politische Ethik zumindest 1966 und 1972 ausgeklammert wurde.

Die evangelische Predigt in Nordwest-Tanzania liefert nach Meinung des Autors "keine spektakulär neuen Beiträge zum theologischen Gespräch in der Ökumene. Aber die Akzente, die sie in der Christologie, Ekklesiologie und Pneumatologie" (207) setzt, verdienen Beachtung. Vor allem können die vielfältigen rhetorischen und homiletischen Mittel dieser anschaulichen volks- und gemeindenahen Predigt zum Nachdenken in der europäischen Predigttheorie führen, damit in unserem religionssoziologisch anders geprägten Kulturkreis neue Wege zu einem dialogischen Predigtstil gefunden werden. Die Untersuchung A.s bietet dafür reiches Anregungsmaterial. Freilich wüßte der Leser/die Leserin gern noch Näheres über die heutige Gestaltung der Predigt in Nordwest-Tanzania angesichts der dortigen Umbrüche, die der Autor für die jüngere Vergangenheit anschaulich beschrieben hat.