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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

531–533

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neuner, Peter

Titel/Untertitel:

Ökumenische Theologie. Die Suche nach der Einheit der christlichen Kirchen.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997. XIV, 305 S. gr.8. Geb. DM 68,-. ISBN 3-534-12071-X.

Rezensent:

Gunther Wenz

"Towards Koinonia in Faith, Life and Witness", "Auf dem Weg zur Koinonia im Glauben, Leben und Zeugnis" - so lautete das Motto der 5. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, die im August 1993 in Santiago de Compostela tagte; zuvor hatte der Koinonia-Begriff schon in der sogenannten Canberra-Erklärung der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1991 als ekklesiologische Leitkategorie zwischenkirchlicher Verständigung fungiert.

Fragt man nach dem theologischen Ursprungssinn des Koinonia-Begriffs, der im Neuen Testament zwar nur selten vorkommt und im Alten kein unmittelbares Äquivalent hat, aber doch seinem Inhalt nach in der Bibel allgegenwärtig ist, so empfiehlt sich als exemplarischer Text 1Kor. 10,16 f. Der Apostel greift dort eine wahrscheinlich zu katechetischen Zwecken geprägte, parallel aufgebaute Formulierung auf, in der das eucharistische Brot zur Gemeinschaft des Leibes Christi, der gesegnete Kelch zur Gemeinschaft des Blutes Christi erklärt wird; für das deutsche Wort "Gemeinschaft" (oder "Teilhabe") steht im griechischen Urtext jedesmal der Koinonia-Begriff. Paulus kehrt die Reihenfolge der beiden katechetischen Formeln um und verwandelt sie durch einen rhetorischen Kunstgriff in Fragen, um von dem am Kreuz dargebrachten Leib Christi direkt auf die Kirche von Korinth als Leib Christi überzuleiten, deren Einheit er zu fördern und gegen Gefährdungen abzugrenzen sucht: "Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot" (1Kor. 10,16 f.).

Dieser, die ersten Koinonia-Belege in christlichen Zeugnissen integrierende Text, ist kennzeichnend für das paulinische Verständnis von Koinonia, wie es im eucharistischen Zusammenhang paradigmatisch zum Ausdruck kommt: Indem wir im Mahl des Herrn Anteil gewinnen an Leib und Blut, will heißen: an der in Gott verewigten Person des auferstandenen Gekreuzigten, werden wir untereinander zu einer personalen Gemeinschaft wechselseitiger Teilhabe und Teilgabe, zum Leib Christi zusammengeschlossen, der zu sein die Kirche in allen ihren Erscheinungsgestalten bestimmt ist.

Das skizzierte biblische Modell der Koinonia ist grundlegend und bestimmend für N.s Konzeption Ökumenischer Theologie. Deren Zielvorstellung ist daher - um die Schlußsätze des anzuzeigenden Werkes vorweg zu zitieren - "nicht eine organisatorische Universalkirche, sondern eine Gemeinschaft von Kirchen, von denen jede im vollen Sinn das Kirche-Sein realisiert und darin von allen anderen anerkannt wird und in ihrer Bezogenheit auf die anderen Orts- oder Teilkirchen die universale Kirche konstituiert. Es ist nicht eine Beschreibung des Ist-Zustandes, sondern Modell der künftigen Ökumene, daß die heutigen Konfessionen eine Gemeinschaft bilden, in der sie sich wie Ortskirchen zueinander verhalten und in ihrer Gemeinschaft untereinander jeweils ihr Kirche-Sein realisieren. Eine sich so gestaltende Koinonia wäre fähig, Zeichen zu sein auch für die Einheit der Menschheit" (296).

Der Geist des Koinonia-Gedankens durchwaltet N.s gesamtes Buch. Nach Eingangsinformationen zur Geschichte des Ökumenebegriffs und zum Problem der ökumenischen Motivation (1-17) zeichnet der Vf. knapp und kenntnisreich die Geschichte der Ökumenischen Bewegung nach (18-74), wobei den Vollversammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen von Amsterdam 1948 über Evanston 1954, Neu-Delhi 1961, Uppsala 1968, Nairobi 1975, Vancouver 1983 bis hin zu dem erwähnten Konvent von Canberra 1991 besondere Aufmerksamkeit zukommt. Ein dritter Hauptteil charakterisiert den Beitrag der einzelnen Kirchen zur Ökumenischen Bewegung (75-157): Behandelt werden dabei zunächst die orthodoxen Kirchen und ihr ökumenisches Engagement, gefolgt von den Kirchen der Reformation, nämlich Luthertum, reformierter Protestantismus und anglikanische Kirchengemeinschaft, den Freikirchen, der Altkatholischen Kirche und der Utrechter Union sowie schließlich der römisch-katholischen Kirche, der N. - seit 1985 Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München - selbst angehört. "Ökumenische Durchbrüche" ist ein weiterer Abschnitt des Werkes überschrieben (158-184), der die Leuenberger Konkordie, die Konvergenzerklärung über Taufe, Eucharistie und Amt, den sogenannten Fries-Rahner-Plan, die Lehrverwerfungsstudie und den Konziliaren Prozeß erörtert.

Der Schlußteil ist den aktuellen Hauptproblemen ökumenischer Theologie gewidmet (185-296), der Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition(en), der Lehre von den Sakramenten sowie vom geistlichen Amt der Kirche und seinen Gliederungsformen, der Ehelehre unter besonderer Berücksichtigung der konfessionsverschiedenen Ehen sowie dem Problemfeld von Rechtfertigung und Kirche.

Zuletzt wird in Auseinandersetzung mit diversen ökumenischen Zielvorstellungen (traditionelle Einheitsvorstellungen der Kirche, organische Union, konziliare Gemeinschaft, Säkularökumenismus, versöhnte Verschiedenheit, Ökumene in Gegensätzen, das Modell der Koinonia) nach den Konsequenzen theologischer Konvergenzen gefragt.

In diesem Zusammenhang räumt N. gegenüber den Kritikern der sog. Konsensökumene ausdrücklich ein, "daß Konsenstexte für sich allein die Spaltung nicht überwinden können. Die Einheit ist eine Sache der Kirchen als ganzer, nicht allein eine Frage theologischer Einigung. Sie muß gelebt, geglaubt und in der Praxis der Gemeinden verwirklicht werden, damit sie Realität werden kann. Gemeinsames Tun, vor allem auch gemeinsames gottesdienstliches Tun, ist für die Einigung der Christenheit konstitutiv. Der ökumenische Prozeß kann sich nicht allein auf theologisch-wissenschaftliche Bemühungen beschränken, sondern er muß von den Kirchen als ganzen getragen werden. Aber innerhalb dieses Prozesses haben auch die Theologen einen Beitrag zu leisten, und auf diesen kann nicht verzichtet werden. Die Trennung der Christenheit erfolgte nicht allein um irgendwelcher Nebensächlichkeiten willen und nicht allein aus Machthunger, sondern weil man überzeugt war, die jeweils andere Seite habe mit der Botschaft Christi gebrochen, sie könne den Menschen den Weg zur ewigen Seligkeit und zum Heil nicht mehr erschließen, weil sie die Wahrheit preisgegeben habe. Wer diesen Wahrheitsanspruch und diese Herausforderung nicht ernst nimmt und die theologische Dimension nicht erkennt, wird weder der Kirchenspaltung noch dem ökumenischen Anliegen gerecht" (276 f.).

Ohne Theologie erfolgt die Suche nach der Einheit der christlichen Kirchen blindlings und daher letztlich ziellos. Diese Einsicht kann als das wichtigste Ergebnis von N.s "Ökumenischer Theologie" und zugleich als die Grundlage ihrer Konzeption gelten. Thema der Arbeit ist in diesem Sinne "das Verhältnis der christlichen Kirchen zueinander, und dies nicht in kirchensoziologisch darstellender, sondern in genuin theologischer Sichtweise. Behandelt werden also die theologischen Probleme, die die Einheit der christlichen Kirchen zerbrechen ließen, und die Versuche, die von hier aus begründeten Trennungen zu überwinden" (12).

N.s Buch ist der beschriebenen Aufgabenstellung in eindrucksvoller Weise gerecht geworden. Ohne die eigene konfessionelle Herkunft zu verleugnen, informiert der Vf. fair und verständigungsorientiert über den ökumenischen Stand der Dinge. Dies geschieht in einer Sprache, die das Werk bei allen gebotenen Detailkenntnissen auch für den interessierten Nichttheologen zugänglich macht. Bleibt zu hoffen, daß es das Publikum an der nötigen Rezeption nicht fehlen läßt.